Rosinenpicker | Literatur  Fußballerinnen gegen alle Widerstände

Szene aus dem ersten Frauenfußball-Länderspiel Deutschland - Niederlande am 23.09.1956 im Mathias-Stinnes-Stadion in Essen
Szene aus dem ersten Frauenfußball-Länderspiel Deutschland - Niederlande am 23.09.1956 im Mathias-Stinnes-Stadion in Essen © picture alliance / SZ Photo | Horstmüller

Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland ist voller Biografien von Pionierinnen, die bisher kaum Beachtung fanden. Torsten Körner hat viele von ihnen für sein Buch »Wir waren Heldinnen« getroffen, um sie zur Sprache kommen zu lassen.

Die Fußball-Europameisterschaft der Frauen findet in diesem Juli in der Schweiz statt, und selbstverständlich wird dann auch die deutsche Nationalmannschaft mit von der Partie sein. Immerhin sind die Spielerinnen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit einigem Abstand EM-Rekordsiegerinnen: acht Europameistertitel konnten sie bereits erringen und das bei nur 11 Teilnahmen. Auch in diesem Sommer zählt das Team um Kapitänin Giulia Gwinn zum erweiterten Kreis der Favoritinnen auf den Turniersieg im Nachbarland. Sie treten in die großen Fußstapfen erfolgreicher Frauen, die vor ihnen das deutsche Nationaltrikot getragen haben, stehen aber auch in der Tradition ganzer Generationen von Fußballerinnen, denen diese besondere Auszeichnung verweigert wurde.

Von 1955 bis 1970 herrschte deutschlandweit ein Verbot für den organisierten Spielbetrieb im Frauenfußball. Ausgesprochen wurde es von den Funktionären des DFB, die den Fußball zur Männersache erklärt hatten und ihren Vereinen mit Strafen drohten, sollten sie ihre Sportplätze für Frauenteams zur Verfügung stellen. Fußball gespielt haben viele Frauen allen Widerständen zum Trotz aber dennoch, häufig unter Einsatz schier unmöglich scheinender Energie und persönlicher Opfer für die „schönste Nebensache der Welt“. Ihnen allen hat Torsten Körner mit »Wir waren Heldinnen« ein Denkmal gesetzt.

Körner: »Wir waren Heldinnen« (Buchcover) © Kiepenheuer & Witsch

Außergewöhnliche Lebensläufe

In abwechslungsreichen Porträts begleitet das Buch die Protagonistinnen des deutschen Fußballs seit der Nachkriegszeit und lässt diese immer wieder auch selbst zu Wort kommen. Körner hat unzählige Interviews geführt. Viele der Gesprächspartnerinnen sind heute im hohen Alter, können sich aber immer noch gut daran erinnern, wie es war, als junge Mädchen von Fußballplätzen vertrieben zu werden oder mit gefälschten Spielerpässen und Kurzhaarschnitten heimlich in Jungenmannschaften mitzuspielen. Die persönlichen Geschichten der ehemaligen Spielerinnen bilden das Herzstück des Buchs: sie sind zumeist anrührend, laden aber immer wieder auch zum Schmunzeln ein, da es sich bei den Erzählerinnen vielfach um echte Originale handelt, die kein Blatt vor den Mund nehmen: Das Ruhrgebiet war auch im Frauenfußball eine der frühen Hochburgen und viele der Protagonistinnen stammen aus der Region tief im Westen Deutschlands, deren Menschen für ihre gnadenlose Ehrlichkeit bekannt sind.

Die Lebensgeschichten, die beleuchtet werden, sind auch deshalb eine interessante Lektüre, weil sie sich so deutlich von den Biografien moderner (männlicher) Spieler unterscheiden, die häufig den immer gleichen Weg vom Nachwuchsleistungszentrum ins Millionengeschäft des modernen Fußballs beschreiten. Die Frauen, die während der Zeit des offiziellen Verbots unentwegt ihrem Sport nachgingen, stammten größtenteils aus dem Arbeitermilieu und waren allesamt berufstätig. An den Wochenenden begaben sie sich mit dem Reisebus auf schier endlose Touren durch ganz Deutschland, spielten mehrere Partien hintereinander und kehrten oft erst am frühen Montagmorgen zurück in ihre Heimatstädte, wo sie sich ohne Schlaf an ihren Arbeitsplätzen in Fabriken und anderen Betrieben einfanden.

Die allwöchentlichen Reisen führten quer durch die Bundesrepublik: Backnang, Buckenhof, Calw, Pfaffenhofen, Kornwestheim. An mehr als 70 Orten – darunter viele Klein- und Mittelstädte – spielte eine inoffizielle Auswahl der besten Spielerinnen Deutschlands in den 1950er und 1960er-Jahren mehr als 150 „Länderspiele“ gegen Fußballerinnen aus dem europäischen Ausland. Die gastgebenden Städte freuten sich, allen Drohgebärden des DFB zum Trotz, über die Aufmerksamkeit, die ihnen durch diese Partien zuteilwurde. Nicht selten fanden sich Tausende von Zuschauer*innen ein. Der Frauenfußball erlebte einen Boom, ob es den männlichen Funktionären passte oder nicht. Geld verdienten die Spielerinnen hingegen keins – in der Regel erhielten sie lediglich ein kleines Taschengeld für die anstrengenden Touren, das nicht einmal für die Anschaffung von adäquater Ausrüstung reichte. Den Vorwurf, sie würden den Fußball zu einer „Sensation“ oder „Show“ machen, mussten sie sich dennoch immer wieder anhören – von Männern, die der Auffassung waren, Frauen gehörten an den Herd, statt auf den Fußballplatz.

Pionierinnen wider Willen

Die Geschichte des Frauenfußballs in Westdeutschland ist eng verknüpft mit der gesellschaftlichen Entwicklung der jungen Bundesrepublik. Den Kampf für Gleichberechtigung mussten Frauen nicht nur im Sport mühsam ausfechten, sondern auch in der Arbeitswelt, der Politik und anderen Bereichen des Zusammenlebens. Erst durch die rückwärtsgewandten Einschränkungen, die ihnen durch männliche Funktionäre auferlegt wurden, bekam der Fußball für sie eine politische Dimension. Viele der interviewten Spielerinnen sprechen davon, dass sie eigentlich immer nur ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung nachgehen wollten. Zu Vorkämpferinnen der Emanzipation wurden sie vielfach erst durch das Verbot des DFB, das ihre Leidenschaft kriminalisierte.

Pionierinnen waren die Spielerinnen in vielerlei Hinsicht. Ihre freundschaftliche Verbindung zu den Spielerinnen aus den Niederlanden, die einen ähnlichen Kampf mit dem eigenen nationalen Verband austrugen, ist verblüffend im Angesicht der Tatsache, dass die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern nach dem zweiten Weltkrieg für Jahrzehnte angespannt blieben und im Männerfußball noch während der EM 1988 zu Feindseligkeiten auf und neben dem Platz führten. Die frühe Akzeptanz von homosexuellen Mitspielerinnen zeugt von einer gelebten Offenheit im gesellschaftlichen Miteinander, die man im Profifußball der Herren bis heute schmerzlich vermisst.

Aus Liebe zum Spiel

Als männlicher Sportjournalist schreibt Körner auch gegen eine Tradition patriarchaler Berichterstattung an, die dem Frauenfußball bis weit in die Gegenwart geradezu feindselig gegenüberstand. Immer wieder wird aufgezeigt, wie männlich dominierte Medien den Fußball der Frauen über Jahrzehnte lediglich sexualisiert, sensationsheischend oder spöttisch betrachtet haben. Dem stellt der Autor glücklicherweise auch immer wieder die schlagfertigen Repliken der Spielerinnen gegenüber, die eine solche Behandlung schmerzlich gewohnt waren. Sie alle verbindet das, was auch die Fußballerinnen auszeichnet, die in diesem Sommer in ausverkauften Stadien in der Schweiz ihr Können unter Beweis stellen werden: die Liebe zum Spiel, die sie sich von niemandem nehmen lassen.
Torsten Körner: »Wir waren Heldinnen«. Wie Frauen den Fußball eroberten.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2025. 336 S.
ISBN: 978-3-462-00480-9