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Athen
Translating the Commons: Ein Erfahrungsbericht

freefairandalive
freefairandalive | Mercè M. Tarrés I CC BY-SA 4.0

Die Bibliothek des Goethe-Instituts Athen hat die Initiative, eine kollektive, selbst organisierte und auf der Praxis der Commons basierende Übersetzung des Buches Free, fair and alive. The insurgent power of the commons von Silke Helfrich und David Bollier veranlasst. Anfang Oktober fand ein Online-Seminar mit Silke Helfrich statt. Ein zweitätiger Workshop mit den griechischen Übersetzer*innen zum Thema Kollektivübersetzung schloss sich an.

Von Alexandros Schismenos

Im Laufe des Seminars führte uns Silke in die Welt der Commons ein. Sie machte deutlich, dass sich die Praxis des Commoning nicht auf die Verwaltung gemeinsamer Mittel und die gemeinsame Produktion beschränkt, sondern auch einen Leitfaden zur Neukonzeption von Gegenseitigkeit, gleichberechtigter Mitwirkung, Kommunikation und zum Aufbau vertrauensvoller Sozialbeziehungen bietet.

Silke stellte zahlreiche Initiativen vor, die auf Commons-Prinzipien beruhen. Das sind nicht nur Projekte zur Verbesserung des Alltags, sondern sie enthalten zugleich eine visionäre Neubestimmung der Zukunft, in der gesellschaftliche Organisation, Wirtschaft, Infrastrukturen, Politik und selbst staatliche Macht neu konzipiert werden. Commons verweisen auf eine Gesellschaftsform, die es den Menschen ermöglicht, frei zu sein, ohne andere zu unterdrücken, außerhalb bürokratischer Kontrolle Recht zu sprechen, Einheit ohne Zwang voranzutreiben und Souveränität ohne Nationalismus zu beanspruchen.

Im Mittelpunkt der Analyse standen Konzepte und Handlungsweisen, die auf Heterarchie, individueller Kreativität und dem gemeinschaftlichen Aufbau sozialer Netze beruhen. Diese und andere Commons-Aspekte zielen auf die Neuartikulation des gesellschaftlichen Lebens, auf Gleichrangigkeit in der Governance und die kooperative Steuerung komplexer Projekte. Grundlage dafür sei, so die Autor*innen, eine „ontologische“ Wende, d.h. die Transformation unserer Wahrnehmung der Welt. Commons erscheinen so als einzige nachhaltige Alternative zum kapitalistischen System der Ausbeutung, das auf Gewinnstreben, Angst und Isolation beruht.

In ihren Ausführungen legte Silke verschiedene Muster des Gemeinsamen dar, so wie sie sich in Gruppen und Netzwerken zeigen. Sie betonte, wie wichtig es sei, bei der Übersetzung in die griechische Sprache die Begriffe nicht einfach wörtlich wiederzugeben, sondern sie entsprechend den Eigenheiten der griechischen Erfahrungen zu übertragen.



Im anschließenden Workshop mit den Übersetzer*innen ihres Buches erläuterte sie einige der Musternamen und Begriffe, die sie gemeinsam mit David Bollier geprägt hat. So führte sie uns in den Geist einer wirklich kreativen Übersetzung – einer sogenannten „transladaptation“ – ein, die die nicht nur die Eigenheiten einer Sprache, sondern auch des gesellschaftlichen Umfeldes in Betracht zieht, um die Terminologie  verständlich zu machen und die beschriebenen Handlungsformen und Konzeptionen vertiefen zu können.

Bereits während dieses Workshops praktizierten wir einige Formen  übersetzerischer Zusammenarbeit und Kommunikation unter uns – Kapitel wurden freiwillig übernommen und horizontale Kommunikationsstrukturen zwischen Einzelnen und Gruppen von Übersetzer*innen hergestellt. Wir erörterten mögliche Begriffsübertragungen, die den Reichtum an Bedeutungen und Konnotationen wahren, und analysierten bereits erfolgte Übersetzungen ins Spanische und Deutsche. Silkes Kommentare waren dabei von unschätzbarer Hilfe, um zentrale Begriffe besser zu durchdringen und zu klären. Wie sie selbst betonte, ist jede Übersetzung des Buches eine kreative Übertragung, die in unmittelbarer Wechselbeziehung zu den Eigenheiten des Ortes und den Formen der entwickelten Commons steht. Buch und Übersetzung selbst sind Teil eines großen offenen Commons-Prozesses.
 
Silke präsentierte die zentralen Thesen des Buches entsprechend als work in progress, das die gesellschaftlichen Transformationen und die dabei entstehende gelebte Erfahrung berücksichtigt. Sie unterstützte uns darin, auch unseren Übersetzungsversuch als eine auf der Praxis der Commons gründende Zusammenarbeit zu begreifen und unsere Erfahrungen in den allgemeinen theoretischen Zusammenhang der Überwindung von herrschenden Normen und Stereotypen einzuschreiben.

Diskutiert wurden zudem die besonderen Kommunikationsbedingungen für dieses Projekt, die sich aufgrund der Covid-19 Pandemie hauptsächlich auf das Internet beschränken. Wir berieten über die Einschränkungen und suchten nach fantasievollen, kreativen Ideen, sie mit Hilfe der verfügbaren digitalen Commons (Open-Source-Plattformen; die Arbeit mit allen zugänglichen Dokumenten; regelmäßige Kommunikation und gegenseitige Hilfe bei auftauchenden Schwierigkeiten) zu überwinden. Gegenseitiges Vertrauen, kollektive Erfindungsgabe und ein authentisches Interesse der Übesetzer*innen an den Commons helfen uns, diese Umstände zu bewältigen. Sie eröffnen neue Formen der Kommunikation jenseits aller örtlichen Beschränkungen.

Wie bei jedem Commons-Projekt führt auch diese gemeinsame Produktion eines geistigen Werkes, d.h. die kreative Übertragung eines Buches, zu neuen Begriffen der Wahrnehmung und zur Überwindung von Klischees. Sie regt uns an, mit Perspektive auf eine freie, gerechte und lebendige gemeinsame Welt schöpferische, freie und gerechte Formen des Zusammenwirkens zu finden.


 

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