Kultur

Magisch, auch ohne billige Zaubertricks

Foto: © 2013 Kulturanker e.V.© 2013 Kulturanker e.V.
Das Herzstück des Mystique-Festivals: ein achtstöckiges verwaistes Bürogebäude in der Magdeburger Neustadt. Foto: © 2013 Kulturanker e.V.

Alte Industrie-und Bürogebäude, Abrisshäuser und verwilderte Schuttplätze in verwahrlosten Gebieten gibt es in fast allen Städten. Sie gelten als Schandflecke und sind Orte, die man nur ungern seinen Gästen beim Sonntagsspaziergang zeigt. Der Magdeburger Verein „Kulturanker“ beweist in diesen Tagen, dass sie auch eine Pilgerstätte für Kunstinteressierte werden können.

„Unser Projekt wird beweisen, dass dieser Ort Potential hat und dadurch hoffentlich neue Ideen ins Leben rufen, die den Stadtteil positiv verändern werden“, sagt Dr. Karsten Steinmetz, Vorsitzender des Kulturanker e.V. über das Herzstück des Mystique-Festivals: ein achtstöckiges verwaistes Bürogebäude in der Magdeburger Neustadt.

Kunst und Musik statt Grau und Büro

Tausende Aktenordner, Schreibtische und Bürostühle sind Installationen, Gemälden und Fotografien gewichen. Schon am Tag der Eröffnung von Mystique- die bezaubernde Seite der Kunst gab es Ansturm an der Kasse. Hinter dem Hallengebäude begrüßt der Magdeburger Kulturbeigeordnete Dr. Rüdiger Koch die Gäste, dankt den Helfern und eröffnet das Kunstbüffet. „Wer auf Wissenschaft und Kultur setzt, setzt auf die Zukunft“, heißt es im üblichen Politikersprech. Bei den Zuhörern rennt Koch damit offene Türen ein.

Währenddessen tropft es von den Decken der drei großen Hallen. Hier und da steht ein Eimer um die Tropfen aufzufangen. Aber die angenehme Muffigkeit der Hallen unterstützt nur zu gut das mystische Motto des Kunstfestivals. Das triste Grau am Himmel und in den Hallen wird unterbrochen von leuchtenden Skulpturen, von dem Gewimmel der neugierigen Besucher und der Livemusik auf der Bühne draußen.

„Ich brauche genau solche Momente, um wieder zu glauben, dass Magdeburg toll ist. Es gibt andere, die eine vorgefertigte Meinung haben und sagen, dass es keine schöne Stadt ist“, erzählt eine beeindruckte Besucherin. Dann haben die anderen wohl noch kein Projekt des Kulturanker e.V. gesehen.


Kabinett der Künste-Teil 7

Seit 2007 veranstaltet der Verein jedes Jahr ein mehrwöchiges Kunst-und Kulturprojekt in der Reihe „Kabinett der Künste“. „Schon immer war es eines der Hauptanliegen des Kulturanker e. V., in der Stadt und der Region Magdeburg ein besonderes Kulturerlebnis zu schaffen, das nicht nur einer kleinen Schar kunstversierter, sondern auch dem breiten Publikum die Lust vermitteln sollte, Eigenes zu schaffen und Eigenes zu leben“, formuliert Steinmetz das Konzept des Vereins.

Im Sommer 2012 wurden die Räume des alten Krankenhauses umgestaltet. Dieses Mal stehen größere Flächen in den Hallen zur Verfügung und im Unterschied zu vorherigen Jahrgängen sind fast ausschließlich professionelle Künstler am Werk. „Man merkt tatsächlich, dass die Kunst anders ist. Es wirkt voller, obwohl es weniger Räume sind als letztes Jahr“, bemerkt eine Besucherin.

Das Herzstück von Mystique ist das achtstöckige Bürogebäude. 100 internationale Künstler haben sämtliche Räume und Gänge des 18 Jahre leer stehenden Hauses in der Magdeburger Neustadt bevölkert, gestaltet und verändert. Das Thema ihrer Werke ist das Mystische, Zauberhafte, Unerklärliche, Veränderung und Magie. Ob verspielte Fotos von Blumenmädchen, Holzplatten die mit Wollfäden bestickt sind oder Graffitis an den Wänden, alles hat hier seine Berechtigung. „Es war schön zu sehen, wer sich alles beworben hat – renommierte und studierte Künstler, die zum Beispiel schon an der Biennale teilgenommen haben, aber natürlich auch viele Nachwuchskünstler. Viele kommen aus Magdeburg und Umgebung, es sind aber auch Künstler aus Ungarn, Schweden und Nashville dabei“, sagt Thomas André, der selbst Bildhauer und Maler ist und als Mitglied des Beirates für die Beurteilung der Bewerber verantwortlich war.

In einem der Stockwerke trifft man auf eine Menschenmenge, die kauend um einen Tisch herum steht. Ein bisschen eigenartig wirkt das, doch bei näherem Hinsehen entpuppt es sich als witzige Installation der Hamburger Künstlerin Simone Brühl. Man kann sich einen der bunten Kaugummis nehmen, kauen und ihn dann kunstvoll auf einen Zahnstocher drapieren. Später werden die Kaugummis zu einem Globus zusammengesetzt. Brühls Projekt ist städteübergreifend und wächst immer weiter.

Foto: © Franziska Herz
Interaktive Projekte sind sehr oft zu finden, wie diese Installation von Simone Brühl. Foto: © Franziska Herz

Acht Stockwerke voller neuer Eindrücke und guter Ideen sind leider zu viel für einen Tag und ein Menschenhirn. Aber die Ausstellung ist jeden Tag geöffnet und es lohnt sich öfter hinzugehen, da sich vieles verändert. Es gibt offene Ateliers, die ihre Arbeit erst während des Festivals vervollständigen. Viele interaktive Projekte fordern die Besucher auf teilzuhaben und mitzugestalten.

Wenn die Sonne langsam untergeht, beginnt das Nachtleben auf dem Gelände. Die indirekten Lichter und Scheinwerfer machen die Hallen noch geheimnisvoller. Die Schatten der Menschen im Halbdunkel und Videoinstallationen auf Häuserfassaden geben einem das Gefühl, Teil von etwas Geheimnisvollem zu sein. Wenn die Ausstellung um 21:30 Uhr schließt, gehen die Lichter dort aus und im „Hasenstall“ an. Die hangarähnliche Halle ist perfekt geeignet für Tanzveranstaltungen.

Programmhöhepunkte neben der Ausstellung, sind Konzerte von regionalen und nationalen Bands wie I’m not a band, Nevertheless, Sookee, Pepe. Geplant sind aber auch Lesungen und Parties. Das Festival Mystique dauert noch bis zum 28. Juli 2013.


Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2013
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