Gemischtes Doppel | Visegrád 4

Feindbilder sind gefragt

Illustration: © Ulrike Zöllner

#12 | POLEN

Polen verhängt ein Einreiseverbot für eine PiS-kritische ukrainische Bürgerrechtlerin. Auch NGOs sind zu beliebten Feindbildern der Regierungspropaganda geworden, meint Monika Sieradzka.

Liebe Terezea, lieber Márton, lieber Michal,

im Juli 2017 postete Bartosz Kramek, Chef der polnischen Stiftung „Offener Dialog“, auf Facebook einen 16-Punkte-Plan, um „das Attentat der PiS auf die Rechtstaatlichkeit“ zu verhindern. Seine Ideen: ziviler Ungehorsam, Einstellen der Steuerzahlungen und Lehrer-Streiks.

Nun, ein Jahr nach diesem Post, ist seine Ehefrau, die ukrainische Aktivistin Ludmila Kozlowska, in die Ukraine abgeschoben worden. Weil die polnische Regierung Kozlowska auf die Liste des Schengeninformationssystem SIS setzte, ist der jungen Frau nun neben Polen auch die Einreise in die übrigen Schengenstaaten verwehrt.

Unmittelbar danach geriet dann „Offener Dialog“ in den Fokus der regierungsnahen polnischen Medien. So habe die NGO taktisches Material, Schutzwesten und Helme in die Frontgebiete in der Ukraine geschickt, lautet der Vorwurf. Kozlowska argumentiert, damit sei menschliches Leben gerettet worden, die Stiftung habe lediglich „ukrainische Freiheitskämpfer unterstützt“ – darunter die zuerst in Russland und mittlerweile in der Ukraine inhaftierte Kampfpilotin Nadija Sawtschenko. Für Kozlowska steht fest: Ihre Abschiebung ist eine Vergeltungsmaßnahme der PiS-Regierung für die oppositionelle Tätigkeit ihres polnischen Ehemannes.

Grotesk: Eine ukrainische Aktivistin wird als russische Agentin diffamiert.

Doch damit nicht genug: Mittlerweile werden ihr angebliche Kontakte zu russischen Agenten und der russischer Mafia unterstellt, obwohl es geradezu grotesk scheint, eine ukrainische Bürgerrechtlerin als Agentin Moskaus zu diffamieren. Es ist paradox, aber die Story verfängt: Zu frisch sind die Erinnerungen an die Zeit, als der KGB seine Agenten in Oppositionskreisen platzierte, um deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Warum sollte es der russische FSB als offizieller KGB-Nachfolger heute also anders machen?

Fakt ist: Ab jetzt wird das negative Image einer mutmaßlichen russischen Agentin an der Frau kleben. Darum geht es ja bei der Propagandamasche der PiS-Apologeten. Beweise und Fakten spielen für sie keine Rolle, gnadenlos spielt die PiS die historisch gewachsene Russophobie der Polen gegen die junge Frau aus.

Dabei bedient sich die PiS derselben Mittel im hybriden Informationskrieg wie der Kreml: In der Diffamierungskampagne gegen Kozlowska werden Fakten mit Lügen verwoben, sodass niemand mehr weiß, was wahr ist und was nicht.

Einmal als russischer Agent abgestempelt, wird man in Polen nur allzu leicht zum Volksfeind erklärt. Es sind solche Feinbilder, die die polnische Regierung schürt, um Oppositionelle im öffentlichen Diskurs ideologisch zu liquidieren. Mit solchen Feindbildern konsolidiert sie ihre Wählerschaft: In diesem Herbst stehen Lokalwahlen an.

Die Attacke auf die ukrainische Aktivistin könnte ein Vorgeschmack einer größeren Kampagne gegen NGOs sein. Längst sind staatliche Mittel für regierungskritische Organisationen radikal gekürzt worden. Begünstigt werden Vereine, die patriotische Veranstaltungen organisieren. Der Terminus „NGO“ wird von offizieller Stelle negativ besetzt, soll Assoziationen mit den als gefährlich eingestuften westeuropäischen liberalen Werten hervorrufen. Hauptsache, man kann die Aktivitäten als antipolnisch abstempeln.

Warschau will absolute Kontrolle über Zivilgesellschaft nach ganz Europa exportieren.

Die PiS will doch den Polen den Nationalstolz zurückbringen, sie „von den Knien aufstehen“ lassen. Das Land soll den alten westeuropäischen Demokratien Wegweiser sein und Beispiele liefern, wie Europa aussehen soll. Dem Verständnis der polnischen Nationalkonservativen nach sollte Europa nämlich aus starken Nationalstaaten bestehen. Die stolzen Nationen, zumindest die polnische, sollen sich dem europäischen Recht nicht unterordnen müssen. Diese „stolze“ – oder wenn man will – arrogante Einstellung manifestiert sich in der Durchführung der Justizreform, die die Gewaltenteilung aufhebt. Das Verständnis des Rechtsstaats à la PiS beinhaltet auch die absolute Kontrolle der Zivilgesellschaft. Dieses Verständnis will Warschau nach ganz Europa exportieren. Nur zu gern möchte Polen dabei eine einheitliche Front mit den anderen Staaten der Region bilden.

Monika Sieradzka
29. August 2018
Copyright: ostpol.de | n-ost e.V.


Gemischtes Doppel #11 | Ungarn
Das Vorzimmer zum Faschismus?
Gemischtes Doppel #13 | Slowakei
Ich vermisse Mitteleuropa


Im Gemischten Doppel halten Michal Hvorecký (Slowakei), Tereza Semotamová (Tschechien), Márton Gergely (Ungarn) und Monika Sieradzká (Polen) die Diskurse ihrer Länder fest. Sie ergründen Themen wie die heutige Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf.

Die Goethe-Institute in Polen, Tschechien und das Onlinemagazin jádu veröffentlichen die Beiträge der Kolumnenreihe mit freundlicher Genehmigung und in Kooperation mit ostpol, dem Online-Magazin von n-ost – Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung e.V.

    Monika Sieradzka

    Monika Sieradzka hat Germanistik in Warschau und Politikwissenschaften in Mainz studiert. Sie hat 20 Jahre lang beim öffentlich-rechtlichen Sender TVP gearbeitet und war Nachrichtenreporterin, Moderatorin, Korrespondentin in Skandinavien, CvD, Redaktionsleiterin für Nachrichten und Reportage. Heute lebt sie in Warschau und berichtet als freie Journalistin für die DW und für den MDR.

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