In einigen aktuellen Jugendromanen befinden sich die Protagonist*innen in schwierigen Situationen, sie sind konfrontiert mit einem dementen Vater, der Scheidung ihrer Eltern, den familiären Folgen von DDR-Spionage oder sie kämpfen mit ihrer Spielsucht.
Der in Halle an der Saale lebende Autor Tobias Wagner hat mit seinem Debüt Death in Brachstedt gleich den Peter-Härtling-Preis 2025 gewonnen. Laut Jury gelingt es Wagner in seinem Jugendroman, „eine emotional packende Geschichte mit vielen absurden Details zu einem furiosen Höhepunkt zu führen, und dann wieder zurück in einer Normalität zu landen, bei der alles anders geworden ist und doch als Konstante die verlässliche Freundschaft zweier Jugendlicher geblieben ist“.Erzählt wird die Geschichte des 15-jährigen, introvertierten Leo, der mit seinem zunehmend an Demenz leidenden Vater lebt. Als dieser eines Morgens verschwindet, ist Leo beunruhigt. Doch dann meldet sich Tante Lisa, dass der Vater bei ihr sei und dort vorerst bleibe. Damit hat Leo plötzlich sturmfreie Bude – und es sind Osterferien. Leos Freund Henri, ein „selbstbewusster Sitzenbleiber, Antreiber und Möchtegernfilmemacher“, hat gleich eine Idee, wie man diese Situation nutzen kann: Er kündigt bei Freund*innen und Klassenkamerad*innen eine Party mit Filmpremiere an. Einziges Problem: Der Film muss erst noch gedreht werden. Es folgen aufregende Tage mit Dreharbeiten in dem heruntergekommenen Hotel von Henris bosnischem Onkel und die ganze Kleinstadt wird zur Kulisse für den geplanten Horror-Film.
Mein Vater, der Spion
Der Jugendbuchpreis Buxtehuder Bulle ging 2025 an Maja Nielsen für ihr Buch Der Tunnelbauer (2024) über einen DDR-Fluchthelfer. Nielsen ist bekannt dafür, historische Themen zu bearbeiten. Auch ihr aktueller Jugendroman Das falsche Leben basiert wieder auf einem historischen Fall.Wir schreiben das Jahr 1979: Thomas ist 16 und lebt mit seinen Eltern und seinem etwas älteren Bruder Micha in Hannover. Seine Mutter kümmert sich um den Haushalt, während sein Vater für die Preussag arbeitet. Alles wirkt zunächst wie ein ganz normales, geregeltes Leben in der alten Bundesrepublik. Doch eines Tages kommt der Vater früher von der Arbeit nach Hause und die Familie muss sofort zum todkranken Opa in die DDR. Dass es eine Reise ohne Rückkehr wird, ahnen die beiden Jungen noch nicht, erst im Osten offenbart ihnen ihr Vater, dass er ein DDR-Spion war und aufgeflogen ist. Ein neues Leben beginnt, das sich insbesondere für die Söhne falsch anfühlt. Während Micha seinem Vater die Lügen und den Verrat an der Familie nicht verzeihen kann und jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden der DDR verweigert, versucht Thomas sich in seinen neuen Alltag hineinzufinden. Auch der Vater ist angesichts der Bespitzelungen und Restriktionen bald ernüchtert von der Lebenswirklichkeit der DDR. Als er einen Ausreiseantrag stellt, gerät die Familie ins Visier der Staatssicherheit. „Aus dieser kontrastreichen Dramaturgie entsteht […] ein lebendiges Bild der historischen deutsch-deutschen Verhältnisse“, urteilt Eva-Christina Meier in der taz.
Flucht aus der Psychiatrie
Der Journalist und Autor Martin Schäuble widmet sich in seinem jüngsten Buch Heldentage dem Thema Spielsucht. Der 15-jährige Protagonist Nilo ist ein Zocker und hängt den ganzen Tag an seinem Handy. Nach einem Streit mit seiner alleinerziehenden Mutter, bei dem er sie mit einem Messer bedroht, landet Nilo in einer psychiatrischen Klinik. Dort trifft er auf den ebenfalls spielsüchtigen Faris und die faszinierende wie geheimnisvolle Mayla.Als die drei aus der Klinik fliehen, müssen sie sich – ganz ohne Handy – in der analogen Welt zurechtfinden. Was folgt ist ein spannender Roadtrip, erzählt in kurzen Sätzen und hohem Tempo. Schäuble schreibt auch nicht belehrend, Heldentage ist keine pauschale Schelte gegen die junge Generation: „Denn wie Nilo schon ganz richtig erkennt: Jeder hat seine eigenen Bewältigungsstrategien. Während er nach dem Streit mit seiner Mutter hektisch nach seinem alten Nintendo kramt, gießt sie sich einen großen Schluck Weißwein ein und schaltet Netflix an“, so Anna Nowaczyk in der FAZ.
Über den Dächern Berlins
Salah Naoura zählt hierzulande zu den produktivsten Kinder- und Jugendbuchautoren. In seinem aktuellem Buch Der Junge, der auf ein Haus stieg hat sich der 13-jährige Viktor ausgesperrt, sitzt auf einem Hochhausdach und schaut über Berlin. Er hat dort oben viel Zeit zum Nachdenken und lässt sein junges Leben Revue passieren.Viktor ist ein eher ängstlicher Typ. Sein Vater hingegen liebt alles, was gefährlich ist und sucht immer den nächsten Kick – sei es Bungeespringen, Klettern oder das Fliegen mit einem Wingsuit. Deshalb zog die Familie von Berlin in die Schweiz, als Viktor noch Grundschüler war. Nachdem es im Urlaub beinahe zu einer Katastrophe gekommen ist, lässt sich Viktors Mutter scheiden und zieht mit dem neunjährigen Jungen zurück nach Berlin. Viktor hat in den folgenden Jahren nur wenig Kontakt zu seinem Vater, bis dieser unvermittelt in Berlin auftaucht. Naoura lässt Viktor aus einer reflektierten Ich-Perspektive erzählen, Schicht für Schicht legt er seine Geschichte frei. Im Laufe einer Nacht entwickelt Viktor ein kritisches Verständnis für beide Elternteile und ist am Ende bereit, seinen eigenen Weg zu finden. Der Junge, der auf ein Haus stieg ist „ein sympathisches Buch mit einer sympathischen Hauptfigur – und vor allem sehr einfühlsam geschrieben“, so Ulf Cronenberg auf Jugendbuchtipps.de.
Weinheim: Beltz & Gelberg, 2025. 112 S.
ISBN 978-3-407-75283-3
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe.
Maja Nielsen: Das falsche Leben
Hildesheim: Gerstenberg, 2025. 192 S.
ISBN 978-3-8369-6355-8
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe.
Martin Schäuble: Heldentage. Roman
Frankfurt a.M.: Fischer Sauerländer, 2025. 272 S.
ISBN: 978-3-7373-4360-2
Tobias Wagner: Death in Brachstedt
Weinheim: Beltz & Gelberg, 2025. 208 S.
ISBN: 978-3-407-75995-5
Diesen Titel finden Sie auch in unserer Onleihe.
November 2025