Miami, 29. September 2025  Florida Woman lebt über ihren Verhältnissen

Portrait von Sonali Beher auf orangenem Hintergrund mit einer Hand, die einen Stift hält © Ricardo Roa
Wer am Hotel-Pool hängt, ist langweilig. Das ist einer dieser Glaubenssätze, denen ich mich verschrieben habe, als kleines Kind in einer Familie, die es sich oft nicht leisten konnte, in den Urlaub zu fahren, geschweige denn an einem Hotel-Pool zu hängen. Weitere Glaubenssätze waren: Kücheninseln sind für Leute, die nicht kochen können. Wer seine Schuhe nicht bei Deichmann kauft, lebt dekadent.

Das ist schon alles gut so, wie es ist, redete ich mir als das Kind einer alleinerziehenden Sekretärin ein, gut, dass es keinen Pool gibt, aber dafür gutes Essen und die abgewetzten Jogginghosen meines großen Bruders. Armut stärkt den Charakter, sagte ich mir und ging mit meiner Mutter die Prospekte der Woche durch.
 
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Coconut Grove heißt das Luxusviertel in Miami. Das klingt wie Hollywood, denke ich auf der Fahrt dahin und so sieht es auch aus: Die Hunde können nicht laufen, ohne gehalten zu werden. Die Frauen sehen alle so aus, als seien sie berühmt, die Männer so, als könnten sie nur mit Frauen schlafen, die mindestens halb so alt sind wie sie.

Frank besteht bei unserer Ankunft im Hotel darauf, unser Gepäck hochzutragen, in einem dieser goldenen Wagen, in denen Zack und Cody in Hotel Zack und Cody immer zum Spaß herumfahren. Zum Check-In bekommen wir einen Drink serviert, eine pink-schaumige Mischung in einem Martini-Glas. Ein Bellini, erklärt mir die immerzu lächelnde Rezeptionistin. Der Drink kostet eigentlich 22 Dollar. Wir bekommen ihn für umme, als Willkommens-Dankeschön dafür, dass wir vier Tage lang am Pool liegen wollen. Der Bellini lässt auch Hannah nicht los, als ich ihr davon am Telefon erzähle. Mehrmals fragt sie nach: Und der war dann so richtig mit Alkohol?

In meinem Hotelzimmer sind die M&Ms in Glasflaschen, Alkohol jedes Prozentlevels aufgereiht, sogar Kondome, zwei, das sogenannte Couple’s Kit. Sobald Frank mein Gepäck hinstellt und die Tür hinter sich schließt, laufe ich von rechts nach links, von links nach rechts, auf den Balkon und zurück zum Badezimmer, aufgeregt über diesen seltsamen Ort, der so anders ist, als alle anderen Orte, an denen ich war. Urlaub heißt in meiner Familie: Ein Hostelzimmer zu dritt, Sandwiches in Supermärkten, an der Museumskasse so tun, als sei man noch Schüler, weil man lernt ja nie im Leben aus.

Ich mache Videos vom Zimmer und schicke sie nicht ab, weil ich plötzlich feststelle, dass all diese Sachen gar nicht kostenlos sind. Die Chips kosten acht Dollar, das Couple’s Kit zwölf. Ich merke das, kurz nachdem ich die Schlafmaske aufgerissen habe. Die wollte ich als erstes mitgehen lassen: mein Freund schläft nur, wenn sein Zimmer aussieht, wie eine Dunkelkammer und seine Vorhänge in Leipzig sind alt und hängen immer wieder fest, wenn er sie runterrollt. Achtzehn Dollar. Ich lege sie zurück, unter die Kondome, am besten noch eine Packung Chips darüber und hoffe, dass niemand nach ihr sucht.
 
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Miami ist Sonne und Palmen, Miami ist kubanisches Essen, Miami ist Miami Beach. Aber je mehr wir mit Menschen sprechen, die in dieser Stadt leben, wird eines immer deutlicher: Miami ist vor allem unbezahlbar. Während sich die einen an der Hotel Bar den nächsten Bellini bestellen, schuften die anderen erschöpft für die Miete, die bald schon wieder erhöht wird. Essen gehen ist hier eine Investition, an den Strand denken hier die wenigsten. Hier gibt es keine Lebensqualität, flüstern mir mehrere Miamianer vor Lesungen und nach Kaffees zu und erzählen mir von ihren Plänen auszuwandern, und, wie es klingt, ohne dabei auch nur einen Blick zurückzuwerfen.
 
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Auf dem Weg zum Pool habe ich meinen Bikini an und ein Handtuch umgewickelt, weil ich mir nicht sicher bin, ob es etwas kostet, den Bademantel zu tragen (auf den habe ich es besonders abgesehen, genauso wie die Handtücher, Bodentücher, den Conditioner, den Jutebeutel).

Erst im Aufzug merke ich, dass ich hier etwas falsch mache. Das bestätigt mir später auch Iven, verständnisvoll lächelnd: Eigentlich trägt man etwas Loses, wenn man zum Pool geht, sagt er. Ein Shirt und eine Shorts. Und sowieso: ein Handtuch bekommst du eh, wenn du oben angekommen bist.

Im Aufzug stehen eine Mutter in weißem Designer-Kleid und ein kleines Mädchen in cremefarbenem Tütü. Es schaut auf meine abgewetzten weißen Sneaker herunter und weiß: ich besitze nur zwei Paar Schuhe.
 
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Iven und ich düsen in einem Motorboot auf den Everglades herum, das tropische Marschland des Staates, überall Sumpf, Gras und hoffentlich auch Alligatoren.

Zumindest haben wir deswegen dreißig Dollar bezahlt und eine Stunde in einem Souvenirshop verbracht, in dem ich mich entscheiden musste, ob mein Patenkind eher Krokodil oder Seeschlange ist.

Es gibt nie eine Garantie dafür, dass wir Wildtiere sehen, sagt unser Bootsführer Captain Disco, der mich schon allein wegen seines Namens nicht enttäuschen wird. Besonders bei dieser Hitze, sagt er. Die ist auch für sie kaum auszuhalten. Da tauchen sie mittags ab, um sich ein bisschen abzukühlen.

Hier, in den Florida Everglades, wo die Alligatoren mittags unter Wasser flüchten, zwischen Sumpf und Nichts, befindet sich Alligator Alcatraz, das Trump-Gefängnis für Migranten. Welch ein grausamer Ort, um hier zu verschwinden, denke ich, während Captain Disco den nächsten Alligator für sein Publikum heranlockt.
 
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Auf Spanisch unterhalten sich die Pool-Angestellten über eine Gästin. Sie will Iced Coffee, sagt der eine. Aber bloß nicht iced.

Also einfach coffee?, fragt der andere.

Nein, antwortet der erste. Das möchte sie auf gar keinen Fall.
 
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Es ist mir unangenehm, wenn jemand dafür bezahlt wird, mein Gepäck zu tragen. Oder um mich herumzufahren. Ich sage ihnen dann immer, dass ich geschäftlich unterwegs sei, dass ich Autorin sei, um zu signalisieren: Ich habe nicht das Geld, dass das hier bezahlen könnte. Ich finde das alles genauso seltsam wie ihr.

An der Rezeption frage ich jeden Tag nach so viel kostenlosen Wasserflaschen, wie ich halten kann. Beim Frühstück frage ich nach den Preisen der Croissants, das mit Lachs und Ei, mit Frischkäse und Gurke, dem Blueberry-Muffins, den Matcha-Cookies. Der Kellner geht sie alle mit mir durch, sagt: Nine thirty, ma’am. Und, seufzend: This one’s nine eighty, ma’am.
 
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Ich schicke meiner Mutter Bilder vom Hotel, von den braungebrannten Menschen in Miami Beach, den Luxus-Läden. Und einem von mir, müde und zerzaust. Ich schreibe: Wo bin ich hier gelandet? Alle sind so fancy und das bin ich.

Ich schreibe ihr nicht oft genug, während der Reise fast gar nicht, aber seltsamerweise jetzt. Ich mache das um zu beichten. Um zu sagen: Ich bin das ja nicht. Um zu sagen: Ich gehöre zu dir. Um zu sagen: Es tut mir Leid.
 
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Nach dem Abendessen laufen wir einen Umweg zu unserem Hotel zurück. Ich habe den ganzen Tag am Hotel-Pool verbracht und mit dem schlechten Gewissen eines Kindes festgestellt: das ist gar nicht langweilig und macht Sauspaß. Es hat gerade noch geschüttet, jetzt sind es wieder 30 Grad. Hier steht ein Café mit artisanal coffee, da ein Laden für handgefertigte Luxus-Vasen. Um 23 Uhr strahlen hier alle Schaufenster heller als die Sterne. Ich gehe an ein verziertes Stahltor, dahinter vermute ich einen Park. Plötzlich tritt ein Mann aus einem kleinen Wachhaus heraus, das ich erst jetzt bemerke.

Can I help you, miss?, fragt er.

Ich hätte mich nur gefragt, was das hier sei, ein Park oder ein Garten.

No, miss, antwortet er. This is a private community.

A private community?

Yes, miss. A private community.

What’s a private community?, frage ich aufrichtig, weil ich diesen Begriff noch nie gehört habe.

A private facility, miss. Where a community lives. Privately.

Dort stehe ich nun also, ich Aufstiegskind: so weit von zuhause entfernt. Hinter dem Zaun einer ganzen Welt, vor den Toren einer anderen.
Die in diesem Text geäußerten Ansichten sind ausschließlich die der Autorin und spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung oder Position des Goethe-Instituts wider.

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