Fahr weg
Auf gradem Weg ins Meer
Den Möwen hinterher
So weit weg, wie es geht.
Isolation Berlin, „Fahr weg“
Zweihundert Monate und Folgen des Popcast des Goethe-Instituts, zweihundert Mal jeweils fünf neue Acts aus Deutschland, fern von Charts und Mainstream, feine Perlen, überraschende Erfolge und auch mal entsetzliche Flops, gewagte Experimente und überwältigende Ohrwürmer, liebevoll in vielen hundert Stunden fleißigen Hörens aus den neuesten Veröffentlichungen deutscher Plattenfirmen jedweder Couleur zusammengestellt. Das verlangt nach einer großen Party, und daher haben wir in Vorbereitung auf diese Jubiläumsfolge eine Umfrage durchgeführt und Fans und Beteiligte nach ihren Favoriten gefragt. Dabei ist nicht nur eine fantastische Playliste von musikalischen Favoriten herausgekommen, sondern auch spannende O-Töne, von Fans und Beteiligten.
Gut angekommen sind beispielsweise die nihilistischen Pophymnen von Isolation Berlin mit ihrem eskapistischen Meisterwerk Fahr weg aus dem Jahre 2017. Unzählige Gitarren begleiten das lebensmüde Quartett aus Deutschlands Hauptstadt auf der Flucht. Zuletzt waren sie allerdings noch im November 2024 beim Popcast zu Gast, wo sie ihr sechstes Album Electronic Babies vorstellten, ein im Vergleich zu früheren Alben komplexes Werk voll kleiner Details im Arrangement, effektvoll unterstützt von subtilen Tupfern elektronischer Einflüsse.
Weiter geht’s dem zuletzt im April 2025 vorgestellten Darling der Berliner Musikszene und sprichwörtlichen Beatpoeten Chris Imler. Der von Fans und der Popcast Redaktion gleichermaßen verehrte apokalyptische Reiter des elektrischen Kreuzberger Underground-Chansons begegnet uns hier wieder mit seinem Klopfer The Internet will break my heart, ein gewohnt düsterer technoider Track, distanziert und eindringlich.
Für Derya Yildirim und ihre Grup Şimşek ist Volksmusik keine Nostalgie oder bloße Tradition, sie ist vielmehr eine gelebte Kunstform mit mehr oder weniger tiefen Wurzeln. Sie repräsentiert Bewegung, Wandel, Ausdruck und erzählt Geschichten, die weitergegeben, neu empfunden und mit jeder Stimme neu definiert werden. In unserem Popcast wurde sie bereits im August 2019 vorgestellt und ist seitdem mehrfach auch auf dem nordamerikanischen Kontinent gesichtet worde, sei es bei Gigs in San Francisco, Chicago, in Brooklyn oder in Montreal zum Jazz Festival. Dieses Jahr im März ist dann auf dem New Yorker Label Big Crown das neue Album Yarin Yoksa erscheinen.
Im Mai diesen Jahres haben wir das neue Album von Stella Sommers Ein-Frau-Band Die Heiterkeit vorgestellt. In unsere Bestenliste aber schaffte es ein älteres Stück: Für den nächstenbesten Dandy, weniger gotisch als bei den neuesten Stücken, dafür noch etwas näher am verträumten Folk, für den das damalige Trio in Deutschland bekannt wurde. Gleichgeblieben ist aber die ostentative innere Ruhe des Gesangs, die introspektive Weisheit, mit der die sparsamen akustischen Arrangements beflügelt werden.
Ganz frisch, und trotzdem direkt in die Top Tracks der Popcast-Fans, von 0 auf 1 sozusagen, hat sich Dota Kehr gesungen. Ihre kleinen frischen Pop-Perlen, strotzend vor Weisheit und Momenten der Selbsterkenntnis, wandern musikalisch zwischen Chanson und Jazz, Pop und fließendem Elektrosound. Voll Begeisterung wiederholen wir hier das bereits letzten Monat vorgestellte Im Springbrunnen baden mit nackten Milliardären, eine dieser ironischen Alltagsbetrachtungen, für die sie bekannt geworden ist.
Auch das Kölner Trio Kratzen, Erfinder*innen des „Krautwave“, Gralshüter minimalistischer Reflexion, haben es in die Bestenliste der Popcast-Fans geschafft. Man könnte es eine konsequente Fortsetzung des ersten „echten“ deutschen Sounds der Popgeschichte nennen, der in den Sechzigerjahren einen deutschen Gegenentwurf zur blumigen Tonsprache der Hippies darstellte. Das im März 2025 vorgestellte Album, das dritte der Gruppe, bietet aber mehr: Entrückt und fragend, verziert mit Tupfern verhallter Gitarren und Klaviere, haben sie den klassischen Sound modernisiert und mit musikalischen Zitaten aus New Wave und Postpunk versehen.
Weitere Highlights, neben diversen O-Tönen aus dem Umfeld des Popcast, sind das Münchener Quartett Pirx, deren energetischer Song Hot Cell aus dem Jahre 2020 über das, was von der Atomkraft übrigbleibt, es in die Herzen der Popcast-Fans spielen konnte, und das Hamburger Rock-Urgestein Udo Lindenberg, der seinen schon etwas älteren Chanson Vopo im Duett mit Nina Hagen vorstellt.
Wir wünschen viel Spaß mit dieser Sonderausgabe unseres Popcasts und senden ein ganz großes Danke an alle, die unserem Popmusik-Blog in den letzten Jahren so treu gefolgt sind und durch ihr Interesse und ihre Neugier mitgeholfen haben, Perlen der deutschen Popmusik in die Welt zu tragen!