Leben

Wahlen ohne Qualen

Foto: © Lara Schech

Hinter den Kulissen des sächsischen Wahl-O-Mats

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Tagesordnungspunkt eins: Brainstorming, Foto: © Lara Schech

Wenn Wahlkampagnen zunehmend mit Gesichtern und mehr oder weniger austauschbaren Parolen anstatt mit greifbaren Inhalten werben, ist ein Tool wie der Wahl-O-Mat Gold wert. Vor allem, wenn man keine Zeit oder Lust hat, die mitunter umfangreichen Wahlprogramme zu lesen. jádu-Autorin Lara Schech nutzt den Wahl-O-Mat bereits seit vielen Jahren. Für die diesjährigen sächsischen Landtagswahlen Ende August hat sie ihn selbst mit entwickelt.

Frisch gebackene Abiturienten, Azubis der Deutschen Bahn, ein ver.di-Vorsitzender und natürlich eine ganze Reihe Politikstudenten tummelten sich in unserer Redaktion. Rund siebzig Jung- und Erstwähler hatten sich für die das Team des sächsischen Wahl-O-Mats beworben, zwanzig davon wurden zum dreitägigen Workshop Ende Mai in Dresden eingeladen. Uns alle trieb Neugier, politisches Interesse oder sogar die Hoffnung, den Wahl-O-Mat besser machen zu können. Wir entschieden nämlich in erster Instanz, zu welchen politischen Thesen die Nutzer schließlich Stellung beziehen sollen. Und das war schwerer, als es klingt. Schon die Aufteilung in Arbeitsgruppen barg Konfliktpotential: Gehören Kitas eher in den Bereich Familie, zu Arbeit und Sozialem oder doch zur Bildung?

Früh am Morgen ging es los. Tagesordnungspunkt eins: Brainstorming. Das lieferte tausende Ideen, welche Thesen die Parteien am besten ins linke und rechte oder konservative und liberale Spektrum unterteilen. Beraten wurden wir von Politikexperten aus der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung und den Universitäten in Düsseldorf und Dresden. In meiner Gruppe „Inneres, Demokratie und Justiz“ ging es unter anderem um die Finanzierung von Polizeieinsätzen bei Fußballspielen, intensivere Grenzkontrollen oder niedrigere Hürden für Volksbegehren. Erste Thesen wurden formuliert, etwa „Bei Landtagswahlen: Wählen ab 16“ oder „Polizeibeamte müssen im Dienst zur Identifizierung eine individuelle Kennzeichnung tragen“. Andere Ideen wurden schnell wieder verworfen. Wir wollten die Parteien ja voneinander unterscheiden. Forderungen wie „Drogen bekämpfen!“, die in beinahe allen Parteiprogrammen vorkommen, brachten uns da nicht weiter. Unsere Hauptkriterien: Kontrovers, eindeutig und auf Landesebene relevant!

Politische Diskussionen in der Kaffeepause

Foto: © Lara Schech
„Nichts passierte, ohne dass wir vorher eine leidenschaftliche Pro und Contra Debatte führten.“ Foto: © Lara Schech

Zwischendurch trafen wir Redakteure uns regelmäßig im „Plenum“ mit den Politikexperten. Hier verteidigten wir im großen Sitzkreis unsere Zwischenergebnisse, sammelten Vorschläge für Umformulierungen und diskutierten auch die Themenfelder der anderen Arbeitsgruppen mit. Die großen Stellwände, an die wir die Thesen auf Papierzetteln hefteten, halfen, den Überblick nicht zu verlieren. Manches, was bereits in den Arbeitsgruppen aussortiert worden waren, wurde so im Plenum noch einmal durchgekaut, zum Beispiel der kostenlose ÖPNV, Landwirtschaftsförderung oder die Helmpflicht für Radfahrer. Das war zwar frustrierend, aber auch nötig, um wirklich alles aus den Themen herauszuholen. Andere Thesen, die wir im kleinen Kreis zuvor vehement verteidigt hatten, fielen im Plenum dann doch durch. Fakt ist aber: Nichts passierte, ohne dass wir vorher eine leidenschaftliche Pro und Contra Debatte führten. Unsere Hörner rieben wir dabei auch immer wieder kräftig in inhaltlichen Diskussionen. Dem Spaß tat das aber keinen Abbruch und überpünktlich waren wir auch noch fertig. Die politischen Auseinandersetzungen, zum Beispiel über den tatsächlichen Nutzen von Frauenhäusern oder Militärforschung, führten wir dann beim Abendessen oder in der Kaffeepause fort.

In der Endabstimmung dampften wir unser Sammelsurium schließlich nach gut zwanzig Stunden harter Arbeit auf immerhin 83 Thesen ein. Diese wurden dann von der Landeszentrale für politische Bildung an die Parteien zur Beantwortung geschickt, die zusätzlich zu ihrer Zustimmung oder Ablehnung noch eine kurze Begründung schreiben mussten. In einem zweiten Workshop wurden die finalen 38 Thesen für den Wahl-O-Mat ausgesucht und geschliffen und am 5. August endlich online gestellt.

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August 2014

    Wahl-O-Mat

    Der Wahl-O-Mat ist ein Online-Tool der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Er erfreut sich bereit seit 2002 wachsender Beliebtheit. Zur letzten Bundestagswahl nutzten über 13 Millionen Menschen aller Altersschichten das Programm. Das Prinzip ist einfach: Der Nutzer muss zu 38 politischen Thesen Stellung beziehen. Anschließend zeigt der Wahl-O-Mat die Übereinstimmung mit den Positionen der zur Wahl stehenden Parteien an. Zudem bietet das Tool die Möglichkeit, Parteipositionen direkt miteinander zu vergleichen und die Begründungen dahinter zu lesen. Die Thesen werden zu jeder Wahl von einer Redaktion aus Jung- und Erstwählern zwischen 18 und 26 Jahren entwickelt.

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