Rosinenpicker  Hypnose und andere Schnapsideen

Buchcover: Die Frau mit dem Arm © Galiani Berlin / Canva

Sven Regener und Andreas Dorau haben ein zweites Buch über das Leben des einstigen Neue Deutsche Welle-Stars geschrieben. Es beweist: Nicht nur Erfolge machen Spaß.

Dorau / Regener: Die Frau mit dem Arm © Galiani Berlin 2015 hat Andreas Dorau mit Sven Regener, Schriftsteller und Frontmann der Band Element of Crime, ein Buch über sich, den „Erfinder des subversiven Elektropop-Schlagers“, verfasst. Ärger mit der Unsterblichkeit heißt es. Unsterblich ist Dorau immer noch nicht, aber die beiden haben mit Die Frau mit dem Arm ein weiteres Buch über das Leben Doraus vorgelegt.

Es enthält Episoden aus der Welt der deutschen Musik- und Kulturbranche und ist eine weitere Sternstunde der Belanglosigkeiten, gespickt mit Episoden des Scheiterns und der Vergeblichkeit, getränkt in jeder Menge (Selbst)Ironie. 

Ich hatte Geld, die den Spaß

Zeitlich setzt das Buch mit dem neuen Jahrtausend ein, das für den 1964 geborenen Musiker nicht gut anfängt: „Ich war raus, Schnee von gestern, es drängten junge Leute nach, ich hatte Geld, die den Spaß, … ich hatte eine Vergangenheit, die hatten eine Zukunft.“ Dorau hat seinen Job bei einer Plattenfirma und damit zugleich Schreibtisch und Telefon aufgegeben. Er ist nun „auf allen Ebenen Freelancer, als Künstler, als Video Consultant, als Telefonierender“.

Das Musikgeschäft bietet keinen Trost: „Die musikalische Arbeit, wenn man es denn so nennen will, war damals eine uninspirierte Durchwurstelei, bei der man Samples und Spuren wahl- und willenlos übereinanderschichtete und sich das oft mittelmäßige Ergebnis schöntrank.“ Nach diesem Start ins neue Jahrtausend konnte es nur besser werden. Wurde es auch, zumindest teilweise.

Dorau macht, wie man heute sagt, jede Menge Projekte. Doch im Gegensatz zur gängigen Projekt-Prosa, bei der die Inhalte meistens mit heiligem Ernst und hoher Dringlichkeit vorgetragen werden, basieren Doraus Projekte auf Zufällen, Aktivismus, Schnapsideen, Geldnot und Verlusten. Wie etwa dem Tod seiner Mutter 2007, in dessen Folge nach einigen Turbulenzen das Album Todesmelodien erscheint.

Bei der Planung einer Dokumentation von Doraus Leben wird am Rande Werner Herzogs Film Herz aus Glas erwähnt, in dem angeblich alle Schauspieler während der Dreharbeiten unter Hypnose standen. Daraufhin will sich Dorau auch hypnotisieren lassen, um endlich die Wahrheit über seinen Jugendhit Fred vom Jupiter (1981) zu erfahren. Er und ein paar Freunde gehen zu Hamburgs „Hypnosekönig“. Doch im Gegensatz zu seinem Assistenten, der sofort in Trance fällt, klappt es bei Dorau nicht, auch wenn der Hypnotiseur alle Register zieht. Um die anderen nicht zu enttäuschen, tut er wenigstens so, als sei er hypnotisiert, und faselt Unverständliches, aber: „Was ich wirklich über Fred vom Jupiter denke, werde ich wohl nie erfahren.“

Kulturindustrie ist wie Klassenlotterie

In der titelgebenden Episode geht es um Doraus Angst vor Krankheit und Tod. Doch er ist kein Hypochonder, der enttäuscht ist, wenn er vom Arzt als gesund nach Hause geschickt wird, sondern er ist erleichtert: „Ich bin dem Tod schon wieder von der Schippe gesprungen, … jetzt kaufe ich mir was Schönes im zwei Häuser neben meinem Arzt liegenden Ein-Euro-Shop!“ Weil er unter starken Schwindelanfällen gelitten hat, wird er eines Tages auch richtig durchgecheckt. Endlich darf er „in die Röhre“. Das Verabreichen des Kontrastmittels soll ihm von einer Frau mit dem Arm signalisiert werden. Er wartet lang, aber nicht vergeblich. Und hat wieder Glück. Der Befund ist unauffällig, allerdings habe er ein überdurchschnittlich großes Gehirn, was ihn erfreut: „Ich besaß etwas Großes, … einen Adelspalast von einem Gehirn, in dem vielleicht nicht alle Räume beheizt sind, aber er war groß und war mein“.

Erzählt werden viele Anekdoten rund um seine mal mehr, mal weniger erfolgreichen Plattenalben, die Namen tragen wie Ich bin der eine von uns beiden, Aus der Bibliothèque, Das Wesentliche oder König der Möwen. Hits entstehen ungeplant, so etwa Ossi mit Schwan, als Single ausgekoppelt vom Album Die Liebe und der Ärger der Anderen (2017). Der Inhalt des Lieds beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 2008, als zwei betrunkene Bayern an der Münchner Isar einen ostdeutschen Touristen erst angepöbelt und dann mit einem noch lebenden Schwan auf ihn eingeschlagen haben. Als drei Jahre nach Erscheinen des Albums einer der bayerischen Gewalttäter in der TV-Datingshow Der Bachelor auftritt, wird diese Vorgeschichte publik, Ossi mit Schwan wieder nach oben gespült und entwickelt sich in Form des dazugehörigen Musikvideos zu einem kleinen Internet-Hit. Das beweist: „Die Kulturindustrie ist in ihren Erfolgswegen nicht weniger willkürlich als die Nordwestdeutsche Klassenlotterie“.

Entspannend wie Fernsehen

In einer Episode des Buches kommt auch das Goethe-Institut in Moskau vor, wo Dorau mit seiner Band auftritt. Es läuft im Vorfeld nicht alles wie erwartet, aber am Ende spielen sie vor „sehr alten Leuten“ ein vor allem aufgrund der Abhörsicherheit akustisch überzeugendes Konzert.

Der schnodderige Regener-Ton und der dazugehörige Humor geben der Frau mit dem Arm etwas sehr Sympathisches. Man kann wunderbar entspannen bei der Lektüre, so wie Dorau ganz altmodisch beim Fernsehen, das er dem zeitgenössischen Streaming vorzieht. Denn nur beim Fernsehen sei man frei, werde nicht von den Erwartungen anderer gegängelt: „Alle empfehlen einem irgendwelche Streamingserien, aber keiner empfiehlt mehr eine bestimmte Fernsehsendung… Besser geht's nicht“.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank Andreas Dorau & Sven Regener: Die Frau mit dem Arm
Berlin: Galiani-Berlin, 2023. 192 S.
ISBN: 978-3-86971-274-1