Kultur

Stück für Stück zum „Bau Stück“

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Kajetan Skurski und seine Freundin Jessica, die ihn ermuntert hat, seine Idee in die Tat umzusetzen, sind glücklich über die positive Resonanz. Foto: © Christoph Nolte

Kajetan Skurski hat sich einiges vorgenommen: Er will mitten im Berliner Stadtteil Wedding eine offene Bühne für jedermann bauen.

Die Bänke sind frisch gestrichen, kleine Origami-Vögel schwingen fröhlich im sommerlichen Wind, in den Beeten sieht man bunte Rosenpflänzchen. Mehr als einhundert Nachbarn, Freunde und zufällige Passanten treffen sich heute hier am Mettmannplatz. Der Platz, lange verwahrlost, hat sich dank Kajetan Skurski und seinen Freunden in einen Rückzugs- und Begegnungsort mitten in der Stadt verwandelt. Während die letzten Klänge der argentinischen Kumbia-Band verklingen, macht sich der Weddinger Autor Holger Haak bereit für seine Lesung. Eine Open-Air-Bühne mitten im Berliner Stadtteil Wedding, die für jeden offen ist und ein Treffpunkt für die unterschiedlichsten Menschen sein soll, das war Kajetan Skurskis Idee. Die „Generalprobe“ an diesem Augustsamstag scheint schon ein voller Erfolg zu sein. „So viel Unterstützung hätte ich nicht erwartet“, freut sich der Initiator.

Kajetan Skurski kam 2011 nach Berlin, um mehr über seine Leidenschaft, das Theater, zu lernen. Dazu hat er am Maxim-Gorki-Theater und an der Berliner Schaubühne, zwei angesehenen Berliner Bühnen, mitgearbeitet. „Ich wollte raus aus dem Theater, rein in den öffentlichen Raum und etwas machen, das ohne Eintritt funktioniert und für alle offen ist“, erklärt Kajetan. „Und das Ganze am besten vor der Haustür“, setzt er nach. So fiel die Wahl auf seine neue Heimat, den Wedding – ein Stadtteil, in dem noch kein kulturelles Überangebot wie etwa in Kreuzberg oder Neukölln herrscht.

Stadt selber machen

Berlin hat sich, besonders in den Nachwendejahren, rasant verändert. Viele Freiflächen wurden nach und nach bebaut. Eine Entwicklung, die anhält und mehr und mehr auch die zentrumsferneren Stadtteile erfasst. Das weckt nicht nur positive Assoziationen. Ganz in der Nähe des Mettmannplatzes wird zum Beispiel gerade „Europacity“ gebaut – ein Stadtquartier mit großen Bürogebäuden und Firmentowern. Bis vor Kurzem lag dort noch alles brach. „Als ich an dieser Großbaustelle vorbeigefahren bin, dachte ich, dazwischen müsste man etwas Kleines bauen, zwischen den Wolkenkratzern und Town Houses, die da gerade entstehen; und zwar nicht mit riesigen Maschinen, sondern mit den Händen, aus Holz, und zeigen: Wir können das auch“, erklärt Kajetan. „Diesem Gefühl, man könne keinen Einfluss darauf nehmen, was um uns herum passiert, wollte ich etwas entgegensetzen. Und ich hoffe, dass möglichst viele Menschen meine Faszination dafür teilen, etwas für den Kiez zu verändern, zu verbessern“, wünscht sich der 23-Jährige.


Mit seiner Idee, aktiv an der Stadtgestaltung teilzuhaben, hat der junge Theaterbegeisterte offensichtlich einen Nerv getroffen. Durch seine Aushänge und über Facebook haben sich innerhalb kürzester Zeit viele Unterstützer und Gleichgesinnte gefunden, die nun gemeinsam an der Umsetzung des „Bau Stücks“ arbeiten.

Da ist zum Beispiel Sandra. Die 30-Jährige arbeitet im Marketing eines Videospielentwicklers und engagiert sich in ihrer Freizeit für das Projekt. „Der Wedding ist ein sehr gemischter Bezirk. Mir ist wichtig, dass sich hier jeder willkommen fühlt, dass wir es so barrierefrei machen wie möglich und kostenlos. Ob der freundliche Nachbarschaftsrapper oder die Kindergartengruppe: Jeder der will, kann hier etwas aufziehen“, sagt Sandra.

Raus aus der Anonymität

Ein älterer Herr aus dem Haus gegenüber lächelt Sandra an und sagt, es sei sehr schön, dass man mal etwas aus dem lange vernachlässigten Platz mache. Später kommt eine Pfandflaschen-Sammlerin auf ihrer Tour vorbei, setzt sich auf die frisch gestrichene Bank und lauscht der Musik. Ein Portugiese, der vor zwei Wochen nach Berlin gezogen ist und gerade die Stadt erkundet, hat sich ein schattiges Plätzchen gesucht und liest Zeitung, während neben ihm im frisch gereinigten Sandkasten zwei kleine Kinder spielen. Ein paar Meter weiter steht Sabina. Sie wohnt auch im Wedding und findet es gut, dass sich etwas bewegt in ihrem Kiez: „Hier einen eigeninitiierten, selbst geplanten Treffpunkt zu schaffen, ist eine sehr schöne Idee, denn das Zwischenmenschliche geht in der Großstadt, wo alles so anonym ist, oft ein bisschen verloren“, sagt die 22-jährige Studentin.

Unterstützung 2.0

Nicht nur die vielen Menschen, die bei dem heutigen Fest dabei sind, auch die Stadt Berlin ist dem „Bau Stück“ wohlgesonnen und prüft gerade den Projektantrag. Die „Conrad-Stiftung Bürger für Mitte“, deren Ziel es ist, engagierte Bürgerinnen und Bürger bei der Mitgestaltung des Gemeinwesens zu unterstützen, hat bereits finanzielle Unterstützung zugesagt.

Baubeginn für die offene Bühne soll am 12. September sein, bespielt werden soll sie ab Oktober. „Jeder kann dazukommen und mitbauen; sozusagen ein Stück ,Bau Stück‘ sein“, erklärt der Wahlweddinger Kajetan. Um seine Idee in die Tat umzusetzen, hat er eine Crowd-Funding-Kampagne ins Leben gerufen: Auf der Plattform startnext.de präsentiert er seine Idee – interessierte Internetnutzer können Geld spenden und so sein Projekt unterstützen. Davon werden Materialien für den Bau gekauft: Holz, Schrauben, Werkzeuge. „Wenn man daran glaubt, dass Leute zusammen etwas erreichen können, daran, dass man zusammen aus dem Nichts etwas erschaffen kann, dann ist es das wert, einen Euro zu spenden“, sagt Kajetan – und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Oder natürlich auch mehr – je nachdem, wie sehr man daran glaubt.“

Ulli Mascher

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
August 2014
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