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Interview mit Balázs Dohy
"Für mich sind die Theatertexte von Lotz eine Quelle der Freiheit"

Balázs Dohy
Szabolcs Csortos

Die Premiere von Wolfram Lotz' Stück Die Politiker fand am 20. April 2023 im Katona József Theater statt. Die Inszenierung ist Teil des Mentoring-Programms „Sufni Projekt”, das von Gábor Zsámbéki geleitet wird, und wurde auch vom Goethe-Institut unterstützt. Wir haben den jungen Regisseur Balázs Dohy über sein Verhältnis zu zeitgenössischen deutschen Dramen und dem deutschen Theater befragt.

Was verbindet Sie mit deutschem Theater?

In Ungarn ist das deutsche Theater eine immer wiederkehrende Referenz und Inspirationsquelle für Theaterschaffende. Deutschland ist ein so starkes Zentrum des zeitgenössischen Theaters in Europa, das so viele spannende, innovative Künstler und Formen aus der ganzen Welt anzieht, dass es sich immer lohnt, darauf zu achten, was dort passiert. Für mich ist das deutsche zeitgenössische Theater eine Welt von unendlicher Größe und Reichweite. Ich versuche stets, Erfahrungen zu sammeln, nach Trends zu suchen und meine Eindrücke mit meinen Erfahrungen in Ungarn zu vergleichen.

Gibt es Ihrer Meinung nach markante Unterschiede zwischen deutschem und ungarischem Theater? Thematisch oder darstellerisch eventuell? Sie sagen in Ihrer Projektskizze für das Sufni-Projekt des Katona Jozsef Theaters, dass der Text von Lotz an den Grenzen des ungarischen Theaters zerre. Denken Sie die Grenzen des ungarischen Theaters sind enger gezogen als die des deutschen?

Es gibt Unterschiede, aber es ist schwierig, aus individuellen Erfahrungen zu verallgemeinern. In der ungarischen Theatergemeinde gibt es viele Überzeugungen und Klischees über das deutsche System, welche durch meine eigenen Erfahrungen bestätigt werden. Das deutsche System ist organisierter und transparenter und es gibt eine stärkere Interessenvertretung. Dadurch resultiert jedoch auch eine gewisse Rigidität. Die Möglichkeiten, die das Theater bietet, scheinen sich jedoch in breiteren Grenzen zu bewegen. Es ist bezeichnend, dass Lotz, der zugegebenermaßen versucht, das Theater mit seinen zunehmend „unmöglichen" Aufgaben herauszufordern, so beliebt ist. Auch in finanzieller Hinsicht gibt es ein großes Gefälle, was für Künstler schwierig zu ignorieren ist. Der Kulturkampf in Ungarn hat unserem Berufsstand so viel Schaden zugefügt, dass ich glaube, dass die Folgen noch nicht vollständig sichtbar sind. Meine Generation wurde durch die Geschehnisse der letzten Jahre schwer traumatisiert. Im Vergleich dazu scheint die Kulturpolitik des deutschsprachigen Raumes eine Insel der Ruhe zu sein. Natürlich gibt es auch in Deutschland finanzielle Probleme, Spannungen und heftige gesellschaftliche Debatten darüber, wie das Theater ein inklusiveres und gerechteres Medium sein kann.
 

SzínpadképLili Izsák

Wie haben Sie die Texte von Lotz für sich entdeckt? Was inspiriert Sie an Lotz' Werken? Können Sie beschreiben, was Sie dazu bewegt vielleicht auch daran reizt seine Werke zu inszenieren? (Sie hatten ja schon zuvor die „lächerliche Finsternis” von Lotz inszeniert.)

Meine erste Inszenierung war das Stück Rubens und die nichteuklidischen Weiber von Péter Esterházy, danach war ich von postdramatischen Texten begeistert. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Attila Komán begann ich mit Rubens, obwohl wir zugegebenermaßen keine Ahnung hatten, wie man aus diesem Stoff Theater machen kann. Wir hatten keine Orientierung, weil es keine Tradition dafür gab, so hatten wir das Gefühl, alles selbst ausprobieren zu müssen. Die Texte von Wolfram Lotz bieten uns den perfekten Weg, um den Halt, den wir vielleicht schon hatten, wieder und wieder zu verlieren. In Die lächerlichen Finsternis geht es schließlich um zwei Figuren, die ins Ungewisse aufbrechen. Es war einfach, sich damit zu identifizieren.

Sie beschreiben in der Projektskizze die ungarische Übersetzung als Herausforderung nicht nur, weil die Prägnanz und Eindringlichkeit Lotz' Sprache wiedergegeben werden muss, sondern auch, weil Lotz zu den Dramatikern zählt, die eine Adaption des Stückes mit eigenen Ideen und Vorstellungen ausdrücklich wünschen. Können Sie etwas zur Übersetzung sagen? Inwieweit waren Sie am Prozess beteiligt? Was hat Ihnen am meisten Schwierigkeiten bereitet? Sind Sie zufrieden mit der ungarischen Fassung? Was weicht vom Original ab?

Rita Hudáky, mit der wir nun schon zum dritten Mal zusammenarbeiten, hat eine großartige Übersetzung angefertigt. Sie hat mir auch bei der Suche nach Wolfram Lotz sehr geholfen, denn sie übersetzt nicht nur, sondern hat auch ein gutes Gespür für neue zeitgenössische Theatertexte. Da dieser Text oft nicht aus „sinnvollen Sätzen” besteht, sondern aus rhythmischen Wortwiederholungen und assoziativen Reimketten, war der Rhythmus und die Musikalität der Übersetzung ebenso wichtig wie die Genauigkeit. Die Wiederholbarkeit des Textes ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Einladung zu Spiel und Freiheit. Die Aufgabe bestand darin, herauszufinden, wann wir im Ungarischen vom deutschen „Sinn" abweichen und wann wir ihn beibehalten. Márió Nemes Z. hat sogar einen feinen ungarischen Faden in den Stoff gewebt. Der Text lässt viele verschiedene Assoziationen und Interpretationen zu, und deshalb war es wichtig, im Text zu entscheiden, in welchen Momenten wir die Zuschauer:innen tiefgreifend emotional berühren oder mit Logik beeinflussen wollen.
Bühnenbild 2Lili Izsák

Wo sahen Sie die Herausforderung beim Inszenieren der „Politiker"?

Die lächerliche Finsternis und Rubens sind im Vergleich zu diesem Stück gut bearbeitete „Bürgerdramen", die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Aber die Unkonventionalität des Stücks beflügelt das Team eher als dass sie es blockiert. Für mich als Regisseur sind die Theatertexte von Lotz eine Quelle der Freiheit, sie geben mir als Künstler einen unendlichen Handlungsspielraum. Der Text lädt die Schauspieler:innen dazu ein, zu spielen und offen zu sein.
Für mich ist es etwas schwierig, die vielen verschiedenen Phasen des Projekts zu koordinieren. Unsere Version ist voller Musik, Chöre, elektronischer Klangverzerrungen - Tamás Józsa liefert uns Musik in fast opernhaftem Ausmaß. Außerdem arbeiten wir mit viel Bewegung (Barnabás Horkay ist der Choreograf) und im Vergleich zur Größe des Sufnis mit riesigen LED-Wänden (visuelle Gestaltung: Lili Izsák). Das Volumen der Produktion ist für das Sufni und unsere finanziellen Mittel wahnsinnig groß, und viele Leute arbeiten sehr hart daran, das Projekt zu ermöglichen. Dies zu koordinieren ist die größte Herausforderung für mich.

 

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