„Wenn dich der Lehrer wegen deines Kopftuchs beleidigt“

Der Hashtag #SchauHin macht Alltagsrassismus öffentlich
Für den Rassismus, dem viele Menschen im Alltag ausgesetzt sind, herrscht in Deutschland wenig Bewusstsein. Ein Team um die Bloggerin Kübra Gümüsay will das ändern. Auf Twitter hat die 26-Jährige die Kampagne „#SchauHin“ ins Leben gerufen, auf der jeder seine Erfahrungen mit Alltagsrassismus öffentlich machen kann. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, auf rassistisch motivierte Gewalttaten aufmerksam zu machen, sondern vor allem um latente Vorurteile gegen Menschen mit anderer Hautfarbe oder Religion. Viele Geschichten, die Betroffene zu erzählen haben, sind schlichtweg schockierend.
„Rassismus ist nicht etwas, auf das wir entspannt mit weit ausgestrecktem Finger in der weiten, weiten Ferne zeigen können. Etwas, das irgendwo am rechten Rand der Gesellschaft geschieht, wo die Glatzen glänzen und die Springerstiefel stampfen. Nein. Rassismus ist hier. Mitten unter uns. Jeden Tag. Überall.“ So fasst Initiatorin Kübra Gümüsay in einem Beitrag für das Migazin zusammen, worum es in #SchauHin gehen soll. Die Zahlen geben ihr recht: Allein in der ersten Woche erzeugte der Hashtag 13.000 Tweets.
Und es sind schockierend alltägliche Beispiele, die Betroffene auf Twitter erzählen. Eine Nutzerin etwa beschreibt die Situation, in der an einem Gratis-Abo-Stand einer großen überregionalen Tageszeitung“ alle vorbeilaufenden Passanten angesprochen werden, außer ihr – allem Anschein nach wegen ihres offensichtlichen Migrationshintergrunds.

Die Evaluation der Tweets sei noch in der Vorbereitung, sagt Nadia Shehadeh aus dem #SchauHin-Team. Erste inhaltliche Eindrücke gibt es dennoch: „Alle Tweets sind anders. Obwohl die Zeichenzahl bei Twitter ja sehr begrenzt ist, berichten Betroffene von sehr individuellen Erlebnissen. Es gibt allerdings bestimmte Felder, die häufig genannt werden. Die Klassiker sind vor allem Situationen in der Schule oder bei der Wohnungssuche.“
Mit welcher Selbstverständlichkeit rassistische Vorurteile oft vorgetragen werden, verdeutlichen zwei besonders verstörende Twitter-Posts. Einer stammt von Nutzerin Nida, die schreibt, dass ihr Deutschlehrer sie wegen ihres Kopftuches beleidigte und sie anschließend der Humorlosigkeit bezichtigte.

Der andere zitiert den Moderator der Sendung Wer Wird Millionär?, Günther Jauch, der offenbar einen Kandidaten fragte, ob dessen Telefonjoker nicht die „Afrikafrage“ hätte beantworten können.

Laut Shehadeh ist das Interesse für Rassismus im politischen Tagesgeschäft und in der Bürokratie unter Twitter-Nutzern besonders groß. „Es gibt natürlich ein spezifisches Twitter-Publikum, das ein besonderes Bewusstsein für Rassismus in Strukturen und in der Gesetzgebung hat. Viele Nutzerinnen und Nutzer weisen auf politische und aktuelle Ereignisse hin, in denen es strukturellen Rassismus gibt – etwa wenn es um Aussagen des Bundesinnenministers Friedrich zur Flüchtlingspolitik geht“, sagt Shehadeh.
Es ist nicht nur so, dass viele rassistische Ressentiments wie selbstverständlich vorgetragen werden. Hinzu gesellt sich oft das Unverständnis für die Betroffenen. Ein Erlebnis der Twitter-Nutzerin Shermin Arif macht dies deutlich: Eine „junge, gebildete“ Frau habe ihr erklärt, dass das N-Wort für sie „völlig okay“ sei, weil sie es ja nicht „so“ meine. Welche Gefühle sie dabei in einem Menschen verursachen kann, war ihr offenbar egal.

Wer bestimmen darf, was rassistisch ist und was nicht, ist die Gretchenfrage im Umgang mit Rassismus. Diese Frage beschäftige auch das #SchauHin-Team, sagt Shehadeh: „Ich bin sehr dafür, die potentiell von Rassismus Betroffenen anzuhören, die sozusagen Expertinnen oder Experten in eigener Sache sind. Wenn man feststellt, dass Rassismus in bestimmten Bereichen immer wieder von verschiedenen Personen erlebt wird, dann muss da etwas dran sein.“
Ob ein Hashtag das gesellschaftliche Bewusstsein für Alltagsrassismus erhöhen kann? Internetaktivistin Shehadeh ist optimistisch: „Je länger es das Internet gibt, desto mehr rücken die Themen, die dort groß sind, auch ins Bewusstsein der Gesellschaft. Es gibt bereits viele Initiativen, die es über das Internet geschafft haben, auch breite Teile der Gesellschaft zu sensibilisieren. Es geht ja immer erst darum, den Finger auf ein Problem zu legen und ein bisschen zu piksen. Das wird, besonders im Wechselspiel mit den Massenmedien, unheimlich stark aufgenommen. Ob damit mehr erreicht werden kann als reine Öffentlichkeit – das werden wir sehen.“








