Ein besonders heiliger Monat

Foto: © privatFoto: Otto J. Simon, CC BY-SA 3.0
Fastenbrechen an einem Ramadan-Abend in Kairo, Foto: Otto J. Simon, CC BY-SA 3.0

Als wir uns treffen, ist es 18 Stunden her, seit Liliana (22) zum letzten Mal etwas gegessen oder getrunken hat. Sie macht weder eine besondere Detox-Kur noch eine Radikaldiät, sondern praktiziert gemeinsam mit Millionen Menschen auf der Welt den Fastenmonat Ramadan.

Liliana, du hast jetzt zehn Fastentage hinter dir und deine letzte Mahlzeit ist auch schon ein Weilchen her. Wie geht es dir gerade?

Es ging mir eindeutig schon mal besser. Körperlich fühle ich mich ziemlich müde und gereizt. Vor allem am Abend ist man regelrecht ausgelaugt. Wie eine Batterie, die gerade ausläuft.

Ramadan bedeutet ein strenges Fastengebot. Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?

Ramadan fällt nach dem gregorianischen Kalender dieses Jahr auf den Juli. Das heißt: Zwischen 2.45 Uhr am Morgen und 21.50 am Abend darf weder gegessen noch getrunken werden. Ramadan ist ein heiliger Monat, in dem sich die Menschen ganz auf die Religion konzentrieren sollen. Der Gedanke hinter dem Fastengebot ist, dass Essen oder Trinken dabei nur ablenken würden. Wilde Partys und Sex sind übrigens auch verboten. Auch Eheleute sollten in dieser Zeit enthaltsam sein.

Insgesamt sind es derzeit also etwa 19 Stunden am Tag, in denen du nichts zu dir nehmen darfst. Das stelle ich mir ziemlich anstrengend vor.

Ja, einfach ist das wirklich nicht. Dabei ist das fehlende Essen gar nicht der schwierigste Teil. Hunger habe ich meistens nur ein, zwei Tage lang, dann vergeht das. Nichts zu trinken ist viel härter. Außerdem kommt der Tagesrhythmus völlig durcheinander. Wenn man erst abends um 22 Uhr etwas essen kann, hat man natürlich Hunger. Oft stopft man dann viel zu viel auf einmal in sich hinein. Anschließend kann man nicht schlafen, weil der Bauch so voll ist. Wenn dann der Wecker um zwei Uhr morgens klingelt, hat man meistens noch keinen richtigen Appetit. Man ist noch viel zu satt vom Abendbrot und außerdem total verschlafen. Ich habe aber immer eine Flasche Wasser vor meinem Bett stehen, damit ich wenigstens einigermaßen genug trinke. Eigentlich ist es aber meistens so, dass man in dieser Zeit weder genug isst noch trinkt und von einer ausreichenden Balance von Kalorien, Vitaminen und Mineralstoffen wollen wir mal gar nicht reden. Auf die empfohlenen anderthalb bis zwei Liter Wasser pro Tag komme ich in fünf Stunden auch nie. Im Winter ist das etwas einfacher. Und in anderen Regionen auch. Meine Eltern stammen aus Jordanien, da findet das Abendgebet schon so gegen 17 Uhr statt. Dann ist das auch deutlich entspannter.

Man kann Ramadan ja auch nachholen. Die algerische Fußballnationalmannschaft zum Beispiel hat das Fasten bis nach der WM vertagt und dafür sogar extra einen Iman eingeflogen, der das offiziell abgesegnet hat. Wäre es nicht auch für dich einfacher, das Ganze in den Winter zu verschieben?

Nur bedingt. Zugegeben: Ich mache keinen Freudensprung, wenn ich sehe, dass Ramadan ausgerechnet in den Hochsommer fällt. Trotzdem verbinde ich mit dem Fasten nicht nur einen leeren Magen und großen Durst. Im Gegenteil, ich freue mich sogar darauf. Man fastet zusammen mit der Familie und auch mit der ganzen muslimischen Welt. Millionen Menschen auf der ganzen Welt tun etwas gemeinsam. Das ist einfach ein ganz besonderes Gefühl und erzeugt auch eine gewisse Verbundenheit. Trotzdem kann jeder für sich selbst entscheiden, ob man das Fasten verschiebt oder auch mal ganz ausfallen lässt. Ich habe im letzten Jahr ausgesetzt, weil Ramadan in meine Prüfungsphase fiel und ich die sonst einfach nicht geschafft hätte. Und von meinem Vater weiß ich auch, dass er einmal nicht gefastet hat, als er eine sehr anstrengende Phase im Job hatte, in der er seine volle Leistungsfähigkeit brachte.

Was macht denn zum Beispiel ein Bauarbeiter, der den ganzen Tag in der prallen Sonne schuften muss und strenggenommen nicht einmal Wasser trinken darf?

Tja, man muss wohl kein Arzt sein, um zu wissen, dass das nicht gesund ist, oder? Um es einmal ganz deutlich zu sagen: Es ist nicht der Sinn von Ramadan, seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen oder sich und anderen etwas zu beweisen. Ich denke, jeder muss wissen, wir er das für sich selbst regelt und wo er seine Grenzen zieht. Wer aus guten Gründen nicht fasten kann, der lässt es eben. Dennoch ist die Nichteinhaltung des Fastens etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Ich habe mich gar nicht gut gefühlt, als ich im letzten Jahr ausgesetzt habe.

Nun gibt es ja auch Länder, in denen das weniger locker gesehen wird.

Stimmt. Das sind aber vornehmlich Länder, in denen noch Regeln aus der Zeit Mohammeds als Gesetz angesehen werden. Das gehört meiner Meinung nach definitiv überarbeitet.

Wie sind denn die ersten Anfänge beim Fasten? Bist du da reingewachsen oder hast du eines Tages ganz spontan beschlossen, das volle Fastenprogramm durchzuziehen?

Das kommt, glaube ich, immer ein bisschen auf die Familie an. Offiziell ist es so, dass Kinder ab sieben Jahren mitfasten können, ab 12 Jahren sollte man es tun, wenn man sich ganz streng an die Regeln halten will. Meine Mutter hat das damals ganz geschickt angestellt. Sobald meine Geschwister und ich sieben wurden, hat sie für jeden Tag, den wir beim Fasten durchgehalten hatten, einen Euro zurückgelegt. Im besten Falle bekamen wir am Ende des Ramadans dann 30 Euro. Das war für mich damals eine riesige Menge Geld und schon ein ordentlicher Motivationsschub.

Und wie motivierst du dich heute?

In den letzten Jahren dadurch, dass ich mir abends etwas besonders Leckeres gegönnt habe. Aber eigentlich brauche ich diese Art von Belohnung nicht mehr, inzwischen ist es eher einem inneren Bedürfnis gewichen. Außerdem ist man auch immer ein bisschen stolz, wenn man erfolgreich durchgehalten hat. Wenn ich mir jetzt zum Beispiel heimlich einen Schluck Wasser gönnen würde, weil mein Mund so trocken wird, dann hätte ich ein echt schlechtes Gewissen.

Also absolut keine Ausnahmen?

Na ja, ich rauche. Das sollte ich während des Ramadan eigentlich auch nicht tun, weil das unter Genussmittel fällt. Aber immerhin ist es ja weder essen noch trinken.

Dann wirst du also dieses Jahr mit innerer Motivation und ein paar Schachteln Zigaretten bis zum Ende durchhalten?

Ja, da bin ich ziemlich sicher. Es sind ja nur noch zwanzig Tage. Au weia, eine so lange Zeit noch. A propos Zeit: In ein paar Minuten steht das Abendgebet an. Ich muss jetzt los. Ich hab Hunger!

Das Interview führte Janika Rehak

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Juli 2014

    Ramadan

    Ramadan (übersetzt „der heiße Monat“) ist der Fastenmonat der Muslime. Zwischen Morgen- und Abendgebet herrscht ein strenges Fastengebot, das weder Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, noch Feiern oder Geschlechtsverkehr gestattet. Es gibt jedoch Ausnahmen: Kinder (gemeint sind Menschen vor der Pubertät) sind nicht zum Fasten verpflichtet. Weiterhin gilt das Gebot nicht für Kranke und Schwangere.

    Ramadan ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Der Beginn kann somit stark variieren. 2014 dauert die 30-tägige Fastenzeit vom 28. Juni bis zum 27. Juli. Das Ganze endet mit dem Beginn des Folgemonats Schawal. Dann findet das große Fest des Fastenbrechens statt, das bis zu drei Tage dauern kann.

    Die Einhaltung des Fastens ist nur bedingt obligatorisch. In einer Reihe islamischer Länder ist die Nichteinhaltung der Fastenzeit von staatlicher Seite verboten und wird mit Verhaftung, Geldstrafen oder sogar Haft geahndet. Beispielsweise müssen in Saudi-Arabien auch Nicht-Muslime mit Strafen rechnen, wenn sie in dieser Zeit öffentlich essen oder trinken.

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