Kultur

Überall besser als zu Hause?

Foto (Ausschnitt): Maya-Anaïs Yataghène (mayanais), CC BY 2.0Foto (Ausschnitt): Maya-Anaïs Yataghène (mayanais), CC BY 2.0
Rammstein-Konzert in Paris, 2012, Foto (Ausschnitt): Maya-Anaïs Yataghène (mayanais), CC BY 2.0

Sechs brennende Herzen, sechs Studio-Alben, Millionen von Fans. Die deutsche Industrial-Metal-Band Rammstein feierte kürzlich ihr zwanzigjähriges Bestehen, und die Fans feierten mit. Allerdings viel mehr im Ausland als in Deutschland.

Im Unterschied zu anderen Bands gilt die Redewendung „Zu Hause ist es doch am schönsten“ für Rammstein nicht. Die Stimmung bei den Konzerten in Deutschland steht denen im Ausland deutlich nach. Und das obwohl die meisten Liedtexte deutsch sind und von vielen nichtdeutschen Fans überhaupt nicht verstanden werden. Die deutsche Öffentlichkeit hat ein sehr kritisches Verhältnis zu Rammstein, und manchmal wird der Band auch vorgeworfen, rechtsradikalen Tendenzen zu folgen. Das löst bei den sechs Musikern jedoch einen Gegenreflex aus.

Rechtes Tabu

Die von den Bandmitgliedern getragenen engen Lederkostüme sind einerseits typisch für den Industrial-Metal-Stil, erinnern aber andererseits auch an Soldaten-Uniformen. Unverzichtbarer Bestandteil der Show ist auch der Einsatz von Pyrotechnik. Und das gefällt einigen Leuten überhaupt nicht. „Das Problem sind nicht die Texte, sondern die Gesamterscheinung, die schwere Marschmusik und die dazugehörige Inszenierung“, sagte in der redaktionellen Diskussion die Politologin und Journalistin Isabelle Daniel. Auch wenn bei weitem nicht alle Songs einem stampfenden Marschrhythmus folgen, so bestimmt dieses Markenzeichen das Image der Gruppe: „Ich hege ein wenig den Verdacht, dass Rammstein seine rechten Fans nicht vergraulen will.“ Isabelle Daniel weist auch darauf hin, dass sich Rammstein im Unterschied zu vielen anderen Bands an keinen Initiativen gegen Rechtsextremismus beteiligt hat.

Es sieht also ganz so aus, als schade der Gruppe am ehesten, dass sie sich demonstrativ unpolitisch gibt. Politik ist nämlich weder in der Musik noch im Privatleben der Bandmitglieder ein großes Thema. Vor dem Mauerfall lebten alle in der DDR, spielten Punk, und obwohl ihnen das Regime oft Schwierigkeiten bereitete, äußerten sie sich nicht zu den Lebensbedingungen im Kommunismus.

Doch wenn etwas leer ist, dauert es nicht lange, bis es jemand füllt. Und dadurch, dass Rammstein keinerlei Kommentare zu politischen Themen abgeben, verunsichern sie all diejenigen, die ein solches Verhalten von Prominenten nicht gewohnt sind.

Foto (Ausschnitt): Al Pavangkanan (drtran), CC BY 2.0
Rammstein-Konzert in Los Angeles, 2011, Foto (Ausschnitt): Al Pavangkanan (drtran), CC BY 2.0

Recht auf harte Musik

Auch wenn sich die Band lange Zeit nicht politisch äußerte, so gab es doch einmal einen Punkt, wo den Musikern der ewige Extremismus-Vorwurf zu viel wurde. In dem Song Links-2,3,4 singt Frontmann und Texter Till Lindemann: „Sie wollen mein Herz am rechten Fleck, doch seh' ich dann nach unten weg, dann schlägt es links.“ Der Berliner Journalist Ronald Galenza bestätigt in einem Dokumentarfilm über Keyboarder Lorenz die Absicht, die hinter dem Lied steckte: „Sie hatten es satt von den anderen als Rechtsextreme betrachtet zu werden, deshalb schrieben sie einen Song mit einem klar linken politischen Text.“ So als wollten sie der Welt mitteilen, dass sich politische Haltungen nicht vom musikalischen Genre ableiten lassen.

Der Musikjournalist Josef Vlček erinnert sich an eine zehn Jahre alte Geschichte aus Hamburg, als ein tschechischer Journalist den Begriff „nazistische Züge“ benutze: „Der Manager schmiss den Mann kurzerhand aus dem Saal, und kein tschechischer Journalist bekam an dem Tag noch ein Interview, damit sie kapieren, dass Rammstein mit so etwas nichts zu tun hat.“

Einen automatischen Zusammenhang zwischen einem Teil der Anhänger und dem Musikstil beziehungsweise der Band herzustellen, ist ein sehr holzschnittartiges Vorgehen. Die Rammstein-Fans stellen sicherlich keine homogene Gruppe dar. Schaute man sich beispielsweise beim Prager Konzert im Publikum um, so sah man sowohl Teenager in schrägen Klamotten als auch Mittvierziger, die morgens mit ihren Familien am Frühstückstisch sitzen bevor sie mit dem Kombi zur Arbeit fahren. In Deutschland gibt es aber allem Anschein nach neben dieser Art Zuschauer auch eine radikale Minderheit, die neben den bekannten Neonazi-Bands auch Rammstein hören. Und weil Radikale, auch wenn sie die Minderheit stellen, immer lauter als die anderen sind, entstand so ein schiefes Bild der Rammstein-Fangemeinde.

Der Journalist Pavel Turek vom Wochenmagazin Respekt erklärt sich die Verbindung von Rammstein und Extremismus mit einer oberflächlichen Wahrnehmung der Gruppe. „Die Leute lassen sich offenbar von der sehr maskulinen Erscheinung der Band und dem Marschrhythmus blenden“, erklärt er. Josef Vlček weist hingegen darauf hin, dass alles inszeniert ist, weil Musik und Auftreten der Band viele Elemente einer Art „Theater-Rock“ aufweisen: „Alle Bandmitglieder spielen klar definierte Rollen, die überhaupt nichts mit den Privatpersonen zu tun haben müssen.“

Worum es geht

Texter Till Lindemann sagt, dass alle seine Texte von der Liebe handeln. Er gebe allen ihren Spielarten Raum, ob nun den schönen, den verzweifelten, den perversen oder den quälenden. Nicht alle erkennen aber die Liebe in den Formen und Gestalten, die Lindemann ihr verleiht. Mit radikaler Expressivität dargestellte Seelenqualen können absurd wirken und sind für viele Menschen nur schwer zu verdauen. Vor allem wenn Kostüme und Requisiten auf der Bühne und in Videoclips das Erlebnis visuell verstärken.

„Das Interessante an Rammstein ist vor allem die Verbindung von hartem Metal, Elektronik, deutschem Kabarett und Expressionismus der Weimarer Republik“, interpretiert Josef Vlček die Band. Diese unterschiedlichen Elemente erkennen aber nur die wenigsten, vielleicht noch nicht mal Lindemann. Dass man die Musik durchaus unterschiedlich auslegen kann, beweist der Musikexperte Pavel Turek. Er sieht bei Rammstein Bezüge zur Poetik der deutschen Romantik oder der literarischen Klassik: „Das Lied Rosenrot ist eine bewusste Variation auf Goethe. Und der Song Haifisch ist wiederum eine Hommage an den linken Dramatiker Berthold Brecht.“

Foto (Ausschnitt): swimfinfan, CC BY-SA 2.0
Sänger Till Lindemann,Rosemont 2012, Foto (Ausschnitt): swimfinfan, CC BY-SA 2.0

Spuren der Vergangenheit

Natürlich ist es nicht so, dass außerhalb Deutschlands alle Rammstein lieben. Auch im Ausland provoziert die Band unterschiedliche Reaktionen, die meistens mit ihrer deutschen Herkunft zusammenhängen. Unsere empirische Umfrage unter 100 Befragten ergab, dass viele Tschechen Rammstein wegen ihrer Herkunft und der deutschen Sprache nicht mögen. Oder sie denken zumindest, dass das der Grund ist, weshalb die Band von den anderen abgelehnt wird. Es ist jedenfalls interessant, dass nahezu ein Viertel der Befragten die Fans der Band ausschließlich als Germanophile betrachtet.

Man kann aber auch eine entgegengesetzte Tendenz beobachten. Pavel Turek erinnert in diesem Zusammenhang an Statistiken, die belegen, dass Rammstein in Europa und den USA zu einem gestiegenen Interesse an der deutschen Sprache beigetragen haben. Und das obwohl sich die Band in keiner Weise als Botschafter der deutschen Kultur oder Sprache betrachtet. „Wir sind weder Fußball- noch Deutschland-Fans“, sagt Gitarrist Paul Landers im Dokumentarfilm Wer sie sind. Es ist jedenfalls klar, dass die Aura, die die einen anzieht und die anderen abstößt, der Band bisher Erfolg bringt. Und wenn sie ein gutes Gewissen hat, wäre es taktisch unklug, irgendetwas zu ändern.

Klára Bulantová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Februar 2014

    Rammstein

    Rammstein ist eine deutsche Musikgruppe, die im Januar dieses Jahres ihr zwanzigjähriges Bandjubiläum feierte. Ihre Mitglieder sind Till Lindemann (Gesang und Text), Richard Kruspe (Gitarre), Paul Landers (Gitarre), Oliver Riedel (Bass), Christian Lorenz (Keyboard) und Christoph Schneider (Schlagzeug). Bisher sind sechs Studio-Alben und mehrere Konzert-DVDs erschienen. Frontmann Till Lindemann hat Ende vergangenen Jahres seinen zweiten Gedichtband herausgegeben.

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