Kultur

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Galerie m.odla

Kunst an ungewöhnlichen Orten


© artwall
artwall in Prag, © artwall.cz (Lenka Klodová: Vítězky)

Wo kann man zeitgenössische Kunst ausstellen? Noch vor ein paar Jahren hätten die meisten wohl mit „in einem Museum oder einer Galerie“ geantwortet. In letzter Zeit sind die Ausstellungsorte allerdings vielseitiger geworden. Die Eingangsfrage lässt sich auch mit „an einer Tankstelle“, „im Schaufenster“ oder „an einer Haltestelle“ beantworten.

Eine Ausstellung außerhalb von Galerien zu veranstalten hat viele Vorteile. Tanken und Einkaufen – das tun auch Menschen, denen es nie einfallen würde, ein Museum zu betreten. Für die Begegnung mit Kunst müssen sie in dem Fall nichts bezahlen, und auch Öffnungszeiten spielen keine Rolle. Und Kunst an ungewöhnlichen Orten gefällt auch Leuten, die Museen und Galerien besuchen.

Eigentlich ist das nichts wirklich Neues. Erste Ausstellungen an ausgefallenen Orten gab es bereits in den 1960er und 1970er Jahren. Dort stellten Künstler aus, deren Werk von kommerziellen Galerien ignoriert wurde oder die einfach ihren eigenen Weg gehen wollten. Einer der ersten bekannt gewordenen Orte dieser Art war die New Yorker Kitchen, die vom tschechoslowakischen Emigranten Woody Vasulka und seiner Frau Steina ins Leben gerufen wurde. Wie der Name verrät, fanden die Ausstellungen seinerzeit in einer Küche statt. Ausgestellt wurde hier in erster Linie Videokunst, die vom Ehepaar Vasulka mitbegründet wurde. Auch die erste Ausstellung von Hans Ulrich Obrist, dem berühmtesten Kurator der Gegenwart, fand in einer Küche statt. Es war zu Beginn der 1990er Jahre, als der damals 23-Jährige im kleinsten Raum seiner Wohnung die Werke von sieben weltbekannten Künstlern präsentierte. Beide berühmt gewordenen Küchen wurden eigentlich nur von Freunden der Ausstellenden besucht. Es gibt jedoch auch Orte, die jeden zufälligen Passanten zu ihren Besuchern zählen können. Und das auch in Tschechien.

m.odla

m.odla © m.odla

Die Fresh Air Gallery in Plzeň stellt in einer Unterführung der Resslova-Straße aus. Die Galerie ist eine Mauer, und die an dieser Stelle installierten Ausstellungen wollen ein Zeichen gegen die übliche Unansehnlichkeit dieses und ähnlicher Orte setzen. Die Ukradená galerie [auf Deutsch: Gestohlene Galerie] besetzt wiederum verödete öffentliche Schaukästen oder Wandbords. Innerhalb von nur zwei Jahren ist es gelungen, ein ganzes Galerien-Netz zu aufzubauen. „Filialen“ gibt es in Český Krumlov, Prag, Banská Štiavnica, Lissabon, Dresden und Linz. Die Galerie Umakart in Brno stellt wiederum in Schaufenstern verlassener Geschäfte aus. In Prag stellt das Projekt Artwall Künstlern die leeren rechteckigen Nischen innerhalb der Stützmauern des Letná-Parks zur Verfügung. Die hier ausgestellte großformatige Kunst kann selbst von vorbeifahrenden Autofahrern nicht übersehen werden. Auch im Prager Stadtteil Holešovice ist eine neue Form von Ausstellungsraum entstanden. Das Projekt nennt sich m.odla, und es handelt sich um einen traditionellen Aushangkasten im Flur eines Mietshauses. Um sich die Ausstellung ansehen zu können, muss man entweder zur Vernissage kommen oder bei einem der Hausbewohner klingeln.

Ukradená galerie

Ukradená galerie © Ukradená galerie

Insgesamt haben solche unkonventionellen Galerien gegenüber den gängigen einige Vorteile. Während wir bei den klassischen Galerien Medien konsultieren müssen, um etwas über sie zu erfahren, stoßen wir auf die außergewöhnlichen Galerien auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule. Gleichzeitig ermöglichen solche Projekte jungen Nachwuchskünstlern, ihre Werke auszustellen. Aber auch für etablierte Künstler bieten diese Orte interessante Möglichkeiten, und so findet man unter den Ausstellenden oft auch sehr bekannte Namen. Und noch ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert. Diese ungewöhnlichen Ausstellungsorte stellen für die Künstler eine besondere Herausforderung dar, die sich schließlich auch in ihrem Werk niederschlagen kann. Der Grund ist ganz einfach: Alternative Galerien sind häufig Bestandteile von öffentlichen Räumen, auf die der Künstler auf bestimmte Art und Weise reagieren muss – hier gibt es keine neutralen weißen Wände, sondern bröckelnde Fassaden, verstaubte Fenster und oft hat der jeweilige Ort eine ganz spezifische Atmosphäre. Stellvertretend für alle Projekte, bei denen das Zusammenspiel dieser Faktoren spürbar ist, seien folgende Galerien genannt: m.odla, die eine neue Kommunikation zwischen den Hausbewohnern schafft, die Vitrínky in Ústí nad Labem, die auf die industrielle Vergangenheit einer ehemaligen Fabrik reagieren oder die Galerie Na shledanou, die sich mit der Atmosphäre des Friedhofs im südböhmische Volyně auseinandersetzt.

Vitríny

Vitríny. © Vitríny

Galerien an öffentlichen Orten gibt es in Tschechien immer mehr. Man kann sie leicht übersehen, aber es reicht, wenn man bei einem Stadtspaziergang die Augen offen hält. Vielleicht entdeckt man dann etwas Unerwartetes in einer unauffälligen Vitrine oder einem ansonsten langweiligen Schaufenster. Einige dieser Galerien existierten nur einige Jahre, bevor sie sich in normale Schaufenster, Kühlschränke (ja, eine solche Galerie gibt es in Bratislava) und Tankstellen zurückverwandelten.

Veronika Rollová
Übersetzung Ivan Darmlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
März 2012
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