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Pro und Contra: Hausbesetzung

Foto: © Foto: © Tomáš Železný | Jugend debattiert international
Hausbesetzung ist ein Thema, dass nicht nur in Tschechien sehr aktuell ist. Wie lange dürfen Häuser leer stehen, was soll mit den denkmalgeschützten Häusern passieren, die zerfallen und oft Opfer von Spekulationen werden? Wer ist verantwortlich und warum können die Gebäude nicht zwischengenutzt werden, wenn sie doch unbewohnt sind? Auch Jugend debattiert international hat sich in diesem Jahr der Frage „Soll Hausbesetzung entkriminalisiert werden?“ angenommen und zum Debattenthema des 11. Landesfinales in Tschechien gemacht.


Die beiden Gewinner Iva Lambová und František Posolda haben für jádu die Debatte noch einmal auf Skype geführt. Diesmal durften sie jedoch ihre eigene Meinung vertreten. Auf dem Jdi-Landesfinale hatte das Los entschieden, dass sie die in der Debatte die Rolle des jeweils anderen übernehmen mussten.

Um die kompletten Argumente der beiden Debattanten zu sehen, klickt bitte auf die farbig markierten Textpassagen!

Eröffnungsreden

[16:24:27] Iva Lambová
Eigentum verpflichtet.
Hausbesitzer, die ihre Immobilien absichtlich verfallen lassen, übertreten Gesetze. Absurd ist, dass der Staat sie schützt, aber die Leute bestrafen kann, die sich engagieren, und das Lebensniveau verbessern möchten.

Die Gebäude verfallen, die Besitzer spekulieren – das bedeutet, dass sie darauf warten, dass die Gebäude abgerissen werden müssen und das Grundstück so noch mehr Geld bringt. Diese Besitzer kümmern sich nicht um das Eigentum, trotzdem steht in der tschechischen Urkunde für menschliche Grundrechte und Freiheiten im Artikel 11: „Eigentum verpflichtet.“

Die Hausbesitzer übertreten auf diese Weise die Gesetze, aber der Staat ist zu schwach, etwas generell ändern zu können.

Wenn der Staat in einem Bereich nicht richtig funktioniert, haben die Bürger das Recht, die Initiative in die eigenen Hände zu nehmen und im Namen des öffentlichen Interesses zu handeln.

Deshalb fragen wir uns heute, ob die Haubesetzung in Tschechien entkriminalisiert werden soll.

Wir möchten ein neues Gesetz, das genau definiert, dass die Hausbesetzer, die ein länger leer stehendes Gebäude besetzen, nicht vorbestraft werden können, sondern nach Verwaltungsrecht eine Ordnungsstrafe bekommen könnten. Dieses soll ab Jahr 2016 gelten.

Entkriminalisierung bedeutet, dass es nicht legal aber auch nicht illegal ist. Es ist nicht kriminell sondern legitim.

Die Absurdität ist, dass der Staat von unseren Steuern den Schutz für die Leute bezahlt, die Gesetze übertreten aber die Leute bestrafen kann, die sich engagieren, Lebensniveau verbessern möchten und ein Sozialzentrum gründen.

Außerdem spricht für meinen Vorschlag, dass es in den Städten nicht genug Wohnraum für alle Menschen und Subkulturen gibt. Aber jeder muss irgendwo wohnen.

Aus diesen Gründen bin ich heute dafür, dass die Hausbesetzung in Tschechien entkriminalisiert werden soll.

[16:38:35] František Posolda
Das Recht auf Eigentum ist unantastbar.
Niemand sollte das Recht haben, gegen den Willen des Eigentümers dessen Immobilie zu verwenden – und wenn das passiert, sollte die Polizei die Möglichkeit haben einzugreifen, genau wie bei einem Einbruch.

Du sagst, dass wenn der Staat in einem bestimmten Bereich einen Mangel oder Problem hat, soll im Namen des öffentlichen Interesses gehandelt werden. Trotzdem gibt es hier die Verfassung, der die anderen Gesetze unterliegen sollen. Und wir sollen uns in erster Reihe dessen bewusst sein, dass die Hausbesetzung ganz im Widerspruch mit der Verfassung der Tschechischen Republik liegt.

Der Staat hat die Pflicht, die Freiheit jedes Bürgers zu schützen und unter den Grundrechten des Menschen betrachte ich das Recht auf Eigentum als sehr bedeutend und unantastbar.

Niemand sollte das Recht haben, gegen den Willen des Eigentümers seine Immobilie zu verwenden – und wenn das passiert, sollte die Polizei die Möglichkeit haben einzugreifen, genau wie bei einem Einbruch.

Manche Verfechter der Entkriminalisierung der Hausbesetzung behaupten, dass die ständige Gefahr der Hausbesetzung die Eigentümer zumindest motivieren würde, sich um die vernachlässigten Gebäude zu kümmern und sie wieder in einen guten Zustand zu bringen. Abgesehen davon, ob diese Behauptung richtig ist, ist das Drohen mit lauernden Hausbesetzern eine ziemlich lächerliche Lösung für die Probleme mit den vernachlässigten Gebäuden.

Aus diesen und noch anderen Gründen bin ich dagegen, dass die Hausbesetzung in Tschechien entkriminalisiert wird.

Freie Aussprache

[16:44:34] Iva
Warum soll der Staat kriminelle Hauseigentümer schützen?
Die Entkriminalisierung der Hausbesetzung soll eine Vorstufe der extremen Strafe der Enteignung sein.

František, du behauptest, dass die Hausbesetzung keine gute Lösung für unsere Probleme ist. Das sehe ich anders. Ich stimme dir zu, dass der Staat die Besitzer und Eigentum schützen sollte, aber warum soll er den Besitzern helfen, die auch etwas Kriminelles machen? Jetzt ist es so, dass wenn man sich nicht um eine Immobilie kümmert, der Staat das Recht hat, das Gebäude nach zehn Jahren zu enteignen. Das ist meiner Meinung nach schon eine sehr extreme Strafe. Die Entkriminalisierung soll eine Vorstufe sein, die für die Öffentlichkeit günstig ist.

[16:49:16] František
Besitzer vernachlässigter Gebäude sollen finanziell bestraft werden.
Das steht nicht im Widerspruch mit dem Eigentumsrecht.

Ich meine es eher so, dass die Besitzer der vernachlässigten Gebäude bestraft werden sollen. Und zwar finanziell. Zum Beispiel ist in Prag schon seit Jahren die so genannte Verordnung über Sauberkeit in Kraft getreten. Die Eigentümer sollen aufgrund eines Verstoßes gegen die sogenannte Verordnung über Sauberkeit finanziell bestraft werden – eine Lösung die nicht im Widerspruch mit den Menschenrechten – mit dem Eigentumsrecht ist. Diese Verordnung sollte meiner Meinung nach in der ganzen Tschechischen Republik gelten.

[16:54:43] Iva
Spekulanten zahlen die niedrigen Strafen, und nichts ändert sich.
Stattdessen könnten in leerstehenden Häusern Sozialprojekte entstehen.

Weißt du aber, dass die Besitzer, die spekulieren, oft Ausländer oder Firmen sind, die diese niedrigen Strafen einfach bezahlen aber nichts ändern werden. Sie zahlen nicht bei uns Steuern und der Staat hat trotzdem die Pflicht sie zu schützen. Ein Beispiel eines Gebäudes in Prag: Das ehemalige Kurhaus Na Slupi wurde im Jahr 2009 besetzt und als die schwerbewaffnete Polizei mit Helikopter in einem Tag die Gebäude geräumt haben, hat es 1,5 Millionen Kronen gekostet. Und das haben wir, die Bürger, bezahlt. Stattdessen, könnte da noch heute das Zentrum für Obdachlose stehen.

Dazu muss ich noch sagen, dass man mit menschlichen Grundbedürfnissen (zum Beispiel mit der Wohnung) nicht spekulieren sollte.

[17:02:04] František
Ein besetztes Haus ist keine geeignete Wohneinrichtung.
Die Lebensbedingungen sind auf schlechtem Niveau und oft gefährlich.

Ich stimme dir zu, dass die Eingriffe der Polizei sehr oft unangemessen und zu teuer sind. Trotzdem glaube ich, ist ein so genannter Squat, das Ziel der Hausbesetzer, keine geeignete Wohneinrichtung. Die Lebensbedingungen sind dort wirklich auf schlechtem Niveau – fließendes Wasser ist eine seltene Ausnahme. Wenn es bei der Hausbesetzung um alte, leerstehende Gebäude geht, können die Bewohner auch leicht verletzt werden. Wer sollte daran dann schuld sein? Die Hausbesetzer, die ohne Berücksichtigung des Willens des Eigentümers die Immobilie verwenden, oder der Eigentümer? Um das Problem mit vielen Obdachlosen, die es in Tschechien zweifellos gibt, zu lösen, sollte sich lieber die Zahl der ausgestatteten Einrichtungen beträchtlich erhöhen.

[17:08:51] Iva
Hausbesetzer kümmern sich um die Gebäude.
Sie vermindern die Kosten für die Renovierung. Leider gilt missbrauchtes Eigentum mehr als Solidarität.

Ich stimme dir zu, dass es nicht die idealen Wohnbedingungen sind, aber ein Sozialzentrum bedeutet, dass da freiwillig Leute arbeiten, die helfen Obdachlose und ehemalige Kriminelle wieder in die Gesellschaft einzugliedern oder Ausstellungen, Tage für Kinder und so weiter veranstalten. Laut Radka Hutmánková (Mitglied des Bürgervereins Jako doma) brauchen wir in Tschechien immer mehr Unterstützung für die Menschen und Asylhäuser. Heutzutage ist es leider normal, Begriffe wie Geld und missbrauchtes Eigentum der Solidarität und Sozialhilfe vorzuziehen. Außerdem kümmern sich die Hausbesetzer um die Gebäude, vermindern die Kosten für die Renovierung und haben auch die Unterstützung vom Denkmalschutz und dem Leiter der Abteilung für Denkmalschutz Jiří Skalický.

[17:17:58] František
Für Eigentümer ist die Besetzung ihrer Häuser unannehmbar.
In manchen Fällen verhinderte die Anwesenheit ungebetener Bewohner den Beginn der Renovierung.

Ich muss zugeben, es gibt Gebäude, die von den Hausbesetzern in einen besseren Zustand gebracht und wieder bewohnbar gemacht wurden. Auf der anderen Seite, wenn ich mich in die Rolle des Eigentümers versetze, gilt für mich immer die Hausbesetzung als unannehmbar. Als Beispiel können wir das Schloss Cibulka in Košíře nehmen. Der Eigentümer wollte das Schloss renovieren, aber hatte wegen der „ungebetenen Mieter“ nicht die Möglichkeit. Es gibt auch Fälle, in denen die Hausbesetzer einen Brand verursacht haben.

[17:25:59] Iva
Die Entkriminalisierung der Hausbesetzung soll Spekulanten abschrecken.
Sie könnte zu niedrigeren Mieten und mehr Wohnraum führen.

Du sagst, dass es manchmal passiert, dass die Hausbesetzer die Situation eher schlimmer machen. Das kann wirklich so sein. Aber meistens ist es umgekehrt. Wie bei dem Beispiel der Prager Klinika. Als da Polizisten gekommen sind, waren sie so überrascht, wie die Gebäude jetzt aussahen und wie es früher war, dass sie die „Squaters“ nicht mehr raus haben wollten. Ich persönlich bin auch sehr beeindruckt, dass es heute noch Leute gibt, die freiwillig und kostenlos anderen Menschen und der Gesellschaft helfen wollen. Für mich ist besonders wichtig, dass die Entkriminalisierung der Hausbesetzung keine Strafe sondern eine Hilfe ist. Das bedeutet auch, dass es zu niedrigeren Mieten und mehr Wohnraum führen würde oder die Spekulanten ihre Immobilie lieber sehr billig vermieten würden, zum Beispiel an Studenten.

[17:32:17] František
Das Leben in besetzten Häusern hat eine dunkle Seite.
Es werden Drogen genommen, und sie dienen als Zuflucht für Straftäter.

Ich bin überzeugt davon, dass die Situation in der besagten Klinika dank der Hausbesetzer wirklich besser ist. Trotzdem kenne ich persönlich ein paar Hausbesetzer, von denen ich weiß, dass das Leben in besetzten Häusern auch eine dunkle Seite hat. Oft werden Drogen genommen und auch Straftäter können sich da leicht verstecken.

Schlussreden

[17:36:10] Iva
Ich bin immer noch für die Entkriminalisierung der Hausbesetzung.
Es sollten die bestraft werden, die sich nicht um ihr Eigentum kümmern, und nicht die, die sich gesellschaftlich engagieren.

Wir haben uns heute gefragt: Soll die Hausbesetzung in Tschechien entkriminalisiert werden? Die Contra Seite hat hervorgehoben, dass das Eigentum unantastbar ist und der Staat das schützen soll. Die Frage ist, ob es wichtiger ist, dass die Besitzer die Gesetze übertreten oder dass sie etwas besitzen. Für mich ist entscheidend, dass wir die schlechten Leute bestrafen und nicht die, die nur helfen möchten und gute Gründe haben. Deshalb bin ich heute immer noch für die Entkriminalisierung.

[17:39:33] František
Ich bin immer noch gegen die Entkriminalisierung der Hausbesetzung.
Die Besetzung einer Immobilie gegen den Willen des Eigentümers steht im Widerspruch zur Verfassung.

Während der Debatte waren wir uns einig, dass die Hausbesetzer manchmal den Zustand der Gebäude verbessern können. Für Iva war wichtig, dass die leerstehenden Immobilien zumindest (und manchmal auch gut) verwendet werden und Platz für Wohnraum schaffen können. Ich muss aber darauf beharren, dass es unhaltbar ist, im Widerspruch mit der Verfassung zu handeln und die Immobilie gegen den Willen des Eigentümers zu besetzen. Deshalb bin ich immer noch dagegen, dass die Hausbesetzung in Tschechien entkriminalisiert wird.

Iva und František sind mittlerweile Experten auf diesem Gebiet. Bei Jugend debattiert international haben sie außerdem gelernt ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und einzusetzen, Argumente überzeugend vorzutragen und Meinungsverschiedenheiten sachlich zu lösen.

Im Oktober 2015 werden Iva und František an der Internationalen Finalwoche in der lettischen Hauptstadt Riga teilnehmen, wo sie auf die Landessieger aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Russland, Ungarn und der Ukraine treffen werden.

Foto: © Tomáš Železný | Jugend debattiert international
jdi-Landessieger 2015: Iva Lambová und František Posolda, Foto: © Tomáš Železný | Jugend debattiert international

Tatyana Synková
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Jugend debattiert international

Copyright: Goethe-Institut Prag
September 2015

    Das Format von Jugend debattiert international

    Jeweils vier Schüler, zwei Pro, zwei Contra, debattieren insgesamt 24 Minuten auf Deutsch zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragen. Jeder der vier Debattanten hat zu Beginn zwei Minuten Redezeit. Anschließend folgen zwölf Minuten freie Aussprache. Für das Schlusswort steht jedem Schüler nochmals eine Minute zur Verfügung, in der er seine Meinung im Lichte der Debatte auch ändern darf. Die Jury vergibt Punkte für die Kriterien Sachkenntnis, Ausdrucksvermögen, Überzeugungskraft und Gesprächsfähigkeit. Sprachkenntnisse werden nicht gesondert bewertet. Die Juroren geben jedem Teilnehmer mit der Bewertung Tipps und Hinweise zur Verbesserung seiner Leistung.

    Mehr unter www.jugend-debattiert.eu

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