Pittsburgh, 11. September 2025  In der Highschool am 11. September

Portrait von Iven Yorick Fenker auf orangenem Hintergrund mit einer Hand, die einen Stift hält © Ricardo Roa
Im Anflug auf Pittsburgh muss ich an den Harz denken. Wir fliegen über eine hügelige Landschaft, die Gefühle in mir auslöst. Später in der Mount Lebanon Highschool wird der Lehrer der Deutschklasse zu seinen Schülern sagen: die Berge hier, die sehen ein bisschen so aus, wie der Harz. Die Schülerinnen und Schüler haben Texte von Sonali und mir gelesen und mein Text spielt, wie so oft, im Harz. So yeah, sage ich, I think that the Harz Mountains can be compared to the Apalachee-Mountains (,obwohl ich die nur aus dem Flugzeugfenster gesehen habe).

Auch die Highschool befindet sich auf einem kleinen Hügel, wie die vielen anderen Schulen und Kirchen hier in Pittsburgh’s Suburbia. Das ist ein Schuldistrikt wurde uns gesagt. Irgendwann später, da ist es schon dunkel, sagt uns jemand, dass es in Pittsburgh so viele Kirchen, verglichen mit der Zahl der dort lebenden Menschen, wie sonst nirgendwo in den USA gibt. Nachts werden die Kirchen, es sind vier in der unmittelbaren Umgebung unseres Hotels, beleuchtet. Als es noch hell war, konnte man deutlich sehen, dass sie nicht so alt sind, wie sie aussehen sollen. Auf einem Schild, das ich auf dem Weg zur Highschool an einer der Kirchen gesehen habe, stand, dass diese Steine erst 1945 zu einer Kirche aufgestapelt wurden sind.

Vor uns sitzen junge Menschen, die uns Fragen zu unseren Texten stellen sollen und versuchen diese auf deutsch zu stellen. Mir ist aufgefallen, dass du in deinem Text sehr kritisch mit Männern bist, sagt einer der Schüler. Er liest diesen Satz von einem Blatt ab. Er hat ihn sich aufgeschrieben. Dann schaut er mir in die Augen und fragt: Warum?

Ich sage, dass das eine gute Frage ist und dass ich finde, dass es, besonders als Mann oder männlich sozialisierte oder gelesene Person wichtig ist die eigene Rollen in einer durch und für das Patrichat geschaffenen Welt zu reflektieren und auf dessen Umgestaltung hinzuwirken und dass ich es wichtig finde die gewalttätigen Potentiale, besonders junger Männer kritisch zu betrachten und dafür zu sorgen, dass es eben nicht zu Gewalt kommt und dass dadurch sichere Räume für

– und ich merke, dass ich erstens viel zu schnell für eine Highschoolklasse, die gerade erst Deutsch lernt, spreche und dass ich mich in einer US-amerikanischen Highschool befinde und ich denke daran, dass uns der Deutschlehrer, der uns eingeladen hat, unsere Texte zur Durchsicht auf potentiell gefährliche Inhalte im Büro der Schulleiterin vorlegen musste und persönlich unterschrieben hat, dass von unseren Texten keine Gefahr für seine Schülerinnen und Schüler ausgehen und daran, dass zuletzt, wie er uns erzählt hat, die Schule nach einer Klage von Eltern Millionen Dollar Strafe zahlen musste, nachdem ein Kinderbuch in der Schule gelesen wurde, das sich im weitesten Sinne damit befasst habe, deutlich zu machen, dass Trans-Menschen ganz normale Menschen sind

– nun ja, Frauen

 – und ich kann es nicht glauben, dass es sich anfühlt, als würde ich etwas sagen, dass man nicht sagen darf und dass ich in einem, in mir Übelkeit erregendem, vorauseilendem Gehorsam zur Selbstzensur überhaupt ins Stocken gerate und doch versuche ich jetzt langsamer und verständlicher zu sprechen: und dass dadurch sichere Räume für Frauen, Trans-, Inter-, und Non-binäre Personen geschaffen werden müssen. Der Schüler, der mir die Frage gestellt hat, schaut mir nicht mehr in die Augen. Er liest noch eine Frage vor, die er sich aufgeschrieben hat: Warum fährt der Onkel in deiner Geschichte einen Ford und kein anderes Auto? An Sonali haben die Jungs der ersten Gruppe weniger Fragen, als an mich, aber sie geben sich Mühe. Am meisten Fragen stellen die Schülerinnen.

Nachdem wir auch mit einer zweiten Klasse gesprochen haben, wird uns noch die Schule gezeigt. Es gibt vier Basketballhallen, ein American-Football-Feld, eine Schwimmhalle, acht Tennisplätze und mir wurde gesagt, dass es auch einen Fußballplatz gibt. Ich habe ihn aber nicht gesehen. Es gibt hier, ein Theater, einen Filmsaal, eine Holzwerkstatt und eigentlich alles, um sich irgendwie zu verwirklichen oder auszuprobieren und es gibt Fast-Food zum Lunch. Während die Schüler:innen Pizzastücke oder Sandwichhälften kauen, ruht die Hand des Polizisten an seiner Waffe, sein Rücken lehnt an einer Säule, sein Kopf ist nach vorne gebeugt, auf seinem Handy laufen die News.  
Die in diesem Text geäußerten Ansichten sind ausschließlich die des Autors und spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung oder Position des Goethe-Instituts wider.

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