Verena Keßlers Roman über Fitnesswahn und Schönheitsideale  Der perfekte Körper als Lebensinhalt

Junge Frau trainiert im Fitnesstudio mit Gewichten
So geht körperliche Selbstoptimierung Foto (Detail): © mauritius images / Westend61 / SERGIO NIEVAS

Ein Fitness-Studio als Austragungsort von Midlifecrisis und Persönlichkeitsstörung – plus ein paar heftige Lügen in einem Team, in dem es alle gut mit der Protagonistin meinen: Kann das funktionieren?

Im Mega Gym von Ferhat gibt es dank der modernsten und besten Geräte durchtrainierte Körper rauf und runter, sogar eine Profi-Bodybuilderin ist täglicher Gast. Das Mega Gym ist kein Fitness-Studio wie jedes andere, sondern ein „Palast aus glänzenden Oberflächen“, in dem Fitnessdrinks Namen wie „Sixpack on the beach“ oder „Pina-Cool-Downa“ tragen. Dass man zum Spinning mit „Are you ready bitches?!“ begrüßt wird, gehört dazu.

Den Job dort am Tresen bekommt die namenlose Protagonistin in Verena Keßlers Roman Gym erst, als sie Besitzer Ferhat angesichts seiner Skepsis ihrem ganz und gar nicht durchtrainierten Körper gegenüber angibt, gerade erst entbunden zu haben. Der einfühlsame „Feminist“, wie er sich selbst bezeichnet, hat Verständnis:
Die meisten wollen ihren Pre-Baby-Body zurück.
Die spontane Lüge lässt ahnen, dass wir es mit einer ziemlich unverfrorenen Person zu tun haben. Zu der nicht gerade kleinen Unwahrheit kommen fiktives Milchabpumpen in Ferhats Büro, gephotoshoppte Babyfotos oder eine erfundene babysittende Großmutter hinzu.

Cover Verena Kessler Gym © Hanser

 

Gestörte Persönlichkeit

Schnell wird klar: Mit der Protagonistin stimmt so einiges nicht. Bereits nach 30 Seiten wissen wir: Sie hat eine Bewährungshelferin. Im Verlauf der Geschichte gebärdet sie sich immer abgefahrener in ihrem Fitnesswahn, sie agiert überambitioniert und vollkommen skrupellos. Sprünge zwischen ihrem Leben als erfolgreiche Agentur-Mitarbeiterin und dem jetzigen lassen anfangs noch schwach erahnen, dass in ihrer Vergangenheit etwas Schreckliches passiert sein muss, in der Zuspitzung platzt dann auch diese unglaubliche Bombe.

Nichts für Hardcore-Vegetarier

Rasant erzählt Verena Keßler von Schönheitsidealen und wozu Menschen in der Lage sind, um diesen zu entsprechen. Überzeugte Vegetarier sollten an dieser Stelle vorgewarnt sein, es wird mitunter ekelig. Diese Passage ist noch harmlos:
Ich wachte auf und macht Push-ups. Ich putzte Zähne und machte Squats. Ich aß rohe Leber, Hack, Ei, fuhr ins Gym, begann mit dem Training. Ich spritzte, stellte mich hinter den Tresen, schnitt Obst, mixte Shakes.
Für alle, die schon einmal einen Fuß in ein Fitness-Studio gesetzt haben, ist dieses Buch bestimmt eine besondere Lesefreude. Was lässt sich da nicht alles wiedererkennen. Alle, die glauben, zu wenig Sport zu treiben, nehmen vielleicht die Inspiration mit, wenigstens ein paar Planks am Tag zu machen. Und diejenigen, die völlig unsportlich sind, bleiben es danach auch, haben aber bestimmt trotzdem Freude an Verena Keßlers drittem Roman, einem wirklich witzigen, geistreichen Werk. Da sitzt jedes Wort, jeder Gedankengang.

Verena Keßler: Gym. Roman
Berlin: Hanser, 2025. 192 Seiten
ISBN: 978-3-446-28163-9