Tom lebt da, wo andere Urlaub machen. Doch der Traum zwischen Tennisplatz und Clubnächten ist längst ausgeblichen – bis eine junge Familie Farbe in sein Leben bringt. In „Islands“ entwirft Jan-Ole Gerster einen subtilen Thriller über Einsamkeit, Verantwortung und Eskapismus.
Eigentlich heißt er Tom, doch auf der Insel nennen sie ihn nur Ace. Ein Ass nach dem anderen schlug er einst gegen Tennis-Star Rafael Nadal. Doch das war nur ein Trainingsspiel, und das ist lange her. Trotz seiner brillanten Aufschläge wurde nichts aus der Karriere als Tennisprofi. Und so bleibt Tom auf der Insel und gibt tagein, tagaus Tennisstunden bei gleißendem Sonnenschein auf einer Hotelanlage in Fuerteventura.Zwischen Traum und Tenniscourt
In Jan-Ole Gersters neuen Film Islands steht erneut eine verlorene, einsame Figur im Mittelpunkt. Nach dem planlosen Endzwanziger in Oh Boy und der verbitterten Mutter in Lara ist es diesmal der abgehalfterte Tennistrainer Tom, gespielt von Sam Riley. Nachts treibt er sich im nahegelegenen Club Waikiki herum, lässt einen One-Night-Stand auf den nächsten folgen, wacht in fremden Hotelbetten auf. Doch was vor wenigen Jahren noch nach Freiheit schmeckte, hat heute nur noch den beißenden Beigeschmack des Alkohols, den Tom verstohlen in den Tennisballdosen versteckt. Eines Tages checkt eine junge Familie in das Hotel ein. Tom gibt dem kleinen Anton Tennisstunden, lernt dessen Eltern, Anne (Stacy Martin) und Dave Maguire (Jack Farthing), kennen und unternimmt mit ihnen einen Ausflug durch die karge Wüstenlandschaft der Insel. Dave lässt Bilder von sich und seiner Kleinfamilie schießen, verschwindet in einer Höhle und jagt den anderen einen Schrecken ein, bis er aus dieser wieder lachend auftaucht. Ein Scherz, über den niemand lacht. Anne kaschiert ihre Gereiztheit erst gar nicht, lässt Dave und Anton in der tosenden Brandung spielen, während sie sich von Tom den Rücken eincremen lässt.Als Tom und Dave eines Abends ins Waikiki gehen, ist der junge Vater am nächsten Tag verschwunden. Die örtliche Polizei wird kontaktiert, die Suche beginnt, doch Anne bleibt merkwürdig kalt. Während die Ermittlungen anlaufen, verkehren sich zunehmend die Rollen: Der ansonsten so verantwortungslose Tom kümmert sich mehr und mehr um den achtjährigen Anton. Sie spielen Tennis, toben am Strand. Zugleich verdichten sich die Anzeichen, dass Anton nicht irgendein Kind ist, sondern seines. War Anne eine flüchtige Begegnung aus Toms Vergangenheit, an die er sich nicht mehr erinnert?
Was wollte Tom auf Fuerteventura?
Islands ist ein Film der Suche. Auf der Plot-Ebene geht es um das Verschwinden von Dave. Doch zugleich suchen auch die Figuren – und mit ihnen auch wir, die Zuschauer: nach Blicken und Hinweisen, die etwas über ihre Geschichte und Herkunft verraten. Der Film bleibt allerdings ein unzuverlässiger Erzähler und spielt mit Andeutungen, ohne Gewissheiten zu schaffen. Alles bleibt in einer spannungsvollen, mysteriösen Unschärfe.Insbesondere Tom ist eine Figur, bei der sich viele Fragen auftun. In seinen Blicken drücken sich Einsamkeit, Melancholie und Eskapismus aus. In einer Szene kulminieren diese offenen Fragen, als Anne ihn damit konfrontiert und ihm unterstellt, er wäre schlicht auf der Insel hängengeblieben und wolle doch eigentlich etwas ganz anderes. Tom verneint – und auch wir Zuschauer wissen nicht mehr; wissen nicht, woher er kommt, was er sich wünscht, wonach er sich sehnt.
Gersters luzides Rätsel
Jan-Ole Gerster erzählt mit Islands erneut von jemandem, der nicht ankommt. Seine Leere und Sehnsüchte spiegeln sich in den weiten, kargen Landschaften der Insel. In einer ausgeblichen Bildsprache entfaltet sich ein spannender, atmosphärisch dichter und bis zum Schluss mysteriöser Thriller, der (für Gerster typisch) große Fragen aufwirft, ohne sie zu beantworten – und gerade dadurch lange nachwirkt.Islands
Premiere: Berlinale 2025
Regie: Jan-Ole Gerster
Drehbuch: Jan-Ole Gerster, Blaz Kutin, Lawrie Doran
Besetzung: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, Dylan Torrell
Länge: 123 Minuten
Produktion: augenschein Filmproduktion | Leonine Studios | Schiwago Film
Premiere: Berlinale 2025
Regie: Jan-Ole Gerster
Drehbuch: Jan-Ole Gerster, Blaz Kutin, Lawrie Doran
Besetzung: Sam Riley, Stacy Martin, Jack Farthing, Dylan Torrell
Länge: 123 Minuten
Produktion: augenschein Filmproduktion | Leonine Studios | Schiwago Film
Juli 2025