Ich wünschte, ich könnte einen anderen Text schreiben. Einen darüber, wie die Book Barn, der Ort unserer Lesung, aussah, wie das Haus von Bilbo Beutlin. Wie uns Carol, die 90-jährige Besitzerin ein Buch nach dem anderen zeigte und versuchte, sie uns mit verschmitztem Lächeln anzudrehen (What about some cook books? You enjoy cooking? Maybe some Wilhelm Busch, some German classics? You look like a guy who’s interested in the military!). Wie ihr Partner Frank zum Abschied meine Hand hielt und lächelnd sagte: You’re always welcome here in West Chester. Und wie er es meinte.
Ich wünschte, ich könnte diesen Text schreiben. Aber dann gingen wir Abendessen.
Auf dem Weg dahin: Ein Mann und seine zwei Freundinnen verwickeln Iven in ein Gespräch über Deutschland, Literatur, über die Reise. Wie in einigen Gesprächen existiere ich hier nicht, werde nicht angeschaut, nichts gefragt. Das ist nicht neu, nicht hier, nicht zuhause. Iven soll in einem Video ihren Freunden Hallo sagen, Renate und Dieter aus Stuttgart. Ich stehe aus Versehen im Bild. Sie verabschieden sich überschwänglich, eine von ihnen winkt mit der einen Hand, in der anderen hält sie eine MAGA-Kappe.
Tschüss Renate, tschüss Dieter.
Bevor wir die Speisekarte bekommen, ein Streit. Auf der anderen Straßenseite stehen zwei Männer, einer in Trump-Shirt, einer ohne. Sagt der eine zum anderen: You know, you’re supporting a pedophile. Fängt der andere an zu schreien.
Biden is the pedophile. You’re the pedophile.
Zwei afroamerikanische Frauen, ein paar Tische weiter, schalten sich ein: Leave him alone, sagen sie, und dann: Trump IS a pedophile, that’s just a fact.
Gerufe, Geschreie.
Die Tochter des Trump-Anhängers findet Worte, um den Streit zu beenden. Sie zieht ihren Vater am Ärmel weg, sie dreht sich ein letztes Mal um, und sie schreit, so laut, wie ihre Stimme es schafft: JESUS LOVES YOU!
Im Restaurant Jubel, Applaus. Drei Frauen, die neben uns sitzen, skandieren USA! USA! USA!, so wie meine Freunde und ich in Gießen, ironisch und nach zwei Gläsern Wein. Erst jetzt sehe ich, dass jede von ihnen eine MAGA-Kappe trägt, eine in rot, zwei in blau. Immer wieder laufen Passanten an ihnen vorbei, schauen sie an und rufen ihnen zu: I really like your hat! und das Gejubel fängt von vorne an. Die meisten von ihnen tragen die gleiche, manche T-Shirts, auf denen steht: Police Lives Matter.
Die Tochter von Migranten sitzt daneben und zittert. Mir ist übel, ich bin wütend, ich habe Angst. Ich rege mich mit Iven in Deutsch auf, ich weiß nicht, wohin mit mir. Ich gehe zu den zwei Afroamerikanerinnen und hocke mich neben sie. Ich danke ihnen. Sie sagen: Keine Ursache. Sie sagen, sie kommen aus Philadelphia und am Anfang war es schwer, Freunde zu finden. Sie sagen: Hier ist alles anders.
Zurück am Tisch schüttele ich mehrmals den Kopf. Die lauteste der MAGA-Frauen, kurze Haare, androgyn, schaut mich an. You okay there?, fragt sie mich und sie fragt es provokant.
Yeah, gebe ich zurück. All good. You?
Oh, I’m great, antwortet sie sarkastisch. I just see that you‘re staring at me. Your stare is literally piercing my skull and so I just wanna know if you’re okay.
I’m okay, if you’re okay, gebe ich zurück. Are you okay?
I already said I’m okay, sagt sie lauter.
Well, sage ich und zittere, I guess that means that we’re both okay.
Wir schauen uns an. Ihr Mund ist verzogen, ihre Augen schmal. Mein Puls rast.
Ich schaue weg, konzentriere mich auf unsere kommende Lesung. Frage Iven, wo unser nächstes Hotel ist, wann unser Zug abfährt.
150 000 Rechtsextreme demonstrieren auf den Straßen Londons und die Frau neben mir sagt: I can just feel her staring at me.
Ich starre auf meinen Teller, auf den Brokkoli, den Wein, auf Iven.
Dreimal so viele Menschen in NRW wählen jetzt Rechtsextreme und die Frau neben mir sagt: That lady right next to us. I swear she’s staring at me.
Nudeln, Teller, Glas, Iven: Meinst du, es gibt einen Wäscheservice im Hotel?
Auf dem Weg zum Bahnhof knien zwei junge Männer vor einem Bild von Charlie Kirk und die Frau neben mir sagt: It hasn't been easy these past years. Und ich weiß, wie Stimmen klingen, die unberechenbar sind.
Ich wünschte, ich könnte einen anderen Text schreiben. Aber ich wünschte noch mehr, dass hier alles anders wäre.
Ein weiterer Mann läuft an uns vorbei, nickt ihr zu und sagt: Nice hat you’re wearing there! Unsere Blicke treffen sich kurz. Sie schmunzelt, isst weiter und dann ruft sie mir zu: Welcome to America.