Kultur

Dokumentarfilm gesucht

Aero Film

Der neue Dokumentarfilm „Hledá se prezident“ („Präsident gesucht“) über die erste Direktwahl des tschechischen Präsidenten zeigt Dinge, die aus den Medien längst bekannt sind.

Karl Schwarzenberg mit der Schlagersängerin Marie Rottrová. Foto: © Aero Film

Die Menschen in Tschechien hat schon lange nichts mehr so sehr bewegt, wie die historisch erste Direktwahl des Präsidenten, die am 26. Januar 2013 mit dem Sieg von Miloš Zeman endete. Ob in der Arbeit, der Schule, in der Kneipe oder zu Hause am Abendbrottisch – die Diskussionen drehten sich zum Jahresende 2012 fast ständig um die neun Präsidentschaftskandidaten. Zeitweise ersetzte die Frage „Wen wirst du wählen?“ sogar die übliche Begrüßung und wurde zum Standardrepertoire fast jedes Gesprächs. Hinter den einzelnen Kandidaten scharten sich auf einmal gänzlich unkritische Anhänger, die sich einen Button mit dem Konterfei ihres Favoriten an die Jacke steckten und in den sozialen Netzwerken bis zur völligen Erschöpfung für ihren Kandidaten agitierten. Und genauso vehement traten die politischen Gegner in Erscheinung, unfähig, eine andere Meinung zu akzeptieren. Der Filmemacher Tomáš Kudrna beobachtete indes die andere Seite – er begleitete mit der Kamera alle Präsidentschaftskandidaten. So entstand der Dokumentarfilm „Präsident gesucht“ („Hledá se prezident“).

Ein jeder hatte seinen eigenen Favoriten. Es war einerseits begrüßenswert, wie die Präsidentschaftswahl in den Menschen das Interesse an öffentlichen Angelegenheiten entfachte. Andererseits konnte man sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, dass einige die Wahl übertrieben leidenschaftlich durchlebten und offenbar vergessen hatten, dass keiner der Kandidaten das Leben dramatisch verändern wird – und der Brotpreis auch gleich bleibt.

Jiří Dienstbier, Kandidat der Sozialdemokraten und jüngster Bewerber um das Präsidentensamt. Foto: © Aero Film

Natürlich widmeten auch die Medien der Wahl und dem Wahlkampf gebührende Aufmerksamkeit. Dabei ging es bei weitem nicht nur darum, die Finanzierung der einzelnen Wahlkampagnen aufzudecken (bei einigen Kandidaten ist sie allerdings bis heute unklar). Bereits seit Juli 2012 füllten die potentiellen Präsidenten auch die Boulevard-, Society- und Lifestyle-Rubriken. Im Juli begann auch der Dokumentarfilmer Tomáš Kudrna mit den Dreharbeiten. Ihm wurde etwas ermöglicht, wovon viele andere Journalisten nur träumen konnten.

Der Blick von innen

Das Besondere: Die Kandidaten erlaubten dem Filmemacher, bei den Beratungen der Wahlkampfstäbe dabei zu sein und das Geschehen hinter den Kulissen mit zu verfolgen. Die einzige Bedingung: Keine Veröffentlichung vor dem Ende der Präsidentschaftswahlen. Ist es dem Filmemacher unter diesen Bedingungen gelungen, einen interessanten Dokumentarfilm zu drehen? Hat er die gesellschaftliche Stimmung während des Wahlkampfs gut eingefangen? Hat er es geschafft, das „Phänomen Präsident“ nahezubringen?

Jan Fischer galt laut Umfragen lange als Topfavovrit auf den Wahlsieg. Foto: © Aero Film

Leider nein. In den PR-Materialien zu seinem neuen Dokumentarfilm Präsident gesucht, der am 21. März 2013 in die Kinos kam – eine Woche nach der Amtseinführung von Präsident Zeman –, brüstet sich Regisseur Kudrna damit, sein Film zeige „den Präsidentschaftswahlkampf und die Wahl auf eine Art und Weise, wie es in den Medien nicht zu sehen war“. Das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Wie bereits gesagt wurde, besteht das Besondere des Films darin, dass die Kamera die Möglichkeit hatte, in den Wohnmobilen, den Garderoben und Büros der Kandidaten zu filmen sowie bei den Meetings der engsten Berater dabei sein zu können. Wir bekommen dabei hauptsächlich mit, dass in Tschechien niemand in der Lage ist, einen Präsidentschaftswahlkampf zu führen. Und wenn man die selbsternannten Marketing-Meister, Ideengeber und Public-Relations-Manager dabei beobachtet, wie sie es dennoch versuchen, dann wirkt das zumindest grotesk.

Was soll man beispielsweise darüber denken, dass Leute aus dem Team von Miloš Zeman die Präsidenten-Tochter Kateřina dazu ermuntern, auf Facebook „Gas zu geben“, um ein bisschen „die Jungen zu beackern“. Seltsam wirkt auch die Momentaufnahme aus dem Stab von Karel Schwarzenberg, in dem mit ihm, dem Kandidaten der Partei TOP 09, ein Promo-Video gedreht wird, dieser allerdings überhaupt nicht ahnt, worum es geht und wie das Ergebnis aussehen wird. Der (später ausgeschlossene) Kandidat Tomio Okamura sorgt mit seinem Auftritt direkt für ungläubiges Lachen: Man schaut ihm dabei zu, wie er vor den Einwohnern der Gemeinde Vrbno pod Pradědem eine bizarre Talkshow veranstaltet. „Gaststar“ dieser Show ist Vitězslav Vávra, ein längst vergessener Schlagersänger der 80er Jahre, der in den Talkpausen seine Liedchen zum Besten gibt. Für Stirnrunzeln sorgt auch die Kandidatin Táňa Fischerová, die niemand von der bemerkenswerten Idee abbringen konnte, einen Präsidentschaftswahlkampf von der Küche, beziehungsweise von dem Wohnzimmer aus zu führen. Diese Einblicke des Films in die politische Küche sind tatsächlich interessant und anders als die bekannte Berichterstattung der Medien. Alles andere an der Dokumentation ist jedoch eine Bestätigung und Potenzierung des allgemein bekannten Medienbildes der Kandidaten.

Längst bekannt

Es wird uns nämlich ständig etwas gezeigt, was wir schon längst wissen. Zum Beispiel, dass der neue Präsident Miloš Zeman ein offensichtlich mehr als positives Verhältnis zum Alkohol hat. Das stellt er beispielsweise vor Rundfunk- oder Fernsehdebatten unter Beweis, wo er alle möglichen Schnäpse bestellt. Oder bei einem gemeinsamen Fototermin, wo er wie im Rausch seine Gegenkandidatin Jana Bobošíková an den Schultern schnappt.

Filmemacher Kudrna betont auch mehrfach das ständige Bedürfnis Zemans, jede Situation zu beherrschen. Er vergisst es auch nicht, auf Zemans tiefe Antipathie gegenüber dem sozialdemokratischen Kandidaten Jiří Dienstbier hinzuweisen.

Miloš Zeman, der Gewinner der Wahl und heutige Präsident Tschechiens. Foto: © Aero Film

Karel Schwarzenberg wird wiederum immer wieder als müder alter Mann gezeigt, der am Ende offenbar keinen großen Spaß mehr am Kandidatenschaulaufen hatte. Jan Fischer, ein im Vorfeld hoch gehandelter Kandidat, der allerdings grandios scheiterte, wird in dem Film als ein sehr unsicherer, geradezu krankhaft nervöser Mann gezeigt, für den selbst das staatsmännische Posieren für ein Wahlplakat ein großes Problem darstellte. Aber auch das ist aus den Medien bekannt. Kudrna verbrachte mit den Kandidaten unglaubliche 105 Tage, nahe ist er ihnen aber überhaupt nicht gekommen. Sie zeigen sich genauso, wie man sie aus der sonstigen Fernsehberichterstattung kennt.

Fast noch ärgerlicher ist allerdings die Tatsache, dass der Film auch in formaler Hinsicht jeglicher Originalität entbehrt. Er wirkt, als käme er direkt vom Fließband einer Dokumentarfilm-Fabrik. Er hat kein Profil, nichts Bemerkenswertes. Regisseur Kudrna entschied sich für die Observationsmethode, bei der das Geschehen vor der Kamera einfach nur beobachtet wird, ohne Eingriffe oder Kommentare. Das ist ein bekanntes Verfahren, das auch seine Berechtigung haben kann. In Kudrnas Regie wirkt diese Art zu beobachten allerdings unglaublich stumpf, dumm und bieder. Präsident gesucht ist genau das, was man sich als erstes vorstellt, wenn von einem „Dokumentarfilm über den Präsidentschaftswahlkampf“ gesprochen wird. Ein mutlos geradliniger Film ohne jegliche persönliche Handschrift des Autors (womit nicht die politischen Präferenzen des Regisseurs gemeint ist); eine mechanische Szenenabfolge zwischen den einzelnen Wahlkampfstäben. Ein Dokumentarfilm sollte Publizistik im besten Sinne des Wortes sein, der Film Präsident gesucht ist eigentlich nur ein Zeugnis darüber, was sich abspielt, wenn das Tschechische Fernsehen oder der Sender Prima Family ihre Kameras ausgeschaltet haben.

Nur für Außenstehende

Das Traurigste daran ist allerdings die Feststellung, dass der interessanteste Moment des Films von der Konkurrenz stammt, nämlich vom Dokumentarfilmer Vít Klusák, der im Rahmen des Projektes Český žurnál (Tschechisches Journal) auch eine Präsidentschaftsdoku mit dem Titel Spřízněni přímou volbou (Direktwahlverwandtschaften) drehte. Kudrna filmt Klusák, wie dieser auf Zemans Wahlparty den einflussreichen Lobbyisten Miroslav Šlouf fragt, was er denn auf der Feier mache, wo sich doch Zeman und er voneinander distanziert hätten. Er stellt auch weitere Fragen und bringt Šlouf damit sichtlich in Bedrängnis. Kudrna steht abseits und filmt das Gespräch. Man hätte Verständnis für jeden, der ihn für einen schwedischen Kameramann halten würde, der Schnittmaterial für eine Nachrichtensendung dreht.

Trailer zum Dokumentarfilm „Präsident gesucht“ („Hledá se prezident“). © Aero Film

Kudrnas Film ist letztlich nur für Ausländer interessant, die sich für die Vorgänge rund um den Präsidentschaftswahlkampf interessieren. Oder aber für Tschechen, die das letzte halbe Jahr im Koma lagen oder ohne Internet unter Eingeborenen auf Papua-Neuguinea verbracht haben. Er zeigt weder etwas Neues noch Interessantes oder Spannendes, auch werden keinerlei ungeahnte Zusammenhänge offenbart. Kudrna sagt bei jeder Gelegenheit, dass er eine „Diskussion anregen“ möchte, beziehungsweise dass sich „die Zuschauer selbst eine Meinung bilden sollen“. Klischeehafter geht es nicht. Interessant daran ist, dass ähnliche Wünsche meistens Menschen äußern, die keine eigene Meinung haben. Oder aber sie wollen eine Diskussion anregen, die schon längst begonnen hat. Im Falle der Präsidentschaftswahlen ist diese Diskussion bereits am Einschlafen. Und Kudrnas Film wird sie mit Sicherheit nicht wiederbeleben.

Jan Škoda
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Mai 2013

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