Julia Schoch vollendet ihre Trilogie über Erinnerung, Schreiben und das eigene Erleben. Im dritten Band spürt sie der Frage nach, wie persönliche Erfahrung zur Literatur wird – und wo die Grenzen der Autofiktion liegen.
Sie hat ihre Leser nicht lange warten lassen. Nur zwei Jahre nach Das Liebespaar des Jahrhunderts schließt Julia Schoch ihre Trilogie ab. Ihr neuer Roman Wild nach einem wilden Traum bildet den Abschluss der Reihe, die 2022 mit Das Vorkommnis begann und den Untertitel „Biographie einer Frau“ trägt.
Auch im dritten Band folgen wir einer Erzählerin, die offenkundige Parallelen zu Julia Schochs eigener Biografie aufweist. Nicht zuletzt deshalb wird ihr Werk hierzulande dem neumodischen Genre der Autofiktion zugeordnet – und sie in eine Reihe mit Autorinnen wie Annie Ernaux, Rachel Cusk und Tove Ditlevsen gestellt.
Erinnern und Begehren
Doch dieser Vergleich greift zu kurz. Schoch verfolgt in ihrer Trilogie einen eigenen Ansatz. Die drei Bücher sind zwar inhaltlich verbunden, doch jedes stellt eigene Fragen, setzt neue Schwerpunkte und beginnt an einem anderen Punkt. Während sich in Das Liebespaar des Jahrhunderts alles um eine fortschreitend verblassende Liebe dreht, steht im neuen und letzten Band vor allem der Fortbestand der Flüchtigkeit im Mittelpunkt.Ausgangspunkt ist die (Liebes-)Geschichte mit dem „Katalanen“, den die Erzählerin während eines Stipendienaufenthaltes „in A., einer Künstlerkolonie im Nordosten der USA“ kennenlernt. So namenlos wie der Ort bleibt auch der Katalane selbst. Vom ersten Moment an ist er ihr unsympathisch: „Er gefiel mir nicht. Er war weder schön noch elegant, noch hatte er etwas Athletisches an sich.“
Der Katalane: Angezogen vom Angeber
Nicht nur sein Äußeres, auch sein Auftreten stößt die Erzählerin ab. Er: wortgewandt, selbstsicher, erfolgreich. Sie: zurückhaltend, still, beobachtend. Doch eine Sache verbindet sie: das Schreiben. Während sie sich in einer Vorstellungsrunde bedeckt hält, brüstet er sich unverhohlen mit den Verkaufszahlen seines Buches.Nur wenige Tage nach der Ankunft der Stipendiaten nimmt die Geschichte ihren Lauf: „Der Katalane […] richtete sich auf und gab mir über die Köpfe der anderen hinweg ein Zeichen. Jedenfalls deutete ich es so: Er hielt seine rechte Hand mit den gespreizten Fingern in die Luft. Dann verschwand er. Fünf Minute später verließ ich ebenfalls die Veranda und stieg hinauf zu seinem Zimmer.“
Ein NVA-Soldat liest Sartre
Es entfacht sich – ja, was eigentlich: eine Affäre, eine Liebschaft, vielleicht sogar eine Liebe? Die Erzählerin meidet eine Einordnung. Ihr geht es vielmehr um das Erzählen selbst, um das Schreiben. Um die Frage, wie wir uns erinnern, und wie sich die Erinnerung mithilfe der Sprache formen lässt.Auf das Erlebte greift die Erzählerin auch während ihres Stipendienaufenthalts zurück und erinnert sich an die Geschichte mit dem Soldaten. Als junges Mädchen begegnet sie zu DDR-Zeiten am Rande der Garnisonsstadt E. am Stettiner Haff einen jungen NVA-Soldaten im Wald. Dieser rätselhafte Pilzsammler und Sartre-Leser ist es schließlich, der sie in ihrem Wunsch bestärkt, Schriftstellerin zu werden und ihr den titelgebenden Rat gibt: „Man muss wild danach sein. Wild nach einem wilden Traum.“
Die Grenzen der Autofiktion
Hier setzt die Doppelbelichtung an: der Katalane und der Soldat, im Roman wechseln sie sich unentwegt ab. Immer wieder geht es um die Frage, wie sich Erfahrungen literarisch fruchtbar machen lassen. Dürfen sich Autorinnen und Autoren schonungslos an ihrem eigenen Erleben bedienen? Und steht es ihnen besonders zu, weil sie – wie es im Buch heißt – permeabler, also durchlässiger sind? Spannend ist die Trilogie auch, weil Schoch nicht nur Erfahrungen reflektiert, sondern immer auch die Autofiktion selbst.Welche Folgen das Offenlegen des Privaten für das Umfeld hat, spielt in Schochs Werk allerdings nur eine Nebenrolle. Sie interessiert sich für die Formung der Vergangenheit durch Sprache. Deshalb wundert es nicht, dass sich ihre Protagonistin die Frage der Moral – ihr Mann ist während des Stipendienaufenthalts zu Hause in Deutschland – nicht stellt.
Wo bleibt die Körperlichkeit?
So präzise und stilsicher Schoch mit Sprache umgeht, so zurückhaltend bleibt sie in der Darstellung von Liebe, Begehren und Verlustangst. Die der Geschichte eingeschriebene Körperlichkeit wird größtenteils ausgespart. Darin liegt ein verpasstes Potenzial, nämlich die Sprache und das Erzählte über das Voyeuristische hinaus zur Sinnlichkeit zu führen.„Ich setze noch einmal an, an einem anderen Punkt.“ Mit diesem doppeldeutigen Satz beginnt Wild nach einem wilden Traum. Der letzte Band setzt in der Chronologie nicht an seine Vorgänger an. Jedes Buch lässt sich ohne die Kenntnis der anderen lesen. Formal abgeschlossen ist die Trilogie nun. Doch man darf gespannt sein, an welchem Punkt Julia Schoch das nächste Mal ansetzt.
Julia Schoch: Wild nach einem wilden Traum. Roman (Biographie einer Frau, Band 3)
München: dtv, 2025. 176 S.
ISBN : 978-3-423-28425-7
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe
München: dtv, 2025. 176 S.
ISBN : 978-3-423-28425-7
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April 2025