Job

Für die Würde der Seefahrer

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Fiete Sturm, Diakon bei der Seemannsmission in Hamburg-Altona, Foto: © Janika Rehak

Seeleute aus aller Welt finden in Hamburg auf ihren seltenen Landgängen Zuflucht, Unterstützung und Gehör bei Fiete Sturm. Als Diakon der Seemannsmission ist er Bürokraft, Hausmeister und Seelsorger in einer Person.

Ein junger Mann sitzt am Vormittag alleine im Aufenthaltsbereich Seemannsmission in Hamburg-Altona und tippt Nachrichten in sein Smartphone. Fiete Sturm nimmt sich kurz Zeit für einen Plausch mit dem Seemann. Der ist gestern angekommen und heute schon wieder auf dem Sprung. Er wartet auf den Wagen, der ihn zum Schiff bringen wird. Ein paar Stunden an Land. Ein Bett, bei dem der Untergrund nicht schaukelt und schwankt. Dann geht es wieder aufs Meer hinaus.

„Das ist die Seemannsromantik von heute“, sagt Fiete Sturm. Er ist der Diakon der Seemannsmission, in der die Seeleute übernachten und in der Kellerbar bei nostalgisch-maritimem Charme Zerstreuung finden können. Im Shop gibt es außerdem Hygieneartikel zu kaufen und Snacks aus Fernost. Mangosaft, Krabbenchips, Nudelsuppen zum Selbst-Aufbrühen werden importiert. Die meisten Gäste sind Filipinos, für sie ist das ein Stückchen Heimat.

Der Seemann, der Sturm und Wellen trotzt, dem salziger Wind um die Nase weht, der die ganze Welt bereist, in jedem Hafen mit einem anderen hübschen Mädchen anbandelt und nicht ganz wahrheitsgetreu, aber sehr fesselnd von seinen Abenteuern erzählt. Diese romantische Vorstellung gibt es immer noch in vielen Köpfen. Die Realität sieht inzwischen ganz anders aus. Wenn ein Seemann im Jahr 2016 anheuert, dann begibt er sich zum Hafen – genauer gesagt, zum Flughafen. Mit dem Flieger werden die Seeleute dorthin gebracht, wo sie gebraucht werden. In Shanghai, Tokio, Hamburg oder einer anderen Hafenstadt geht es an Bord – und dort bleibt die Crew dann auch für Wochen und Monate.

Den Kummer an Land abladen

In Hamburg sorgt die Deutsche Seemannsmission Altona e.V. dafür, dass auf den seltenen Landgängen eine „würdevolle Unterkunft“ bereitsteht. Hier finden die Seeleute außer einem Nachtlager auch ein Ohr bei Diakon Fiete Sturm. Neben Essen, Schlafen und Gesellschaft haben viele Missionsgäste nämlich ein weiteres grundlegendes Bedürfnis: Reden. Erzählen, berichten, das Herz ausschütten, Kinderfotos zeigen, lamentieren oder mal ordentlich über die Situation schimpfen. „In der Regel geht es gar nicht darum, Probleme umfassend zu wälzen oder gar Lösungsansätze anzubieten“, erklärt er. Dafür sei die Zeit zu kurz, die zwischenmenschliche Distanz am Ende doch zu groß. „Vielen reicht es vollkommen, sich mit ihren Sorgen ernst genommen zu fühlen.“

Denn Dienst auf einem Frachtschiff ist ein echter Knochenjob: 70 bis 80 Stunden pro Woche wird geschuftet, Urlaubstage werden meistens ausgezahlt. In die Heimat geht es alle neun bis zwölf Monate und dann nur für ein paar Tage. Danach wird schon auf dem nächsten Schiff angeheuert. 500 Dollar verdient ein philippinischer Seemann als Grundgehalt. Mit ausgezahlten Überstunden und Urlaub kann er es auf einen Nettoverdienst von etwa 1000 Dollar bringen. Das meiste geht an die Angehörigen zu Hause: „Ich opfere mich für meine Familie“, erklären viele Väter ihre Motivation. Eine Familie, die sie so gut wie nie sehen.

Auf hoher See kann gelegentlich eine Email verschickt werden. Facetime und Skype sind (noch) eine technische Unmöglichkeit, außerdem kostet Zeit im Netz Geld, das vom Gehalt abgezogen wird. Kollegen sind auch kein wirklicher Ersatz: „Auf einigen Schiffen sprechen die Seeleute sich nicht einmal mit Namen an“, weiß Fiete, „sondern bloß mit Rang oder Funktion.“ Die Gefahr der Vereinsamung ist groß. Auf Kreuzfahrtschiffen ist die Arbeit körperlich nicht ganz so anstrengend, die sozialen Kontakte sind etwas vielfältiger. Trotzdem sitzt das Crewmitglied am Ende der Schicht allein in seiner Kabine.

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Fiete mit Freiwilligendienstler Philip in der Kellerbar der Seemannsmission, Foto: © Janika Rehak

Das Mittelmeer wird zur emotionalen Belastungsprobe

Wenn ein Seefahrer angesichts der physischen und psychischen Strapazen einen seelischen Beistand braucht, kann er sich in Hamburg an Diakon Fiete wenden. Der betont jedoch: „Wir heißen zwar Seemannsmission. Aber wir leisten keine Missionierungsarbeit.“ Welcher Religion sich die Gäste zugehörig fühlen – oder eben auch nicht – spielt keine Rolle. Doch gerade seit immer mehr Flüchtlinge auf dem Mittelmeer in Seenot geraten, sind seelsorgerische Dienste für viele Seeleute wichtiger denn je. Sowohl Kreuzfahrt- als auch Frachtschiffe sind zu Rettungsmaßnahmen verpflichtet. Doch manchmal kommt jede Hilfe zu spät. „Einige Seeleute haben Menschen vor ihren Augen untergehen sehen“, so Fiete. „Diese Bilder bleiben hängen. Manch einer würde am liebsten gar nicht mehr auf dem Mittelmeer arbeiten.“

Die Seeleute finden in der Seemannsmission aber auch ganz konkrete Hilfsangebote, zum Beispiel, wenn sich die Reedereien nicht an die Vertragsbedingungen halten, die Heuer verspätet oder gar nicht ausgezahlt wird. Die Mission vermittle dann an die entsprechenden Stellen weiter oder werde selbst aktiv, so Fiete.

Damit solche Dienste finanziert werden können, ist die Seemannsmission auch auf Spenden angewiesen. Am Nachmittag macht Fiete deshalb eine Tour durch die nahe gelegenen Restaurants, um dort Spendenboxen aufzustellen. Die müssen vorher mit dem Logo der Seemannsmission beklebt werden. Danach steht noch ein Gespräch in einem anderen Seemannshotel an, in Hamburg gibt es insgesamt drei. Kooperation statt Konkurrenz ist die Prämisse. „Wir sind gut vernetzt“, beschreibt Fiete das Verhältnis.

Singende Seemänner – Ein wahres Klischee

Wenn er nicht gerade für die Mission unterwegs ist, arbeitet Fiete in seinem Büro mit Aussicht auf die Hafenanlage Emails ab und pflegt die Website der Seemannsmission. Oder er dreht eine Runde durchs Haus, schaut nach, ob im Billardraum, dem Computerraum und im Garten alles in Ordnung ist. Dabei sucht er auch die hauseigene Kirche auf. Dort hält er gelegentlich selbst Gottesdienste ab. Heute jedoch sammelt er lediglich ausgebrannte Kerzen – und drei benutzte Kaffeetassen. Er nimmt es gelassen: „Vielleicht sollten wir mal ein Hinweisschild aufstellen, dass in dir Kirche nichts verzehrt werden darf.“

Wenn Fietes vielfältiger Arbeitstag am frühen Abend langsam zur Neige geht, kommt Leben in die Bar. Da gibt es Getränke, Gespräche, Geschichten, Gesang. „Seeleute sind sehr musikaffin“, erzählt Fiete. Deshalb liegen auch immer zwei Gitarren bereit, auf denen dann Lieder aus fernen Ländern erklingen. Packt Fiete dann nicht manchmal selbst das Fernweh? „Natürlich fahre auch ich gerne mal in den Urlaub“, sagt er. „Aber im Moment fühle ich mich in Hamburg einfach viel zu wohl, um freiwillig weg zu wollen.“ Er sei spannend, andere Kulturen, Mentalitäten und Denkweisen kennen zu lernen. Doch während die Seeleute nach ein paar Stunden wieder gehen müssen, ist Fiete froh, dass er bleiben kann. Er liebt seinen Job. „Ich habe das Gefühl, genau da angekommen zu sein, wo ich gerade sein möchte.“


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August 2016

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