Leben

Der Kampf ums Bildchen

Foto: Magdalena Schluckhuber
Foto: Magdalena Schluckhuber
Unvorbereitet kommt keiner. Foto: Magdalena Schluckhuber

Tauschen, feilschen, kaufen und verkaufen: Bei einer Fußball-Bildchen-Tauschbörse in einem Wiener Einkaufscenter geht es zu wie auf einem Flohmarkt. Wer mehr Geld oder bessere Bildchen bietet, macht das „Geschäft“. Das Ziel aller Besucher ist dasselbe: endlich ihr 540. Bildchen und ihr Sammel-Album voll zu bekommen.

Junge Kerle im Fußballdress laufen nervös von Tisch zu Tisch, eine Mutter mit einem Kind am Arm sucht einen Sitzplatz, ein Mädchen setzt sich demonstrativ auf den Boden, zwei ältere Herren mit Aktenkoffern versuchen durch Rufe auf sich aufmerksam zu machen. Angespannt sind sie alle: Am Tag des Eröffnungsmatchs der Fußball-Europameisterschaft ist der Wunsch groß, endlich alle Bildchen in das Sammelalbum kleben zu können.


Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Tauschbörse sind die ersten Tauschwütigen anzutreffen. Unter ihnen ist der 13-jährige David. Er ist aus einem einfachen Grund hier: „Ich bekomme schneller Pickerl, weil viele Tauscher kommen.“ Oft sei es aber auch anstrengend, manchmal habe er keinen Überblick mehr, welche Sticker er bereits getauscht hat. „Wenn man früher kommt, sind noch nicht so viele Menschen da.“ Sein Schulfreund Buba, 14 Jahre, hat „einfach nur Spaß“ am Sammeln, Tauschen und Kleben. Wichtig war ihm, den Sticker von seinem Lieblingsspieler Fernando Torres möglichst schnell zu bekommen. Jetzt hat er keinen Stress mehr.

Roman sammelt seit 30 Jahren, „weil es a Gaudi ist“ und weil es ihn „reizt“. Nebenbei sammelt er auch für sechs Freunde mit. Jayne hingegen ist mit ihren Kindern gekommen. Ihr Sohn interessiert sich für die Spieler, sie will ihm „das Tauschen beibringen“. 40 Euro haben sie bereits ausgegeben, Jayne hofft, dass es nicht noch mehr wird. Diese Hoffnung hat der 44-jährige Michael bereits aufgegeben, er schätzt, dass er bereits 300 Euro für die Bildchen in seinem Album gezahlt hat.

Es wird gerempelt, „unbrauchbare“ Tauschpartner werden höflich, aber bestimmt weggeschickt. Alle sind konzentriert auf ihre Listen mit den Sticker-Nummern, aber dennoch immer wachsam, um als Erste die Angebote der Neuankömmlinge begutachten zu können. Unvorbereitet gekommen ist keiner. Zeit für viele Worte hat niemand.

Nur ein Mann sitzt entspannt in einer Ecke. Christian hat soeben das letzte noch fehlende Bildchen ertauscht. Jetzt kann er durchatmen. „Ich interessiere mich überhaupt nicht für Fußball, aber ich sammle seit meiner Kindheit.“ Der 33-Jährige sammelt nicht nur Fußball-Bildchen, sein erstes Album ist aus dem Jahr 1984. Seit drei Jahren macht er auch Jagd auf die Konterfeis der Fußballer. „Mir gefällt das Kleben und ich finde das Tauschen nett“, sagt Christian, von Beruf Bankangestellter. Zuerst muss man viele Bildchen selbst kaufen, dann immer weniger und zum Schluss hilft oft nur noch das Tauschen, erklärt er seine Sammelstrategie, die an diesem Tag voll aufgegangen ist.

Foto: Magdalena Schluckhuber
Ob jung oder alt... Das Ziel aller Besucher ist dasselbe: endlich ihr Sammel-Album voll zu bekommen. Foto: Magdalena Schluckhuber

Nach drei Stunden löst sich die Menge langsam auf. Endlich ist Zeit, sich über die EM an sich zu unterhalten. Der Großteil der Sammler ist sich einig: „La Furia Roja“ („die rote Bestie“), das spanische Fußballnationalteam, soll auch dieses Jahr wieder den Pokal in die Höhe stemmen. „Ideal wäre es, wenn die Spanier im Finale gegen Deutschland gewinnen“, sagt ein älterer Herr im Vorbeigehen. Stolz macht er sich mit seinem vollen Album auf den Weg nach Hause, um sich nun ohne Sorgen den Matches widmen zu können.

 
Copyright: Goethe-Institut Prag
Juni 2012

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