Prozess oder Castingshow?
Die Berichterstattung über den NSU-Prozess ist geschmacklos
13 Jahre, nachdem die rechtsextreme Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) den ersten von zehn Morden begangen hat, steht die einzige Überlebende des Tätertrios in München vor Gericht. Staatsanwälte und Richter inszenieren einen Schauprozess, der zentrale Aspekte der Aufarbeitung unter den Teppich kehrt. Skandalöser aber ist: Die Medien machen mit.
Wir wissen eine Menge über Beate Zschäpe. Dass ehemalige Nachbarn sie als freundlich bezeichnen und ein früherer Sozialarbeiter als schüchtern. Dass sie zum Prozessauftakt ein Outfit gewählt hat, das selbst eine seriöse Zeitung wie die Süddeutsche zu der obskuren Beobachtung veranlasst hat, es sei aufsehenerregend. Es scheint, als hätten einige Journalisten vergessen, dass dieser Prozess keine Castingshow ist, in der Deutschland seinen bestgekleideten Neonazi sucht. Eine derart boulevardeske Berichterstattung wird weder den Opfern der NSU-Verbrechen gerecht noch der Rolle, die kritischer Journalismus in einer Gesellschaft übernehmen sollte.
Beate Zschäpe ist eine Schwerverbrecherin. Sie steht vor Gericht, weil sie aus ideologischer Überzeugung an zehn Morden und mehreren Bombenanschlägen beteiligt war – gemeinsam mit den Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich das Leben nahmen, bevor die Polizei ihnen nach vielen unbehelligten Jahren im Untergrund endlich auf die Schliche kam. Dass Zschäpe– auch unter massiver öffentlicher Aufmerksamkeit – nun zur Verantwortung gezogen und bei Prozessende hoffentlich zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wird, ist wichtig und das Mindeste, was die Nebenkläger vom Rechtsstaat Deutschland erwarten dürfen.
Pannen und Peinlichkeiten in den ErmittlungenAber die Fokussierung der Medien auf die Hauptangeklagte des Prozesses ist gefährlich. Es darf nicht sein, dass mit der Verurteilung Zschäpes der NSU-Fall ad acta gelegt und so getan wird, als sei damit der Rechtsterrorismus in Deutschland in die Schranken gewiesen.
Die Ermittlungen in der NSU-Mordserie waren, wie der Prozessbeginn, von so vielen Pannen der staatlichen Behörden begleitet, dass sie nur Fassungslosigkeit und Fremdscham verursachen können. Die Hauptrolle im Kabinett der Peinlichkeiten spielte der Verfassungsschutz. Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat die Funktion, die Gesellschaft vor Terrorismus „von innen“ zu schützen. Allerdings hat sich das Bundesamt für Verfassungsschutz seit dem 11. September 2001 kaum mehr auf die Beobachtung rechtsextremer Bewegungen konzentriert.
Dem NSU und seinen Helfern konnte es deshalb gelingen unterzutauchen, ohne dass die Morde an neun türkisch- beziehungsweise griechischstämmigen Kleinunternehmern überhaupt mit ihm in Verbindung gebracht wurden – trotz der umstrittenen Praxis des Verfassungsschutzes, mit sogenannten V(ertrauens)-Leuten als Informanten im rechtsextremen Milieu zusammenzuarbeiten. Angesichts der zähen Ermittlungen in der NSU-Mordserie ist es deshalb der pure Hohn, wenn sich der Präsident der Verfassungsschutzbehörde Hans-Georg Maaßen 13 Jahre nach der Ermordung des ersten NSU-Opfers mit den Worten zitieren lässt, er sei fest davon überzeugt, „dass wir ohne V-Leute an die Zentren dieser Zellen nicht herankommen“.
Der Behörde kommt es gelegen, dass die Aufmerksamkeit der Medien an dem Prozess vor allem dessen „Protagonistin“ Beate Zschäpe gilt. Dies spielt der bei den Verfassungsschützern beliebten Theorie der radikalen Einzeltäter in die Karten, gegen die der Staat nichts ausrichten kann. Gleichzeitig lenkt sie vom Versagen der Bürokratie im konkreten Fall ab.
Auch der Staat trägt Verantwortung
Beate Zschäpe trägt als einzige Überlebende die Hauptschuld an den Verbrechen des NSU. Verantwortung dafür trägt jedoch auch der Staat, dessen Versäumnisse es einer Terrorzelle ermöglicht haben, sechs Jahre lang mordend durch Deutschland zu streifen.
Mehrere Politiker, darunter auch die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident, haben sich bei den Angehörigen der Opfer für die Verbrechen des NSU entschuldigt. Wenn das nicht nur rhetorisches Geplänkel bleiben soll, muss die Politik aber Konsequenzen aus dem verkorksten Fall ziehen. Ein erster Schritt wäre, zuzugeben, dass der Staat die Terrorgefahr von rechts für viele Jahre unterschätzt hat.
Es wäre eigentlich an den Medien, an die politische Verantwortung zu erinnern. Das Appellieren an den niederen Instinkt der Sensationsgeilheit ist hingegen geschmacklos. Denn diese Art von Quotenjournalismus geht auf Kosten der Opfer.