Unfolding Kafka Festival 2024
„Die Arbeit mit den TänzerInnen fühlte sich an wie das Entfalten eines Zaubers“
Das Unfolding Kafka Festival wurde mit Fon Farang eröffnet, einer eindrucksvollen Performance des Choreographen, Tänzers und Countertenors Juan Kruz Díaz de Garaio Esnaola, in Zusammenarbeit mit dem Festivaldirektor Jitti Chompee. Unterstützt vom Goethe-Institut Thailand, verbindet die Produktion traditionelle Molam-Musik, zeitgenössischen Tanz und Themen der Identität miteinander.
Nach der Premiere haben wir uns mit de Garaio Esnaola zusammengesetzt, um über die Inspirationen hinter dem Werk, seine kreative Zusammenarbeit mit thailändischen KünstlerInnen und darüber zu sprechen, wie Fon Farang einen Dialog zwischen den Kulturen fördert und zugleich seine fortwährende Erforschung der Identität vertieft.
Helena Lang: Herzlichen Glückwunsch zur gestrigen Eröffnung des Festivals und zu deiner fesselnden Performance! Dein Projekt wurde vom Goethe-Institut Thailand unterstützt, und es war nicht das erste Mal, dass du mit dem Institut zusammengearbeitet hast. Vor dem diesjährigen Unfolding Kafka Festival warst du letzten Dezember in Bangkok, um einen Workshop abzuhalten.
Juan Kruz Díaz de Garaio Esnaola: Danke! Ja, dies ist meine vierte Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Thailand, die im Jahr 1997 mit der Südostasien-Tournee von Sasha Waltz begann. Der Workshop im letzten Jahr diente der Recherche für das diesjährige Projekt des Unfolding Kafka Festivals.
HL: Deine allgemeine künstlerische Praxis beschäftigt sich mit der Erforschung und Untersuchung von Identität. In Fon Farang hatte ich den Eindruck, dass du verschiedene Arten von Identitäten erforschst, sowohl individuelle als auch kollektive. Könntest du uns mehr über die Struktur der Performance erzählen?
JKDGE: Die Performance ist ein kohärentes Werk, das um fünf unterschiedliche Musikstücke strukturiert ist, von denen jedes seine eigene Identität und sein eigenes Thema hat. Identität spielt dabei tatsächlich eine wichtige Rolle. Letztes Jahr traf ich mich mit Molam-Musikern, um ihre Musik zu verstehen, insbesondere ihre kulturellen und zeremoniellen Aspekte, die mit Heilung und der Verarbeitung emotionaler Erfahrungen verbunden sind. Ich wollte einen Beitrag leisten, ohne eine westliche Perspektive aufzuzwingen, und dafür sorgen, dass sowohl thailändische als auch westliche Identitäten erkennbar blieben, sich jedoch gegenseitig bereicherten. Es wurde mehr als nur ein Austausch – es war ein Dialog, mit all den Komplexitäten, die er mit sich bringt: Missverständnisse, Reibungen und Momente des gemeinsamen Verständnisses.
HL: Wurden die Musikstücke speziell für die Produktion komponiert oder existierten sie bereits?
JKDGE: Es waren bereits existierende Stücke. Wir haben Stücke aus dem Repertoire der Molam-Musiker ausgewählt und uns entschieden, ihre Authentizität beizubehalten. Anstatt die Musik zu verändern, habe ich Metaphern und Bilder verwendet, um herauszufinden, ob sie die musikalischen Darbietungen subtil verändern und ihnen neue Dimensionen verleihen könnten, während die ursprüngliche Form erhalten bleibt. Die Musik selbst ist stark improvisiert, basiert auf vertrauten Melodien und enthält viele Wiederholungen, um einen tranceartigen Effekt zu erzeugen, der sowohl die Interpreten als auch das Publikum transformieren soll.
HL: Viele der Bewegungen suggerieren einen Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper. Eine Sequenz, die besonders auffiel, war jene, in der die TänzerInnen nacheinander auf dich zukamen, als würdest du ihnen das Bewusstsein für ihren eigenen Körper nehmen. Sind diese Bewegungen teilweise Reaktionen auf die Musik, und inwieweit lässt du dich von ihr leiten?
JKDGE: Es gibt zwar improvisierte Abschnitte, aber die Gesamtstruktur ist sorgfältig geplant. Raum für Spontaneität zu lassen ermöglicht es der Performance, ihrem Zweck treu zu bleiben – ähnlich wie Musik in Zeremonien durch veränderte Bewusstseinszustände Heilung fördert. Mit den TänzerInnen wollte ich eine neue Art des Verständnisses ihrer Körper einführen. Die Kontrolle aufzugeben, etwa beim Fallen, zwingt einen dazu, erlernte Bewegungsmuster loszulassen. Die Arbeit mit den TänzerInnen fühlte sich an wie das Entfalten eines Zaubers – sie dazu zu führen, sich auf transformative Weise zu bewegen. Die Musik, die wir auswählten, basierte auf Vogelstimmen, und der Sänger improvisierte Liedtexte über Vögel, während die TänzerInnen sich in einer verletzlichen Position befanden und auf meine Führung angewiesen waren. Für mich war das eine enorme Verantwortung. Die TänzerInnen mussten mir nicht nur in Bezug auf ihre eigene Sicherheit vertrauen, sondern auch, um kulturelle Grenzen zu überwinden, wie z. B. das Berühren der Körper anderer. Diese Barrieren zu überwinden, erfordert völlige Hingabe und das Loslassen von Selbstzensur, um sich frei auszudrücken.
HL: Das Thema des Fallens war auch in deinem Workshop im letzten Jahr am Goethe-Institut Thailand präsent. Inwiefern war dies Teil der Vorbereitung für deiner Performance?
JKDGE: Das Fallen war schon immer ein wiederkehrendes Thema in meiner Arbeit, weil ich denke, dass es eine der schwindelerregendsten, angstauslösendsten Erfahrungen ist, die wir machen können. Im zeitgenössischen Tanz setzen wir uns häufig mit dem Fallen auseinander. Es gibt eine Technik dafür – wie man richtig fällt –, aber es gibt auch ein intuitives Wissen des Körpers über das Fallen. Dieses instinktive Wissen lehrt den Körper, sicher zu fallen, selbst ohne bewusst darüber nachzudenken. Fallen ist nicht nur etwas Physisches – es trägt auch eine metaphysische und philosophische Dimension in sich. Es sind diese Bilder und die Idee des Kontrollverlusts, die mich interessieren.
HL: Ich finde dieses Thema faszinierend: Im Tanz wird das Fallen zu einer kraftvollen Ausdrucksform, während es im Alltag oft als etwas Negatives wahrgenommen wird. Könntest du mehr darüber erzählen, wie du den kreativen Prozess mit den thailändischen Musikern gestaltet hast? Gab es besondere Herausforderungen oder unerwartete Erkenntnisse während eurer Zusammenarbeit?
JKDGE: Es gab viele Herausforderungen, insbesondere bei der Übersetzung und den gesprochenen Dialekten. Die Musiker waren Improvisatoren, sodass wir ihre Freiheit mit der Aufrechterhaltung eines gleichmäßigen Ablaufs der Performance in Einklang bringen mussten. Wir haben ihnen nicht jede Note diktiert, sondern sie angeleitet, Gefühle zu reproduzieren, um Kohärenz zu gewährleisten, ohne ihre Kreativität einzuschränken. Obwohl wir nur wenige Tage für die Aufnahmen und Proben hatten, verlief der Prozess reibungslos. Die Musiker, insbesondere der Khaen-Meister Sombat Simla, waren begeistert, etwas Neues zu auszuprobieren, und fanden Freude an der Zusammenarbeit. Und ich hoffe, dass die TänzerInnen und Musiker etwas Bedeutungsvolles aus diesem Projekt mitnehmen, das ihre Praxis erweitert.
HL: Gab es musikalische oder tänzerische Motive, die dich inspiriert haben? Abgesehen von der Musik, gibt es noch andere Motive aus der thailändischen Kultur, die du in Fon Farang aufgegriffen hast?
JKDGE: Was mich an der von uns gewählten Musik inspirierte, war ihre stetige Tonerzeugung. Im Gegensatz zur westlichen Musik, bei der das Phrasieren durch die Stille zustande kommt, die durch die Unterbrechung des Klangs beim Einatmen des Musikers entsteht, fließt Molam kontinuierlich. Der dröhnende Ton sorgt für einen konstanten Puls und erzeugt durch die Wiederholung einen tranceartigen Effekt, der meine Bewegungswahl beeinflusste. Es erinnerte mich an einen Techno-Rave, bei dem man sich der Musik hingibt und sie einfach überhandnimmt. Was die thailändische Kultur betrifft, so wollte ich keine Elemente oberflächlich übernehmen. Ich konzentrierte mich auf wenige Aspekte, tauchte tief in sie ein und bat Jitti, mich zu führen. Es ging nicht darum, die Erfahrung zu intellektualisieren, sondern darum, vollständig einzutauchen und dann zu sehen, wie ich mit dem, was mir begegnete, kommunizieren und mich darauf beziehen konnte, ohne meine eigene Identität zu verlieren. Ich habe nicht so getan, als wäre ich Thai oder als würde ich alles vollständig verstehen. Viele Dinge lagen jenseits meines Verständnisses, aber ich fand Schönheit und Kraft in diesem Nicht-Wissen.
HL: Du bist im Baskenland aufgewachsen, das durch seine Lage zwischen Frankreich und Spanien sowie seiner eigenen Sprache eine unverwechselbare Identität besitzt. Mich würde interessieren, wie dieser Hintergrund deine Auseinandersetzung mit Identität in deiner künstlerischen Praxis beeinflusst hat.
JKDGE: Es ist interessant, dass du fragst, denn mein nächstes Projekt wird sich mit dieser Frage
beschäftigen. Ich habe das Baskenland mit 18 Jahren verlassen, um mein Studium fortzusetzen – dort gab es keine Möglichkeit, sich zum Countertenor ausbilden zu lassen. Das nächste Projekt, an dem ich arbeite, ist eine Zusammenarbeit mit einem baskischen Tänzer, der sich auf traditionellen baskischen Tanz spezialisiert hat. Er versucht, diese traditionellen Formen in einen zeitgenössischen Kontext zu übertragen, und wir arbeiten gemeinsam an der Erforschung der Identität. Dieses Projekt wird sich mit deiner Frage nach meinen Wurzeln befassen und damit, wie ich mich trotz meiner vielen Jahre im Ausland wieder mit ihnen verbinde.
HL: Das klingt äußerst spannend, besonders die Idee, sich selbst „wieder zu verwurzeln“. Nachdem du so lange im Ausland gelebt hast, findest du dich vermutlich zwischen zwei Welten wieder – zurückkehrend zu etwas Vertrautem, aber gleichzeitig von deinen Erfahrungen geprägt.
JKDGE: Ja, ich bin aufgeregt, aber auch ein wenig nervös. Etwas, das so tief mit meinem Wesen verbunden ist, wieder aufzugreifen, ist ein wenig beängstigend. Es gibt Teile meiner Vergangenheit, die ich losgelassen oder die ich habe vernarben lassen, aber ich denke, es wird sehr interessant sein, sie erneut zu entdecken.
HL: Herzlichen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, uns mehr über deine Arbeit und die Hintergründe von Fon Farang zu erzählen. Es war wirklich eine besondere Erfahrung, an der Eröffnung teilzunehmen!
JKDGE: Danke!