Was kritisieren die Kritiker?

Quelle: www.nebruselu.cz

Sie kandidieren für das Europaparlament, aber am liebsten würden sie es abschaffen.

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Adam B. Bartoš: „ Für die Abschaffung der dunklen Mächte, die die Versklavung der althergebrachten und ruhmreichen europäischen Nationen zum Ziel haben.“ Quelle: www.nebruselu.cz

Euroskeptizismus ist nichts Neues, erstmals tauchte der Begriff in britischen Zeitungsartikeln Mitte der 80er Jahre auf. Eingeführt hatte ihn die langjährige Vorsitzende der britischen konservativen Partei Margaret Thatcher, die vehement gegen eine Vertiefung der europäischen Integration war. Ihre Idealvorstellung war ein Europa auf der Basis einer freiwilligen Zusammenarbeit der Nationalstaaten. Gleichzeitig lehnte die britische Premierministerin jegliche Weisungen aus Brüssel ab. In Tschechien gibt es einige politische Gruppierungen, die in Thatchers Fußstapfen treten. Wir stellen zwei vor, die in Tschechien zu den stärksten Gegnern des „europäischen Projekts“ zählen.

Die Partei NE Bruselu – Národní demokracie (Nein zu Brüssel – Nationale Demokratie), entstand erst im Januar diesen Jahres und ging aus der ehemaligen Partei Právo a spravedlnost (Recht und Gerechtigkeit) hervor. Sie bekennt sich offen zum kulturellen Nationalismus und Patriotismus. Ihr Spitzenkandidat für die Wahl ins Europäische Parlament ist der 34-jährige ehemalige Journalist Adam B. Bartoš, der früher auch Mitglied der ODS (Demokratische Bürgerpartei) war. Er hat ein sehr gutes Verhältnis zum eurokritischen Ex-Präsidenten Václav Klaus. Wegen seines „Verzeichnisses der Wahrheitsliebenden“ auf seiner persönlichen Internetseite wurde in der Vergangenheit schon viel über Bartoš geschrieben.

„An der Europäischen Union stört uns einfach alles. Sie stört uns als solche, die EU ist dasselbe wie der Europäische Bund. Das hatten wir hier schonmal, irgendwelche Verbände, in denen wir ungewollt Mitglied waren. Es ist nicht akzeptabel, dass ein Volk von einem Zentrum regiert wird, das außerhalb dieses Landes liegt. Auch wenn die Europäische Union noch so aufrichtig schiene, würde mich ihr Anspruch an uns stören“, erläutert Adam B. Bartoš seine Haltung. Seine verhältnismäßig junge Partei hat bisher keine feste Mitgliederanzahl und keinen Sitz. Der Parteivorsitzende unterstreicht jedoch, dass momentan nicht die Mitgliederzahlen, sondern die Europawahlen Priorität hätten.

Er tritt mit einem im Grunde einfachen Zehnpunkteprogramm an. Dort kann man zum Beispiel auch geheimnisvolle Sätze der Art finden, dass die Nationaldemokraten „bereit sind, mit allen Kräften gemeinsam an der Abschaffung der dunklen Mächte, die die Weltmaurer darstellen, zu arbeiten. Denn sie haben nur ein Ziel – die Versklavung der althergebrachten und ruhmreichen Europäischen Nationen“. Die Partei NE Bruselu – Národní demokracie würde auch gerne das Recht eines jeden Bürgers, eine Waffe zu besitzen, durchsetzen.

In einer Umfrage zur Europawahl führte Adam B. Bartoš an, dass er die Arbeitsbedingungen für ausländische, NGOs auf tschechischem Gebiet verschärfen wolle. Er will sich dazu vom russischen Präsidenten Vladimir Putin inspirieren lassen, der wegen seines autoritären Regierungsstils in der Kritik steht. „Diese Organisationen und die Leute, die an deren Spitze stehen, halte ich für Agenten fremder Mächte. Deswegen ist mir die harte Position Russlands ihnen gegenüber sympathisch. In diese Richtung sollten wir unbedingt gehen“, sagt Bartoš. Er ist fest davon überzeugt, dass die EU ein Projekt des amerikansichen Geheimdienstes ist, und das Referendum über den EU-Beitritt der Tschechischen Republik vor zehn Jahren soll angeblich manipuliert worden sein.

Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0
Petr Mach: „Wir nehmen den Europa-Unsinn unter die Lupe.“ Foto: Pirátská strana | pirati.cz, CC BY-SA 2.0

Ja zu Reisen und Handel

Eine etwas realistischere Sicht für europakritische Wähler bietet die schon fünf Jahre bestehende Strana svobodných občanů (Partei der freien Bürger), die von dem damals 33-jährigen Wirtschaftswissenschaftler Petr Mach gegründet wurde. Die Partei hat um die 900 Mitglieder und knapp 2000 Förderer, die alljährlich ihre Tätigkeit unterstützen. Die Partei hat weder einen Sitz noch Büros, deswegen trifft sich der Vorstand meistens in Cafés.

„Wir wollen, dass hier eine Staatengemeinschaft entsteht, die auf freiwilliger Zusammenarbeit, Reisefreiheit und freiem Handel beruht. Uns stört, dass aus der EU ein Sumpf der Umverteilung geworden ist. In die Brüssler Haushaltskasse werden hohe Mitgliedsbeiträge gezahlt, die dann für Förderungen ausgegeben und folglich sehr ungerecht verteilt werden,“ sagt Petr Mach, der Vorsitzende der Partei der freien Bürger und Autor des Buches Jak vystoupit z EU (Wie aus der EU aussteigen). Für die Europawahlen kandidiert die Partei deswegen mit dem Motto „Posvítíme si na euronesmysly“ („Wir nehmen den Europa-Unsinn unter die Lupe“). Der größte davon ist den sei dabei die gemeinsame Währung, die laut der Euroskeptiker einzelne Ökonomien der Mitgliedsstaaten zerstöre.

„Noch so ein Blödsinn ist zum Beispiel, dass die EU die Glühbirnen verbietet und uns sagt, was wir als Butter und Marmelade bezeichnen dürfen. Sehr teuer zu stehen kommen uns unsinnige Einfälle wie zum Beispiel Quoten für Biokraftstoff oder Elektrizität“, ergänzt Mach. Sein größter Wunsch ist, dass die Tschechische Republik kein Mitglied der EU, sondern wie Lichtenstein, die Schweiz, Norwegen oder Island Teil der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) wird. „Für Tschchechien wäre das viel erfolgversprechender. Dort schreibt nicht einer dem anderen etwas vor, es gibt dort überhaupt keinen Umverteilungsplan oder ein kompliziertes Förderungssystem. Es basiert einfach alles auf der Reisefreiheit und dem freien Handel. Ich denke, dass das ein positiver Aspekt der Europäischen Zusammenarbeit ist,“ schließt Petr Mach.

Wahlergebnisse der Partei der freien Bürger und der Partei Nein zu Brüssel – Nationale Demokratie bei der Europawahl 2014

Die Euroskeptiker der Partei der freien Bürger (Strana svobodných občanů) erzielten einen Stimmenanteil von 5,24 Prozent (fast 80.000 Wählerstimmen) und gewannen damit ein Mandat im Europäischen Parlament. Der Parteivorsitzende Petr Mach wird damit einer der 751 Abgeordneten, die in der kommenden Legislaturperiode im Europäischen Parlament Platz nehmen.

Die Partei Nein zu Brüssel – Nationale Demokratie (NE Bruselu – Národní demokracie) hingegen verbuchte nur rund 7100 Stimmen (0,46 Prozent). Sie holte damit erwartungsgemäß kein Mandat.

Nachtrag, 26. Mai 2014

Martin Melichar
Übersetzung: Hanna Sedláček

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Mai 2014

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