Versteckspiel

Foto: InSight Blog, CC BY 2.0

Die Codes der Neonazi-Szene

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Erkennungsmerkmal unter Neonazis: Bekleidung und Accessoires der Marke Thor Steinar, Foto: InSight Blog, CC BY 2.0

Das Klischee vom kahlköpfigen, stiernackigen Nazi in Bomberjacke und Springerstiefeln hat seit einigen Jahren ausgedient. Die meisten Rechtsextremen betreiben mittlerweile bewusst Mimikry und sind für Außenstehende kaum noch als Neonazis zu erkennen. Dennoch gibt es mehr oder weniger auffällige Symbole und Codes, die vor allem innerhalb der Szene als Erkennungsmerkmale dienen.

In einem kurzen Streit zwischen Mutter und Tochter wird die Hüfte der Fünfzehnjährigen entblößt und zum Vorschein kommt ein Tattoo: Eine 88, klein, schwarz, handgestochen. „Bist du dafür nicht noch zu jung?“, fragt Mama besorgt. Ihre Tochter verteidigt sich: „Das ist eine politische Aussage. Dafür kann man gar nicht jung genug sein“, wirft sie ihrer Mutter an den Kopf. Die schüttelt nur den Kopf: „Politische Aussage? Das ist `ne 88.“

Die Szene aus dem Film Kriegerin ist bezeichnend für das Unwissen gegenüber nationalsozialistischen Zeichen im Alltag. Denn die 88 ist in der Tat ein politisches Statement, obwohl es inzwischen zu den bekannteren „geheimen Nazicodes“ zählt: Der achte Buchstabe im Alphabet ist das H, 88 ergibt HH – „Heil Hitler“.

Zahlenspiele und Klamottenmarken

Die Neonazi-Szene hat einen Hang zu Zahlenspielen. So steht die 18 nach demselben Prinzip für „Adolf Hitler“. Die 88 könnte praktischerweise auch für den achtletzten Buchstaben stehen, also für SS, die gefürchtete Schutzstaffel. Und 28 ist der Code für „Blood & Honour“, ein in Deutschland mittlerweile verbotenes Neonazi-Netzwerk. Es gibt viele Beispiele: 444 – Deutschland den Deutschen, 420 oder 204 – Hitlers Geburtstag, 1919 – wieder die SS. Die 14 steht für das Zitat von US-Neonazi David Eden Lane, der einmal sagte: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft weißer Kinder schützen“. In dem Film Kriegerin hat sich die Hauptfigur den Schriftzug „14 words“ auf den Arm tätowieren lassen.

Foto: © 2013 ASCOT ELITE Filmverleih GmbH
In dem Film „Kriegerin“ hat sich die Hauptfigur den Schriftzug „14 words“ auf den Arm tätowieren lassen, ein Verweis auf einen Ausspruch von US-Neonazi David Eden Lane. Foto: © 2013 ASCOT ELITE Filmverleih GmbH

Viele dieser Symbole sind inzwischen zum Glück nicht mehr so geheim. Die meisten wissen, dass Neonazis gerne germanische Zeichen und Runen missbrauchen, dass sie gerne die Kleidermarke Thor Steinar tragenund dass die Farben rot-schwarz-weiß, mit denen sich Anhänger der Szene oft schmücken, von der früheren Reichsflagge stammen. Eine kurze Anekdote zu dieser Farbkombination: Das Modelabel Fred Perry steht, wie einige andere Marken, besonders im Visier der Nationalsozialisten. Die Kleidung wirke sportlich und edel, der Lorbeerkranz wird als Zeichen für Stärke und Sieg interpretiert. Besonders der rot-schwarz-weiße Kragen der Poloshirts ist beliebt – wobei die meisten Neonazi-Träger nicht wissen, dass der ehemalige Tennis-Star Fred Perry Jude war.

Genauso steht es übrigens um KISS, die in Verruf gekommen waren, eine Neonaziband zu sein: In ihrem Logo wurden die beiden S zu Blitzen stilisiert, die der verbotenen Sig-Rune sehr ähnlich sehen. Dabei sind die beiden Bandmitglieder und –gründer Gene Simmons und Paul Stanley selbst jüdischer Abstammung. Für ihre Konzerte in Deutschland änderte die Band deshalb extra ihr Logo: Die Blitze wurden an den Enden jeweils abgebogen, sodass das S auch also solches erscheint.

Aber woran erkennt man denn einen Neonazi? Klar, die Spezies der jungen, muskelbepackten und kahlrasierten Kerle mit Lederjacke und Rangerstiefeln gibt es noch. Aber die meisten Nazis wollen lieber unerkannt bleiben. Springerstiefel oder auch die berühmten Doc Martens sind inzwischen sowieso in Mode, sie werden von sämtlichen Szenen getragen und stehen sogar bei „ganz normalen“ Menschen im Schrank. Dass die jeweilige Gesinnung in dieser monotonen Masse an der Schnürsenkelfarbe zu erkennen ist, ist und bleibt jedoch ein Mythos!

Welche „Symbole“ die Neonazi-Szene von anderen übernimmt und umwandelt erklärt das Netz gegen Nazis auf ihrer Webseite. Zum Beispiel wurden die sogenannten „Palästinenser-Tücher“ früher besonders von Linken getragen und manchmal als Symbol für Solidarität mit Palästina genutzt. Inzwischen findet man sie aber auch in rechten Kleiderschränken; von Neonazis werden sie zuweilen als Antisemitismus und Stellungnahme gegen Israel interpretiert. Achtung: Nicht jeder, der diese Tücher trägt, misst ihnen auch eine politische Bedeutung bei!

Manche Kleidung ist da schon eindeutiger, zum Beispiel Oberteile der Firma Consdaple: Wenn man darüber eine Jacke trägt und diese offen lässt, bleiben nur die Buchstaben NSDAP des Schriftzugs erkennbar – ein eindeutiges Zeichen, das im Übrigen bereits einen Straftatbestand erfüllt: die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Deshalb darf man Consdaple Oberteile auch nicht auf diese Weise tragen.

Foto (Ausschnitt): Paul Walker, CC BY-SA 2.0
Wie viele Symbole aus der nordischen Mythologie auch (aber nicht nur!) bei Rechtsextremen beliebt: der Thorshammer, Foto (Ausschnitt): Paul Walker, CC BY-SA 2.0

Rechts oder links?

Auch einige Slogans und Phrasen werden inzwischen maßgeblich der rechten Szene zugeordnet. Das gilt zum Beispiel für „Todesstrafe für Kinderschänder“, was manchmal auf dem Bugfenster von Autos steht, „Sozial geht nur national“, „100% Deutsch“, „Asylbetrüger“ und natürlich „Ausländer raus“. Die Phrase „eine gewisse Minderheit“ wird von Neonazis für Juden verwendet, der Begriff „National Befreite Zone“ steht für die „Reinigung“ ganzer Ortschaften und Regionen, indem man Ausländer und andere unerwünschte Gruppen dort gezielt „rausekelt“.

Simone Rafael vom Netz gegen Nazis warnt: „Demokraten sollten die Wortschöpfungen nicht übernehmen! Das ist Teil eines Normalisierungsprozesses rechtsextremer Ideen.“ Auch scheinbar lustige Wortschöpfungen sind, wenn man deren Wurzeln betrachtet, gar nicht mehr so spaßig – wie der „Gemüsekuchen“, anstelle von Pizza und „E-Post“ für E-mail. Neonazis erfinden diese Wörter, um Fremdwörtern und Anglizismen zu entgehen und die deutsche Sprache von „schlechtem Einfluss“ zu befreien.

Trotz allem sollte man ohne Vorurteile durch die Welt gehen und auf seinen Menschenverstand und die eigene Intuition vertrauen. Viele Symbole sind leider nicht konkret der rechten Szene zuzuordnen und finden sich auch bei Mittelalterfans, der schwarzen oder Heavy Metal Szene, oder bei allgemein an der nordischen Kultur Interessierten. Ihr Missbrauch durch Neonazis ändert nichts an ihrer ursprünglichen Bedeutung. Viele Zeichen, wie Runen oder das Keltenkreuz sind zudem nur strafbar, wenn sie eindeutig im nationalsozialistischen Zusammenhang verwendet werden.

Die Übergänge zwischen den Szenen sind anhand reiner Äußerlichkeiten nicht immer leicht zu erkennen. Das gilt sogar für Extremisten von den entgegengesetzten Rändern des politischen Spektrums. Auf Demonstrationen sammeln sich sowohl Linke als auch Rechte in „schwarzen Blöcken“ und sind auf den ersten Blick kaum voneinander zu unterscheiden. In diesen Situationen hilft es dann doch, die Szene-Codes richtig deuten zu können.

Anneliese Schmidt


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November 2013
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