Leben

„Nicht über Pyramiden, sondern über die Sowjetunion reden“

Eine tschechische Journalistin über die politikverdrossene Jugend

Tereza Reznakova
Tereza Režňáková (Foto: privat)

Wie bringt man die Jugend dazu, sich für Politik zu interessieren? Dieser Frage haben sich im August 23 Nachwuchsjournalisten aus ganz Europa gestellt. In Potsdam haben sie sich zum siebten M100 Jugend Medien Workshop getroffen. Mit dabei war auch die 24-jährige Tschechin Tereza Režňáková. Sie kommt aus Brno und arbeitet dort seit drei Jahren als freie Journalistin für Tschechiens auflagenstärkste Tageszeitung Mladá fronta Dnes. Im Interview spricht Tereza Režňáková über ihre Arbeit und die politikferne tschechische Jugend.

Warum möchtest du Journalistin sein?

Ich bin mir noch nicht so sicher, ob ich wirklich Journalistin sein möchte, aber ich mag die Arbeit, weil ich dabei kreativ sein kann. Außerdem kann ich Leute informieren. Das ist mir sehr wichtig, weil ich persönlich sehr daran interessiert bin, was in meiner Stadt und in meinem Land vor sich geht. Es ist hart für mich zu sehen, dass manche das politische Geschehen komplett links liegen lassen, wie etwa mein Bruder. Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Und als Journalist kann man solche Dinge verändern. In Tschechien sind Journalisten schlecht bezahlt, also sollte man sich wirklich für den Beruf begeistern. Aber es ist schließlich besser, etwas zu machen, was man mag und dabei nicht viel zu verdienen, als etwas machen zu müssen, was man hasst und dabei viel zu verdienen, es aber nicht genießen zu können.

Wie sind die Arbeitsbedingungen für Journalisten in Tschechien?

Solch schlimme Umstände wie etwa in Russland gibt es bei uns nicht, wir sind ein freies Land. Aber es existieren einige Gesetze wie das „Maulkorbgesetz“, das verbietet, zur Wahrung der Privatsphäre die Namen von Verdächtigen zu veröffentlichen. Die Politiker behaupten, es sei zum Schutz Unschuldiger. Sie können sich aber auch selbst damit schützen, z.B. um eigene Straftaten wie Fahren unter Alkoholeinfluss zu verheimlichen.

Wie steht es um den politischen und wirtschaftlichen Einfluss?

Tschechische Medien sind relativ frei. Es hängt aber von der Story ab. Manchmal wollen die Politiker einfach nicht reden. Dann musst Du Dir andere Quellen suchen. Verärgert man sie, reden sie eventuell nie wieder mit Dir. Es gilt, die Balance zwischen intensiver Recherche und Taktgefühl zu halten.

Das Thema dieses Workshops lautet: „Wie bringe ich die Jugend dazu, sich für Politik zu interessieren?“ Warum herrscht eine solche Ignoranz unter den jungen Leuten?

Die Mehrheit unter den Nicht-Wählern sind junge Leute. Tschechische Politiker scheinen nicht besonders interessiert diese jungen Leute zu erreichen. Nur wenn Wahlen vor der Tür stehen sagen auf einmal alle „Hey, ihr Jungen kommt und wählt uns“. Unser System und die darin agierenden Politiker schockieren junge Leute manchmal. Ich glaube, viele denken, sie könnten nichts verändern und wählen deshalb nicht. Es gibt eine Lücke für Initiativen oder Organisationen, die sich dafür einsetzen, dass diese Leute sich wieder für Politik interessieren. Aber man braucht Geld und engagierte Helfer, um sie zu schließen. Und das funktioniert momentan leider nicht in Tschechien.

Wenn du dieses Geld hättest, wie würdest du diese Lücke schließen?

Prinzipiell sollte politische Bildung bereits in der Grundschule beginnen und sich später in der weiterführenden Schule fortsetzen. Auf dem Gymnasium oder in der Realschule wird nicht das tschechische Wahlsystem gelehrt, dafür ägyptische Pyramiden oder mittelalterliche Könige. Über die Sowjetunion, das kommunistische Regime und die Jahre nach seinem Zusammenbruch wird geschwiegen. Dort muss man ansetzen, etwa indem man die Schüler anhält Zeitung zu lesen. Denn in den Familien wird leider nicht immer über politische Angelegenheiten diskutiert.

Das Interview führte Julia Wießner

Copyright: Goethe-Institut Prag
September 2011

    Der M100 Jugend Medien Workshop wurde erstmalig 2005 veranstaltet.

    Er richtet sich an junge Nachwuchsjournalisten und Jungredakteure zwischen 18 und 26 Jahren aus ganz Europa. Neben der Vermittlung von praktischem und theoretischem Wissen journalistischer Arbeit ist eine nachhaltige Vernetzung zwischen den Teilnehmern angestrebt. Außerdem wird den Nachwuchsjournalisten ermöglicht, in direkten Kontakt mit führenden Medienmachern aus ganz Europa zu kommen. Die journalistischen Beiträge aller Teilnehmer des Workshops 2011 findet Ihr auf
    www.duhastdiemacht.de