Lichtspielhaus  „Sam - Ein Sachse“ - Von der Kripo in den Knast

Titelmotiv aus der Disney+ Originalserie "Sam -ein Sachse" zeigt die Titelfigur Samuel Njankouo Meffire dargestellt von Malick Bauer. © The Walt Disney Company

Lange genug hat es gedauert, doch jetzt setzt auch Disney+ auf Eigenproduktionen „Made in Germany“ - und steigt mit hartem Tobak ein: „Sam - Ein Sachse“ erzählt vom Aufstieg und Fall des ersten schwarzen Polizisten Ostdeutschlands. Samuel Njankouo Meffire wird kurz nach der Wende als Werbegesicht einer Antirassismus-Kampagne zum Medienliebling, vier Jahre später sitzt er selbst hinter Gittern. Eine ambitionierte (Anti-)Helden-Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht.

Was bedeutet Heimat? Wer ist deutsch? Was meint „deutsch sein“ eigentlich? „Sam - Ein Sachse“, die erste Eigenproduktion „Made in Germany“ aus dem Hause Disney+, stellt unbequeme Fragen über nationale Befindlichkeiten. In sieben Episoden zeichnet die Serie Aufstieg, Fall und Rehabilitierung des heute 52-jährigen Samuel „Sam“ Njankouo Meffire nach, eindrucksvoll verkörpert von Malick Bauer („Wir“).

Ein Leben wie ein Abenteuerroman

Meffire machte zu Beginn der 1990er-Jahre zunächst als erster schwarzer Polizist Ostdeutschlands, später als Krimineller Schlagzeilen. Und so ist der Disney+-Erstling nicht nur eine überfällige Geschichtsstunde, sondern prallvoll mit Reizthemen: Es geht um Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus, Sucht, Selbstüberschätzung und die verzweifelte Suche nach Zugehörigkeit.
„Ein Leben wie ein Abenteuerroman“, schrieb die Sächsische Zeitung über Samuel Njankouo Meffire. Eine Untertreibung, bietet Meffires Schicksal doch locker Stoff für zwei. Eine stark komprimierte Zusammenfassung: 1970 kommt Sam als Sohn eines Kameruners und einer Deutschen in Zwenkau bei Leipzig zur Welt. Sein Vater stirbt am Tag seiner Geburt unter ungeklärten Umständen. Fortan muss seine Mutter ihn und seinen Bruder alleine großziehen. Sie trinkt, wird gewalttätig, einzig bei den Großeltern in Dresden findet Sam Rückhalt. Er schlägt sich durch: Sportschule, Maurerlehre, Gelegenheitsjobs, Wehrdienst bei den Bereitschaftstruppen der Volkspolizei. Findet er so die erhoffte Gemeinschaft, ist endlich nicht mehr der ewige Außenseiter?
Standbild aus der Disney+ Originalserie "Sam -ein Sachse" zeigt die Titelfigur Samuel Njankouo Meffire dargestellt von Malick Bauer.

Standbild aus der Disney+ Originalserie "Sam -ein Sachse" zeigt die Titelfigur Samuel Njankouo Meffire dargestellt von Malick Bauer. | © Foto: Stephan Burchadt / The Walt Disney Company

Als im November 1989 die Mauer fällt, wird sein Leben nicht einfacher. Aus unterschwelligem DDR-Alltagsrassismus wird gesamtdeutscher brutaler Fremdenhass. Neonazis wüten in Hoyerswerda, Mölln, Rostock, Solingen, in der ganzen Republik brennen Flüchtlingsunterkünfte. Sam will ein Zeichen setzen, geht als Quereinsteiger zur sächsischen Polizei, absolviert eine Ausbildung bei der Kripo - und wird als erster schwarzer Polizist Ostdeutschlands quasi über Nacht berühmt. 1992 prangt sein Konterfei mit dem Slogan „Ein Sachse“ bundesweit auf Plakatwänden, in coolem schwarz-weißen Hochglanz. Die preisgekrönte Antirassismus-Kampagne macht den anfang 20-Jährigen zum Medienliebling. Er tingelt durch Talkshows, gibt den Vorzeige-Cop, aber hinter den Kulissen kracht es. Überstürzt quittiert Meffire 1994 den Dienst. Doch seine neue Sicherheitsagentur „Omega“ läuft nicht. Als er sich mit einer lokalen Rotlicht-Größe einlässt, ist dies der Anfang vom (vorläufigen) Ende: Der Ex-Cop rutscht ab, begeht Raubüberfälle und Körperverletzungen. Sein Gesicht ziert jetzt Fahndungsplakate. Als er von einem seiner Opfer erkannt wird, flieht er nach Zaire, die heutige Demokratische Republik Kongo. Eine lebensgefährliche Entscheidung, Meffire stellt sich den deutschen Behörden.

Ein deutsch-deutsches Leben

1996 verurteilt ihn das Landgericht Dresden zu neun Jahren und neun Monaten Haft, sieben muss er absitzen. Danach gelingt es dem Ex-Cop, sein Leben umzukrempeln. Heute lebt der 52-Jährige mit Frau und zwei Töchtern in Bonn, arbeitet mit straffällig gewordenen Jugendlichen, als Coach für Gefahrenlagen und Krimi-Autor. Sein autobiografischer Roman „Ich, ein Sachse: Mein deutsch-deutsches Leben“, Co-Autor Lothar Kittstein, erschien zum Serienstart im Ullstein Verlag.

In „Sam - Ein Sachse“ zeigen Serienschöpfer Tyron Ricketts („Bunte Hunde“), Jörg Winger („Deutschland 83“) und Christoph „Chris“ Silber („Ich bin dann mal weg“) deutsch-deutsche Historie aus einer bislang einzigartigen Perspektive. Er habe People of Colour in Deutschland eine Stimme geben wollen, so Ricketts, der auch als Co-Produzent, Komponist und Nebendarsteller (Alex) dabei ist. Für den gebürtigen Österreicher, der seine Karriere als Rapper und VIVA-Moderator („Word Cup“) begann, ist die Verfilmung des Stoffes ein Herzensprojekt, für das er lange kämpfen musste, wie er Zeit Online erzählte. „Ein schwarzer Hauptdarsteller? Das will niemand sehen.“, hätten ihm die Verleiher gesagt. Meffine kennt Ricketts seit 2001, er habe ihn als „ambivalenten Menschen“ kennengelernt.
Disney+ Deutschland
Diese Ambivalenz greifen die Serienmacher in „Sam - Ein Sachse“ auf. Kein gefälliger Mulitikulti-Fluff, der Siebenteiler fokussiert sich auf deutsch-deutsche Zerissenheit und und Identitätssuche. Ambitioniert, aber nicht immer gelungen, so der Tenor in Feuilleton und Fachpresse. So lobte die taz zwar den Cast, fand die Reihe aber „eher konventionell umgesetzt“ und die „Mischung aus politischer Relevanz und Unterhaltung“ nicht immer gelungen. Auch die FAZ würdigte die Serie als „ein eindrucksvoll erzähltes Stück deutscher Geschichte“, man würde allerdings „bisweilen den Kopf schütteln über manch holzschnittartige Darstellung der Ereignisse“. Ähnlich sah es TV Spielfim: Die Entwicklung des Protagonisten sei „ein wenig grobschlächtig erzählt“. Die Süddeutsche Zeitung urteilte gar, dass sich Disney+ „gehörig verhoben“ hätte.

Maximal weird

Lohnt sich „Sam - Ein Sachse“ trotzdem? In jeden Fall und das nicht zuletzt, weil Hauptdarsteller Malick Bauer mit einer herausragenden Performance beeindruckt. Dem MDR sagte der gebürtige Bremer, der an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig studiert hat: „Aus meiner Sicht als Schauspieler ist die Serie eine perfekte Story über unsere Ausklammerung des Schwarzseins in der Zugehörigkeit zu Deutschland. Wir verleugnen immer unsere Kolonialgeschichte in Deutschland.“ Mit Beginn der „Black Lifes Matter“-Bewegung 2019 hätte sich dies geändert und es „wurde endlich die Rassismus-Debatte losgetreten.“
An Evening with 'Sam, a Saxon': Screening and Discussion with Cast and Crew (English language) at the Goethe-Institut Chicago. Diese Veranstaltung war eine Zusammenarbeit mit der Black German Heritage and Research Association (BGHRA), der Deutschen Botschaft, der von Fremantle unterstützten Big Window Productions, dem Goethe-Institut Chicago sowie den Fachbereichen an der UIC, der Northwestern University, der DePaul University und der University of Chicago.
Unterstützung bei der Rollenvorbereitung bekam Bauer übrigens von Samuel Meffine selbst. Letzterer kann die Verfilmung seiner eigenen Vergangenheit manchmal noch nicht so recht fassen. In einem Interview mit BuzzFeed News gestand er: „Es ist maximal weird. Manchmal denke ich, die Matrix hat einen Riss oder so.“

„Sam - Ein Sachse“ / „Sam - A Saxon“
7 Folgen à ca. 55 Minuten
D 2023, Regie: Soleen Yusef, Sarah Blaßkiewitz
Darsteller: Malick Bauer, Luise von Finckh, Svenja Bauer, Larissa Sirah Herden, Ivy Quainoo, Joy Denalane, Thorsten Merten, Martin Brambach, Paula Essam, Nymandi Adrian
FSK 12