Rosinenpicker  Umweg ans Meer

Büsing: Koller © Steidl / Canva

Annika Büsing nimmt uns in ihrem zweiten Roman mit auf eine rasante Reise. Leipzig, das überflutete Ahrtal, ein Ort an der Ostsee – aus einem Kurztrip wird ein Roadtrip.

Büsing: Koller © Steidl Das Adjektiv „nett“ als Beschreibung eines Buches muss nicht abwertend gemeint sein. „Richtig nett!“ auch nicht – es kommt schließlich auf die Betonung und die Begeisterung in der Stimme an. Für mich war Koller nicht nur richtig nett, sondern außerdem ein „Wohlfühlbuch“. Aber um das nachvollziehen zu können, muss man es lesen. Wozu ich dringend raten würde. Unter „Wohlfühlbuch“ könnte man auch Kitsch hoch zehn verstehen. Oder seichte Happiness ohne jegliche Probleme. Dass aber Annika Büsings Bücher – ihr erfolgreiches Debüt Nordstadt (2022) und der nun vorliegende neue Roman – nicht in diese Kategorie gehören, wird schnell klar. Und wenn man Koller am Ende weglegt, könnte es sein, dass man den Schlusssatz für sich annimmt und sich einfach seinem positiven Gefühl hingibt.

Tiefe Seelen

Der Einstieg wird einem zugegebenermaßen ein bisschen erschwert – aber dann wird das Buch recht schnell gut, bis zum überraschenden Schluss. Es geht um zwei Menschen, Chris und Koller, der eine schüchtern, der andere wild. Beide haben ein nicht gerade kleines Päckchen zu tragen. Ihr kompliziertes Inneres wird uns äußerst geschickt von Annika Büsing präsentiert. Die beiden düsen zusammen durch Deutschland und erleben dabei viel Spannendes, viel Intimes, obwohl sie sich gerade erst kennengelernt haben. Wegen der Gefahr, schon alles Mögliche vorab zu erfahren, wäre es viel besser, das Buch ohne Buchbesprechung kennenzulernen. Aber jetzt sind Sie schon einmal hier, also sollten Sie auch weiterlesen. 

Erstens kommt es anders ...

Ohne zu viel zu spoilern: Chris und Koller fahren also von Leipzig aus in einem alten Polo ins überflutete Ahrtal, wo sie während der – tatsächlich stattgefundenen – Überschwemmungen ganzer Orte im Jahr 2021 dringend nach jemanden suchen sollen. Eigentlich ist ihr Ziel die Ostsee und eigentlich sollte Koller an einem dieser Tage heiraten. Wir lernen einige hervorragend beschriebene Menschen kennen, die im Leben der beiden einen wichtigen Part einnehmen. Die Macht der Liebe spielt durchgehend eine große Rolle in der Geschichte. Und alles könnte genau so passiert sein. Die Sprache Annika Büsings ist direkt, eingängig, smooth, die Dialoge authentisch, tiefsinnig und die Geschichte spannender als so mancher Krimi. Rasant und mit viel Witz geht es durch die Lande:
 
Wir rasten auf eine Ortschaft zu. „Du kannst nicht mit hundertvierzig Sachen durch den Ort rasen!“, schrie ich.
Koller sah in den Rückspiegel.
„Gibt wenig andere Optionen.“
Ich faltete die Hände zum Beten. Lieber Gott, bitte mach, dass wir keine Kinder, Hühner oder Schweine überfahren. […] Jeder andere wäre vom Gas gegangen. Etwa nicht? Sie wären da durch Niederschmutzing gerast, sagen Sie? Ich nicht.

Was die beiden am Ende ihrer Reise an der Ostsee erwartet, was Koller von seiner Oma geerbt hat und welcher der dortigen Koi-Karpfen nun Dean Martin ist, das sollte jeder und jede für sich selbst herausfinden.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank Annika Büsing: Koller
Göttingen: Steidl, 2023. 176 S.
ISBN: 978-3-96999-196-1
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