Job

Die Lust am Piraten-Dasein

Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0
Ivan Bartoš, Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0

Seine Piraten-Partei ist durchgefallen bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Es steht nicht gut für den Hobby-Politiker und seine Parteikollegen. Aber Ivan Bartoš, 33 Jahre, lässt sich seinen Optimismus nicht nehmen. Die Zeit der Piraten komme erst noch.

„Die Parlamentswahlen 2014? Ich hoffe, wir haben dann unseren ersten Piratenabgeordneten im Parlament. Und mit ein bisschen Rückenwind könnten wir ja vielleicht sogar viertstärkste Partei werden“, orakelt Ivan Bartoš. Es ist Februar 2012. Ivan Bartoš sitzt in der Prager Lucerna-Bar, Dreadlocks, dunkler Anzug, goldene Krawatte. Er hat gerade erfolgreich die Prüfung für seinen zweiten Doktortitel abgelegt. Auch die Piraten-Partei ist damals im Aufwind - international. Der umstrittene ACTA-Vertrag über Urheberrechte, den die EU-Staaten drauf und dran sind abzusegnen, katapultiert die Piraten-Partei auch in Tschechien in die Schlagzeilen. Mitgliederzahlen, Facebook-Likes, Kontostände – alles steigt bei den Piraten. Transparent, für jeden einsehbar im Internet. Und Piraten-Chef Ivan Bartoš ist damals ein begehrter Gast in Rundfunk und Fernsehen. Ein bisschen wild im Aussehen, ein bisschen non-konform und doch kompetent und souverän, so erscheint der Rastaman vor der Kamera. Keine Frage – Ivan Bartoš und die Piraten waren auf Erfolgskurs.

Und dann kam alles anders. Ein Polit-Skandal ohne Gleichen erschüttert das Land und fegt Premier Nečas und seine bürgerliche Mannschaft 2013 aus der Regierungsbank. Die Wahlen zum Abgeordnetenhaus werden auf Oktober 2013 vorgezogen. Eine Chance für die Piraten, von der allgemeinen Unzufriedenheit zu profitieren. Aber Tschechien ist ein unsicheres politisches Pflaster. Das Rennen macht die Newcomer-Partei ANO des Unternehmers und Milliardärs Andrej Babiš, die auf Anhieb nach den Sozialdemokraten die zweitstärkste politische Kraft wird. „Mit ordentlich Kohle oder einer ausgefeilten Rhetorik kann man hier ordentlich Prozente einfahren“, lächelt Ivan Bartoš den Erfolg der politischen Konkurrenz weg. Die Piraten bleiben mit 2,66 Prozent weit unter den Erwartungen.

Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0
Ivan Bartoš liebt Bücher und Musik. Früh lernt er Akkordeon. Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0

Ein Nerd ist was anderes

Aber gerade in diesem Misserfolg zeigt sich der Polit-Profi Ivan Bartoš. „Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2010 haben wir unsere Wählerschaft um 200 Prozent vergrößern können.“ 200 Prozent. „Und das, obwohl wir im Verhältnis zum Stimmenanteil die billigste Wahlkampagne von allen geführt haben.“ Die Piraten haben gut daran getan, Ivan Bartoš 2009, als die Partei aus der Taufe gehoben wurde, zu ihrem Chef zu ernennen. Er kann sich auf jedem Parkett bewegen, ist schnell im Kopf und um Antworten nicht verlegen. Mit seiner rauen Stimme und dem bohrenden Blick legt sich Ivan Bartoš bei jedem Thema energisch in die Riemen. „Hochnäsig“, „besserwisserisch“, „nervig“ - auch das schreibt man allerdings in manchen Internetforen über ihn.

Ivan Bartoš kommt 1980 im nordböhmischen Jablonec nad Nisou zur Welt. Er stammt aus einer unpolitischen Familie, sagt er. Mutter Lehrerin, Vater im Bankensektor, die ältere Schwester eine erfolgreiche Wissenschaftlerin im Bereich Biogenetik. Ivan selbst liebt schon damals Bücher und Musik. Früh lernt er Akkordeon. Sein Schifferklavier kommt heute bei vielen Piratenversammlungen wirksam zum Einsatz und begleitet seinen leidenschaftlichen Gesang. Leidenschaftlich singt er auch in einer Punkband im früheren Prager Arbeiterviertel Žižkov und mixt als DJ Psychedelic Trance. Er sei kein weltvergessener Nerd, der sich nur für seine Freiheit im Internet interessiere. Er spiele auch keine Computerspiele. „Die Hälfte der Sachen, die meine Parteikollegen auf dem Computer können, verstehe ich nicht einmal“, kokettiert er ein wenig mit seiner Bodenständigkeit. Nein, Ivan Bartoš ist kein Nerd. Er steht gern auf Bühnen jeglicher Art.

Pirat seiner Zeit

Schon auf dem Gymnasium beginnt er, sich mit Datenbanken zu beschäftigen und merkt, dass man damit nebenbei auch Geld verdienen kann. Bei der Wahl seines Studiums scheint er viele seiner Talente unter einen Hut gebracht zu haben. Das Informatikstudium am Institut für Bibliotheks- und Informationswesen der Karlsuniversität in Prag schließt er 2005 mit Promotion zum Dr. phil. ab. Heute arbeitet er als Systemarchitekt bei einem großen Mobilfunkanbieter.

Was will einer wie Ivan Bartoš eigentlich in der Politik? Jede Reinigungskraft genießt in Tschechien ein höheres Ansehen als ein Politiker. „Klar, ich bin gut ausgebildet, habe kein Problem, Arbeit zu finden. Ich könnte ein angenehmes Leben führen jenseits von tschechischer Politik und Themen wie Steuerbelastung, Medienfreiheit oder Freiheit im Internet. Aber...“ – und da kommt er wieder zum Vorschein, der Polit-Profi Ivan Bartoš – „...ich möchte etwas zum Besseren verändern“. Das sei kein Helfersyndrom, sondern das schlichte Bedürfnis nach einer besseren Gesellschaft, sagt er. Sonst würde er nicht schon im fünften Jahr seine freie Zeit mit Politik verbringen. „Jede Zeit hat ihre Piraten. Und wenn wir es nicht sind, dann macht es jemand anderes.“ Und Ivan Bartoš hat ganz offensichtlich große Lust darauf, der Chef-Pirat seiner Zeit zu sein.

Christian Rühmkorf

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
April 2014

    Nachwuchspolitiker

    Politiker genießen in Tschechien weniger Ansehen als Putzfrauen – zumindest behaupten das Meinungsforscher. Die Parteien wiederum beklagen einen eklatanten Mangel an Nachwuchs. Doch es gibt sie, die Jungen, die „Hoffnungsträger“ der Politik. jádu stellt sie vor – in einer Porträtreihe, die in Zusammenarbeit mit der Prager Zeitung entsteht.

    #1 Tradition verpflichtet - Tereza Procházková / KDU-ČSL (Christdemokraten)

    #2 Mein Vater (und) Klaus - Martin Pánek / Svobodní („Freiheitliche“)

    #3 „Warum nicht in Utopien denken?“ - Lennart Onken / DIE LINKE

    #4 Die Entdeckung der Langsamkeit - Matěj Stropnický / Strana zelených (Grüne)

    #5 Mit kleinen Schritten - Markéta Adamová / TOP 09

    #6 Die Lust am Piraten-Dasein - Ivan Bartoš / Pirátská strana (Piratenpartei)

    #7 Ein Vietnamese im Europawahlkampf - Nguyen Cong Hung / ODS (Demokratische Bürgerpartei)

    #8 Politikerin in Bearbeitung - Anna Pospěch Durnová / Strana zelených (Grüne)

    #9 Nach Straßburg ist Schluss - Kateřina Konečná / KSČM (Kommunisten)

    #10 Traumjob im Bundestag - Dennis Hasselmann / CDU

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...