Leben

Die Zeit läuft!

Foto: © unIQue Room s.r.o.

In der Stunde nach dem Tod das Gegengift suchen. Was will man mehr bei einem ersten Date? In einer verlassenen Scheune mit Partisanen auf die Hinrichtung warten. Die ideale Gelegenheit, um Kollegen besser kennenzulernen. Ihr werdet gespannt sein (vielleicht auf die Folterbank), schockiert (vielleicht mit elektrischem Strom) und überrascht, es wird Adrenalin geben und rauchende Köpfe. Live Escape Games (auch Escape Rooms) erfreuen sich wachsender Begeisterung. In Tschechien steht der Boom aber offenbar erst bevor.

Als Takao Kato eine Mitschülerin ein Room Escape Adventure auf dem Computer spielen sah, kam ihm die Idee, so etwas auch im realen Raum umzusetzen. Bei diesen Spielen geht es darum, eine Tür mithilfe von Spuren, durch das Kombinieren von Gegenständen und dem Entschlüsseln von Rätseln aufzuschließen. Im Jahr 2007 eröffnete Kato im japanischen Kyoto den ersten Escape Room und nannte ihn Real Escape Game (REG). Schon bald folgten weitere solcher Räume auf der ganzen Welt.

Eine Stunde, ein Ort, ein Team

Ein Escape Room bietet nicht nur einer Gruppe von Freunden Unterhaltung abseits vom Alltag – er ist bei Familien mit Kindern beliebt, und auch Firmen nutzen die Spiele für das Teambuilding. Ziel ist es, innerhalb einer vorgegebenen Zeit aus einem verschlossenen Raum hinauszukommen und ein Artefakt zu erlangen. Dabei kann es sich etwa um das wertvollste Exponat aus dem Nationalmuseum handeln (das tatsächlich gestohlen wurde), oder es geht darum, den Golem wiederzubeleben. Gefragt ist dabei Kreativität, logisches Denken, Geschick und manchmal auch Mut – aber vor allem geht es um die Zusammenarbeit im Team. Denn nur gemeinsam schafft man es, die Rätsel, Puzzles, Codes und so weiter zu lösen.

„Ganz wichtig ist eine effektive Kommunikation der Spieler untereinander. Jeder muss seine Ideen und Entdeckungen mit den anderen teilen. Man darf auch keine Angst haben, sich einzugestehen, wenn man nicht mehr weiter weiß“, erklärt David Seidler. Er gründete gemeinsam mit seiner Freundin Vlaďka Laššáková im Jahr 2015 den Escape Room unIQue room in Brno. „Man muss zuhören können. Es passiert oft, dass jemand eine gute Idee hat, aber die Anderen hören nicht auf ihn. Mir persönlich gefällt es am besten, wenn ich sehe, dass die Leute zufriedener weggehen als sie gekommen sind. Oder wenn Familien während des Spiels beginnen stärker zusammenarbeiten, und dadurch Barrieren überwinden“, fügt Vlaďka hinzu.

Aus einer futuristischen Umgebung ins Mittelalter

Im Ausland und allmählich auch in Tschechien verwenden die Gestalter der Escape Rooms Mikrocomputer statt Ziffernschlössern, die man relativ einfach umgehen kann. „Ein Mikrocomputer zeichnet Gewicht, Bewegung, Druck, Klang und den Wasserspiegel auf, aber auch Aktionen wie zum Beispiel das Drücken eines Knopfes, das Wählen einer Telefonnummer oder das Klopfen an die Wand... Und auf Basis dieser Inputs wird ausgewertet – eine Tür geht auf, die Musik oder das Licht ändert sich, und so lassen sich viele Überraschungseffekte erzeugen“, erläutert uns David den Einsatz hochentwickelter Technologien, die er auch für seinen weiteren Escape Room verwenden möchte. „Die Technik sollte aber immer erst an zweiter Stelle stehen. An erster Stelle sind die Spieler. Sie sollten nicht zu Sklaven der Technik oder durch sie gebremst werden“, betont Vlaďka.

Dass es bei Escape Rooms vor allem um Spaß geht, um Geschichten und um Menschen, beweist die Tendenz fortgeschrittener Entwickler, die ihre Räume genau durch einen gegensätzlichen Zugang zu etwas Besonderem machen. Sie wollen eine Räumlichkeit auf hohem Niveau kreieren, in der es keine klassischen Schlösser gibt, und auch keine Technologie. Dazu bedienen sie sich der Chemie, Mechanik oder auch des Magnetismus.

Versteckes Potential?

Obwohl Escape Rooms auf der ganzen Welt bekannt sind, müssen die tschechischen Entwickler einige Wegmarken erst noch erreichen. „Ich habe den Eindruck, dass Escape Rooms gerade jetzt einen Boom in den USA erleben, wo ihnen auch die Medien viel Aufmerksamkeit schenken. Im Fernsehen läuft eine Reality Show, in der zwei Teams um eine große Summe Geld gegeneinander wetteifern. Wie viel Geld man tatsächlich bekommt, hängt davon ab, wie viel Zeit das Siegerteam für das Entkommen aus dem Raum benötigt. Das Publikum verfolgt diese Sendung mit Begeisterung. Hierzulande könnte es in ein paar Jahren zu einem ähnlichen Boom kommen“, vermutet Vlaďka. „Dieser Boom beginnt jedoch erst, wenn sich größere Unternehmen damit befassen, die uneingeschränktes Kapital haben“, glaubt David. Vlaďka bestätigt: „Disneyland zum Beispiel hat eine eigene Räumlichkeit. Es gibt Unternehmen, vor allem aus Ungarn, Russland oder aus dem Baltikum, die mehrere Designs für Escape Rooms entwickelt haben und diese mithilfe von Filialen auch im Ausland verbreiten. Es gibt viele Leute, die davon leben, Escape Rooms zu entwerfen, die man sich dann im Wohnzimmer oder für einen Kindergeburtstag selbst herrichten kann.“

Diesem Gedanken kann auch Vlaďka etwas abgewinnen. Im Rahmen ihrer Dissertation würde sie gern ein transportables Modell entwickeln, das sich auch für Schulen eignet. Und wer weiß: Vielleicht werden es gerade sie und David sein, die ihre Erfahrungen und Kenntnisse auf dem Gebiet der Escape Rooms nutzen, und bald schon ihre Ideen ins Ausland exportieren.

Ester Dobiášová
Übersetzung: Julia Miesenböck

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August 2017
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