Postfaktisch  Die Zeitalter der Desinformation: Eine Einführung.

Männer im Anzug verteilen verschiedene Zeitungen
Das Zeitalter der Desinformation © Wikimedia Commons

Die Wahrheit zu erkennen ist für jeden von uns eine ständige Herausforderung, fehlen uns doch Mittel und Möglichkeiten für eine präzise Darstellung des tatsächlichen Maßes der Dinge. Wenige Wörter beschreiben die neuen, durch das schiere Übermaß an Informationen entstandenen Leiden und Krankheiten, welche etwa im Technofeudalismus und der künstlichen Intelligenz ihren Ursprung finden. Gefühle der Euphorie und des Unbehagens fordern die menschliche Intuition heraus. An ihnen lässt sich ablesen, in welchem Maße die Unwahrheit Beachtung findet. Um diese falschen Wahrheiten zu bezwingen, sollten wir in Leben und Alltag eine Art „Lügendetektortest“ einführen.

Das postfaktische Zeitalter 

Als im Jahr 2016 der englische Begriff post-truth (Spanisch: posverdad, Deutsch: postfaktisch) aufkam, war das Oxford Dictionary so begeistert von dem Konzept, dass es gleich noch das Wort „Zeitalter“ anhängte. Journalisten und Politexperten zeigten sich besorgt über dieses neue Phänomen, das bewusst Fakten verändert, um dadurch die öffentliche Meinung direkt zu beeinflussen. Informationen werden zugunsten einer bestimmten Überzeugung und Ideologie manipuliert, was zur Vorherrschaft einer Wahrheit führt, die sich aus gut konstruierten Geschichten zusammensetzt. Das Endprodukt ist von geheimen Absichten durchsetzt und bedient sich meist der Umgangssprache, um neue Narrative und Verschwörungstheorien zu schaffen. Dies führt zu der folgenden Fragestellung: Was, wenn wir Menschen die wahre Beschaffenheit unserer Umgebung gar nicht erkennen können?

Dies ist kein neuer Gedanke. Sowohl die griechische als auch die römische Elite der westlichen Antike hatten erkannt, dass das Wissen über die öffentliche Meinung der Massen gleichbedeutend ist mit dem Erlangen einer wichtigen politischen Stellung. Einige historische Begebenheiten dienen hierfür als Beweis. Während der Französischen Revolution (1789-1799) wurden beispielsweise die Gegner der bürgerlichen Gesellschaft dank der Pressefreiheit und einer Reihe skandalöser Artikel höchst wirksam abgelenkt. Doch selbstverständlich gibt es auch gravierendere Fälle. Der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei gelang eine groß angelegte Medienmanipulation und die Verbreitung ihrer politischen Propaganda mittels verschiedener Kommunikationsmittel, zum Beispiel Presse, Fernsehen und Film. Die Meinung des Volkes wurde auch hier erfolgreich beeinflusst, allerdings mit schwerwiegenderen Folgen. Zu Ende des Kalten Krieges griffen viele Länder mit einem kapitalistischen Wirtschaftsmodell auf eine Propagandastrategie zurück, die gewisse Produkte in Comedy-Sendungen bewarb und dadurch den unstillbaren Konsumhunger noch vergrößern sollte. Zur selben Zeit enstand auch ein neues Nachrichtenformat: das der Sensationspresse.

Postfaktische Aussagen und Misstrauen führen dazu, dass öffentliche Diskurse, deren Inhalte wahr oder wissenschaftlich erwiesen wurden, plötzlich in Zweifel gezogen werden. Heutzutage bezieht ein großer Teil der jüngeren Bevölkerungsgruppen seine Informationen aus den sozialen Medien, wo er sich von aktuellen Trends leiten lässt. Die Auswahl der Themen beeinflusst die Präferenz-Einstellungen und den persönlichen Algorithmus der Nutzer. Das postfaktische Zeitalter stellt demnach ein Risiko dar, verletzt werden Glaubwürdigkeit, Wahrheit, Fakten und zugleich die Meinungsfreiheit. Um dem entgegenzutreten, müssen wir die Eigenschaften von Falschinformationen erkennen lernen, mit denen Diskurse nach Belieben abgewandelt werden können und die der Verleumdung und der massiven Medienmanipulation mittels der sozialen Netzwerken dienen.      

Das technofeudalistische Zeitalter unter Musk 

Porträt Elon Musk © Wikimedia Commons Im April 2022 wurde Twitter — einschließlich seiner 368 Millionen Nutzer und erstaunlichen Möglichkeiten, weltweite Trends zu setzen — von Elon Musk aufgekauft. Der Erwerb sozialer Netzwerke durch Unternehmer kann einfache Nutzer mit einem Mal in Kritiker, „Spezialisten“ oder Anführer von Bewegungen verwandeln, die die Meinung eines bestimmten Personenkreises direkt beeinflussen können. Der Wirtschaftsexperte Cedric Durand bezeichnet dieses Wirtschaftsmodell als Techno-Feudalismus: Magnaten machen sich digitale Räume zueigen, um Aktualisierungen und neue Produkte auszuprobieren. Diese Art der Privatisierung führt allerdings zu Ungleichheit im Bereich des Wissenserwerbs und kann auf Wirtschaft, Politik und Gesellschaft einwirken.

Digitale Räume begünstigen den Umstand, dass einflussreiche Menschen mit den nötigen finanziellen Mitteln die Sichtbarkeit ihrer Informationen stärken, selbst wenn die entsprechenden Inhalte sensationslüstern, polemisch oder schlichtweg falsch sind oder oppositionelles oder aufrührerisches Gedankengut verbreitet wird (man siehe nur den Twitter-Account von Donald Trump). Elon Musk ist womöglich der erste Mensch auf Erden, der sich ein soziales Netzwerk aneignet und eigene Spielregeln setzt. Geld hat die Kolonialherrschaft über eine der meistbesuchten Regionen des Internets übernommen, und dies wirft gewisse Fragen zur Meinungsfreiheit auf. Die wichtigste Frage ist: Sind wir tatsächlich Herr oder Frau unserer eigenen Meinung oder plappern wir bloß Ideen nach, um irgendwo dazuzugehören?

Das Zeitalter der künstlichen Informationen

Auch die ausgefallensten und skurrilsten Motive des Universums sind für die künstliche Intelligenz (KI) — die beste Helferin der postfaktischen Welt — durchaus denkbar. Sie hat es möglich gemacht, dass Freddy Mercury ein Lied von Dua Lipa singt oder der Papst plötzlich Haute-Couture-Kleidung trägt. Chat GPT, DeepFake und ähnliche Programme halten uns den Kopf frei und helfen uns dabei, unsere audiovisuellen oder künstlerischen Projekte zu verwirklichen, denn die Maschinen verbinden und verdichten vorhandene Kenntnisse, Vorstellungen und Strukturen aus unserem Inneren. Einige Expert*innen und Unternehmen haben bereits Versuche gestartet, auf daraus resultierende Problematiken in der digitalen Welt der Informationen hinzuweisen. Sie betonen, dass diese „große Macht“ eine große ethische Verantwortung mit sich bringt, da sich Bilder dieser Art schneller verbreiten als Nachrichten. Bis vor wenigen Jahren hatte die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz den Vorrang von Tatsachen gegenüber der Fiktion noch nicht in Frage gestellt. Inzwischen erschwert sie die Arbeit von Schriftsteller*innen, Fotograf*innen und Journalist*innen erheblich. Viele Berufsgruppen stehen vor einer gewaltigen Herausforderung: Quellen müssen von nun an immer und zwingend überprüft werden, um sicherzustellen, dass der jeweilige Inhalt nicht von einer Maschine erstellt wurde. Der Streik der Schauspieler*innen und Drehbuchautor*innen in Hollywood (2023) ist der jüngste Beweis dafür, dass die Reduzierung menschlicher Arbeitsabläufe und die Entwicklung von Drehbüchern mit Hilfe von Algorithmen in Zukunft strenger reguliert werden müssen, um die kreative Arbeit zu schützen.
Symbolbild künstliche Intelligenz © Wikimedia Commons Die Schaffung künstlicher Informationen wirkt sich auf verschiedene Prozesse aus, die kognitive Leistungen erfordern. Beeinflusst werden unter anderem das logische Denken, Lernen, Analysieren und Handeln. Softwareprogramme bündeln all diese Prozesse und das Ergebnis wird als eine neue, eigenständige Idee dargestellt. Auch daher sind gesetzliche Regelungen und Transparenz im Bereich der künstlichen Intelligenz unabdingbar. Nur so kann Problemen vorgebeugt werden, die sich aus der mangelnden Originalität der künstlerischen Vorschläge ergeben.

Überleben im Zeitalter der Desinformation

Ein Kollateralschaden der Wahrheitskrise ist die Beschädigung der intellektuellen und kognitiven Integrität des Menschen. In Anbetracht der dargestellten Fakten sind Unstimmigkeiten nur schwer zu erkennen. Das rasche und verschärfte Wachstum der Informationsmenge verlangt nach einer Alphabetisierung der Bevölkerung und dem Eingreifen internationaler Organismen, die Regeln für einen ethischen und normativen Umgang mit diesem Menschenrecht aufstellen und dafür eintreten. Folgende Aspekte sollten immer beachtet werden:

Aktualität: Stets sollte das Datum überprüft werden, an dem die Inhalte erstmals erstellt und verbreitet wurden, oder auf die Originalinhalte verlinkt werden.

Autor*innen: Die jeweilige Plattform muss auf die Autorin oder den Autor oder die Institution verweisen, die die Inhalte verfasst hat. Dabei sollten auch eine Kurzbiographie und eventuelle Kontaktdaten angegeben werden.
 
Zugänglichkeit: Inhalte müssen über gängige Suchmaschinen wie Google, Yahoo! oder Safari auffindbar sein. Die Lektüre sollte nicht durch Werbeinhalte oder Pop-up-Fenster gestört werden, die gewisse Textelemente oder Bilder verbergen.

Verwendete Sprache: Inhalte werden neutral dargestellt. Es gibt keinen Subtext, der die Leserin oder den Leser beeinflussen möchte oder bestimmte Interessen vertritt.

Im Falle von Bildmaterial oder Videos sollten die erweiterten Optionen der Google Bildersuche, Invid oder GTPZero verwendet werden, um zu überprüfen, ob dieselben Inhalte auch von anderen Portalen aufgegriffen wurden.

Dank dieses Leitfadens können wir gegen eine zunehmende Verzerrung von Fakten bestehen, die sowohl die Heranbildung neuer Ideen als auch die Ausprägung eigener Argumente stark beeinträchtigt und damit auch die demokratische und kritische Seite der Entscheidungsfindung untergräbt. Es darf nicht vergessen werden, dass Wissenserwerb nur durch Diversität von Gedankengut erfolgen kann. Die Infragestellung des Establishments bedeutet immer auch eine Weiterentwicklung unserer Identitäten.

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