Radikal, extrem, extremistisch…

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Wo ist der Unterschied?

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Sozialwissenschaftler Kurt Möller unterrichtet an der Fachhochschule Esslingen. Foto: © Kurt Möller

Wir verwenden verschiedene Begrifflichkeiten, wenn wir über rechte Menschen und Gruppen, Einstellungen und Handlungen sprechen. Welche Vorstellungen und Definitionen hinter diesen Worten stecken, das erklärt uns der Sozialwissenschaftler Professor Kurt Möller von der Hochschule Esslingen im Interview.

Unser Themenschwerpunkt lautet „Rechtsextremismus“ und genauso heißt auch einer Ihrer Forschungsschwerpunkte. Dennoch ist der Begriff unter Wissenschaftlern umstritten…

Ja, denn Extremismus kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „das Äußerste“. Hinter der Verwendung von Extremismus steckt also die Vorstellung, dass man das politische Spektrum auf einer Skala von links nach rechts darstellen kann, wobei in der Mitte die als unproblematisch geltenden demokratischen Auffassungen und an den äußersten Rändern der Extremismus angesiedelt ist. Doch dabei wird von einer falschen Voraussetzung ausgegangen: Laut einer aktuellen Studie hegt jeder Fünfte bis Vierte, der bei Wahlen für die großen Volksparteien CDU oder SPD votieren würde, Sympathien für menschenverachtende, also etwa rassistische, ausländerfeindliche oder antisemitische, Einstellungen. Das bedeutet, dass es auch „in der Mitte“ so etwas wie „Extremismus“ gibt.

Kritik äußern sie insbesondere daran, wie die deutschen Sicherheitsbehörden „Extremismus“ definieren…

… und zwar aus zwei Gründen. Zum einen werden hier Rechts- und Linksextremismus gleichgesetzt, obwohl sie sich inhaltlich sehr stark voneinander unterscheiden: Rechtsextremismus baut auf der Vorstellung auf, dass Menschen und Menschengruppen prinzipiell und von Natur aus ungleich sind. Es heißt „Das Leben ist Kampf“ und Gewalt wird als etwas gesehen, was zum Zusammenleben von Menschen wie Tieren einfach dazugehört. Linksextremismus propagiert dagegen eigentlich die alte demokratische Vorstellung der Gleichheit aller Menschen und Gewalt wird nur als letztes Mittel betrachtet, um diese Gleichheitsvorstellungen durchzusetzen. Zum anderen ist die Definition der Sicherheitsbehörden sehr staatszentriert: Wenn eine Frau mit Kopftuch auf dem Markt von rechtsextrem orientieren Jugendlichen als „Kanakenweib“ oder Ähnliches beschimpft wird, hat das zunächst keine Auswirkungen auf den Verfassungsstaat. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive handelt es sich aber um einen fremdenfeindlichen Akt, der auf seine rechtsextremen Konturen zu prüfen ist.

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Im alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir die Begriffe „extrem“ und „extremistisch“ oft synonym. Wo sehen Sie den Unterschied?

Ein -Ismus verweist in der Regel auf eine Ideologie. Ich selbst vermeide die Begriffe Extremismus und extremistisch vor allem dann, wenn ich von Jugendlichen spreche: Jugendliche haben eher selten eine ideologische Basis, sondern sie orientieren sich an kulturellen Merkmalen, an Symbolen und an der Erlebniswelt, die die rechtsextreme Szene ihnen bietet. Ich spreche auch nicht gerne von rechtsextremen, sondern lieber von rechtsextrem orientierten Jugendlichen: Jugendliche sind per Definition in einer Lebensphase, in der sich die Identität noch entwickelt. Ein 13-Jähriger ist nicht rechtsextrem, aber er kann sich an rechtsextremen Vorlagen orientieren. Wenn man ihn als rechtsextrem etikettiert, stigmatisiert man ihn zugleich auch. Dabei besteht die Gefahr, dass der Jugendliche diese ihm zugewiesene Identität annimmt. Ein von uns befragter Jugendlicher sagte zum Beispiel: „Lieber ein Nazi als sonst nix.“

Wir sprechen manchmal auch von „Rechtsradikalismus“ oder „rechtsradikalen“ Menschen und Gruppen…

Ja, aber auch dafür gibt es ganz unterschiedliche Definitionen: In der Alltagssprache werden radikal und extrem / extremistisch häufig synonym verwendet. Im Amtsdeutschen versteht man unter Radikalismus eine Position, die sich zwischen der demokratischen Mitte und dem Rechts- oder auch Linksextremismus befindet: Die so bezeichneten Einstellungen und Verhaltensweisen liegen danach noch innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, gehören aber zum Übergangsbereich in den Extremismus. Und in der Radikalisierungsforschung versteht man darunter allgemeiner das besonders gewalttätige, mindestens aber besonders aggressive oder konfliktorientierte Auftreten von Menschen. Das Wort radikal kommt vom lateinischen radix und bedeutet Wurzel. Doch rechte Positionen gehen den Dingen wahrlich nicht an die Wurzel, das Gegenteil ist der Fall. Deshalb würde ich von der Verwendung in diesem Zusammenhang abraten.

Woran erkennen Sie als Sozialwissenschaftler rechtsextremistische Meinungen oder Taten?

Ich selbst verwende dafür die Formel „Rex = Uvo + GAK“, was meint: „Rechtsextremismus ist das Zusammenfließen von Ungleichheitsvorstellungen und Gewaltakzeptanz“. Unter Ungleichheitsvorstellungen fallen dabei Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus, Rassismus, das Befürworten von autoritären Führungsstrukturen bis hin zu Diktaturen und die Verharmlosung des Nationalsozialismus. In Studien operiert man, um dies in seinen Ausmaßen innerhalb der Bevölkerung zu messen, zum Beispiel mit Statements wie „Wir müssen wieder einen starken Führer haben“ oder „Hitler wäre heute eine anerkannte Person, wenn der Krieg nicht verloren worden wäre“. In der Formel betone ich, dass zusätzlich auch Gewaltakzeptanz eine wichtige Rolle spielt, obwohl die natürlich zum Teil schon in diesen Einstellungen zum Ausdruck kommt. Dazu gehören nicht nur körperliche Gewaltformen, sondern auch Bedrohungsinszenierungen, verbale Gewalt und das Einfordern von struktureller Gewalt.

Das Interview führte Janna Degener

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November 2013

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