Zum Licht, zum Licht
„Werte, die wichtiger sind als das eigene Leben“: Das russische Künstlerkollektiv Chto Delat zollt jenen Tribut, die gegen die Dunkelheit kämpfen.
„Vergiss Hoffnung. Revolution beginnt in der Hölle.“, schrieb die Philosophin Oxana Timofeeva vom St. Petersburger Künstlerkollektiv Chto Delat in ihrem Manifesto for a Zombie Communism. Es erschien 2014 zur Ausstellung Time Capsule im KOW Berlin. Das Konzept der Zeitkapsel illustrierte einen Zustand der Hoffnungslosigkeit einer stagnierenden globalen Gesellschaft, die keine andere Alternative hatte, als auf eine unbekannte Zukunft zu setzen.
Seit dem 17. Februar 2017 ist im KOW die neue Ausstellung von Chto Delat zu sehen: On the Possibility of Light. Mit Collagen, Installationen, Skulpturen und Videos, bei denen das Bild des Leuchtturms eine Schlüsselfunktion erhält, wird nach Brüchen einer Dunkelheit gesucht, die sich zunehmend auch in Europa ausbreitet. Dmitry Vilensky, Mitbegründer von Chto Delat, gibt einen tieferen Einblick in die Vorstellung einer „Möglichkeit des Lichts.“
Ist dies ein Licht, das aus der Hölle scheint, oder das Licht einer noch nicht ganz verlorenen beziehungsweise wieder gewonnenen Hoffnung?
Dmitry Vilensky: Ich denke, es ist ein bescheidener Appell, sich nicht zu sehr entmutigen zu lassen und all jenen Tribut zu zollen, die unter Einsatz des eigenen Lebens gegen die „Dunkelheit“ kämpfen.
Wofür steht das Symbol des Leuchtturms?
Der Leuchtturm ist die perfekte Metapher einer Symbiose von Gefahr und Errettung, da erst das Unwetter ihn nötig macht. Außerdem war es eine Herausforderung, die rigide und minimalistische Ästhetik des sowjetischen Konstruktivismus mit barocken und trashigen Materialien narrativer Monumente zu verbinden.
In vielen europäischen Ländern beobachten wir derzeit antidemokratische Bewegungen. Können aus sich aus diesem Zustand heraus neue internationale pro-demokratische Allianzen bilden oder verbreitet sich eher Resignation, weil es, wie in der Ausstellungsankündigung beschrieben „keinen Zufluchtsort“ („no place to flee“) mehr gibt?
Schwer zu sagen. Die Situation ist noch sehr neu. Aus dem derzeitigen Zustand kann alles hervorgehen. Aus russischer Sicht gibt es eine neue, veränderte Wahrnehmung – viele Jahre lang fühlte man sich im Ausland unverstanden und exotisch, aber plötzlich passieren nicht mehr nur in Russland unverständliche Dinge. In diesen neuen Gemeinsamkeiten könnte eine Chance für internationale Bewegungen und Protestallianzen liegen, die auf einem umfassenderen Verständnis füreinander beruhen, als zuvor.
In letzter Zeit hat der Begriff des Postfaktischen Karriere gemacht. Wird er in Russland ebenfalls gebraucht?
In Russland benutzen wir diesen Begriff zwar nicht direkt, aber er ist seit langem schon Bestandteil der russischen Politik in der Postmoderne. Die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist in Russland verschwommener, als irgendwo sonst. Im Moment erscheint der Gesellschaft nichts mehr als real, als könne nichts die Menschen zur Veränderung mobilisieren.
In der gegenwärtigen Ausstellung gibt es den Pappmaché-Engel mit zerstörtem Bein oder Bilder von Menschen, die auf politischen Demonstrationen ums Leben gekommen sind. Befinden wir uns in einer Ära des Märtyrertums?
Das Märtyrertum ist eine Bewegung aus dem Nahen Osten und natürlich Tibet. Aber wir sollten uns daran erinnern, dass auch ein großer Teil der linken revolutionären Praxis sich dieser Vorstellungen bedient. Erinnern Sie sich an die letzten Fotos der RAF-Gefangenen (Holger Meins und andere). Ich glaube nicht, dass Kunst damit spielen sollte. Was wir in der Ausstellung zeigen, ist eine Demonstration der Möglichkeit einer Gedächtnistradition. Der einfache und klare Akt der Erinnerung an einige Akteure und Ereignisse. Das kann unsere Lebensrealität beeinflussen, es macht deutlich, dass es Werte gibt, die wichtiger sind als das eigene Leben.
Wenn es darum geht, um die Demokratie zu kämpfen – Sollten wir angreifen oder verteidigen?
Wir sollten neu definieren, was Demokratie eigentlich ist. Deshalb könnte es eher darum gehen, das System anzugreifen. Es ist eine sehr schwierige Frage, wie wir die Balance zwischen dem allgemeinen Willen der Menschen und dem Gemeinwohl finden können. Das kann nur erreicht werden, wenn wir in der Lage sind, die Eigentumsverhältnisse zu attackieren – was die Bedeutung von Demokratie transformieren würde. Im Moment wird die Demokratie zwischen verschiedenen Identitätsansprüchen zerrieben. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht mit diesen Ansprüchen auseinandersetzen sollten, aber sie dürfen nicht die Gemeinschaftspolitik und die Sozialagenda in den Schatten stellen.
Sind Begriffe wie Utopie und Dystopie noch zeitgemäß oder laufen sie Gefahr, von extremistischen Bewegungen instrumentalisiert zu werden?
Der Kampf um die Bedeutung der Begriffe steht im Kern jeder politischen Auseinandersetzung. Dabei ist das größte Problem, dass wir heute von dystopischen Vorstellungen umgeben sind, aber kaum positive Zukunftsbilder haben.
Die positiven Zukunftsbilder kann auch die Ausstellung On the Possibility of Light von Chto Delat nicht liefern. Im Gegensatz zur vergangenen Ausstellung sieht sie aber eine Möglichkeit der Hoffnung, eben eine Möglichkeit des Lichts. Der aus Not errichtete Leuchtturm wird zum Symbol der Veränderung. In dem Film It has not happened to us yet, der in Kooperation mit der finnischen Initiative „Artists at Risk“ entstanden und Teil der Ausstellung ist, heißt es: „Nobody would have thought, that fog can be so dangerous.“
Chto Delat: On the Possibility of Light
zu sehen bis 9. April 2017 im KOW, Berlin