Tonabnehmer  Das wird man ja wohl noch singen dürfen

Danger Dan am Klavier auf der Bühne im Berliner Admiralspalast im Oktober 2022
Vom eigenen Erfolg überrascht: Danger Dan gelang am Klavier ein musikalischer Coup © picture alliance / PIC ONE | Adina Scharfenberg

Nach einem inspirierenden Abend mit gleichgesinnten Kunstschaffenden, lässt sich Danger Dan von einer kühnen Idee treiben. Noch ahnt er nicht, welche Welle er mit seinem Lied Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt auslösen wird.

Danger Dan kann nicht schlafen, seine Gedanken rasen. Er hat heute bei Käse und Wein hitzig mit anderen Kunstschaffenden über die Möglichkeiten der Kunstfreiheit in Deutschland diskutiert. Gastgeber des Abends war sein ehemaliger Mitbewohner Jean Peters (Peng! Kollektiv). Dieser hat bedauert, dass Grauzonen in der Kunstfreiheit heutzutage oft nicht wirklich genutzt würden. Die Aussage seines Freundes lässt Danger Dan nicht mehr los – die Idee zum Lied Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt ist geboren.
Danger Dan heißt mit bürgerlichem Namen Daniel Pongratz und ist Teil und Gründungsmitglied des deutschsprachigen Rap-Trios Antilopen Gang, das seit 2009 Alben veröffentlicht und sich auf dem hiesigen Musikmarkt bereits einen Namen gemacht hat. Die Band hat Spaß an der Provokation und ist für ihre sozialkritischen und oft sarkastischen Texte bekannt. Ihren Song Beate Zschäpe hört U2 muss die Antilopen Gang 2014 sogar vor Gericht verteidigen - mit siegreichem Ausgang für die Band.

Während Danger Dan 2020 die von Jean Peters inspirierten Zeilen niederschreibt, versinkt Deutschland gerade im ersten Corona-Lockdown. Schon seit geraumer Zeit hegt Pongratz den Gedanken, sich für ein Solo-Album vom gewohnten Sound der Antilopen Gang zu lösen, doch es mangelt ihm an Zeit. Die unfreiwillige Isolation verschafft Danger Dan reichlich Zeit, und er lässt den Dingen freien Lauf: 11 Songs entstehen, die im April 2021 in Form eines Klavieralbums das Licht der Welt erblicken. Zeitgleich toben in Deutschland hitzige Debatten über Grenzen des Sagbaren und Zensur. Insbesondere die politische Rechte und Anhänger*innen von Verschwörungstheorien nutzen die Meinungsfreiheit als Waffe gegen die vermeintliche political correctness. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ wird zum Schlachtruf der oft als „Wutbürger“ bezeichneten Gruppen. Die Stimmung im Land ist aufgeladen. Befeuert durch die Debatte, entscheidet sich Danger Dan kurz vor Veröffentlichung seines Albums im März 2021 für Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt als erste Singleauskopplung.

Also jetzt mal ganz spekulativ,
angenommen, ich schriebe mal ein Lied,
in dessen Inhalt ich besänge,
dass ich höchstpersönlich fände,
Jürgen Elsässer sei Antisemit...

Danger Dan: Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt

Mit diesen Worten und einer beschwingt-hüpfenden Klaviermelodie beginnt das eingängige Stück, das sich mit rhetorischer Raffinesse gegen Personen der „Neuen Rechten“ richtet. Danger Dan nennt dabei konkrete Namen wie den des rechtsradikalen Verlegers Götz Kubitschek oder Alexander Gauland, Bundestagsabgeordneter der AfD. Auch Polizei und Verfassungsschutz bekommen ihr Fett weg. Der Vorwurf: eine neonazistische terroristische Vereinigung, die rund um die Jahrtausendwende für mehrere Morde an Migrant*innen verantwortlich war, soll gedeckt worden sein. „Und man vertraut auch nicht auf Staat und Polizeiapparat, weil der Verfassungsschutz den NSU mit aufgebaut hat.“

Das Lied geht durch die Decke und statt Verleumdungsklagen hagelt es Beifall. Danger Dan ist ein genialer Coup gelungen: Er durchschaut die Taktik der rechten Szene und nutzt sie als Waffe gegen sie selbst. Personen, die sich in jüngster Vergangenheit unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit rassistisch oder antisemitisch geäußert haben, werden im Text angeprangert – stets mit dem Hinweis, dass es sich um seine persönliche Meinung handelt und damit auf das Recht auf künstlerische Freiheit greift. Das Resultat: Danger Dan kann für das im Liedtext Gesagte rechtlich nicht belangt werden. Sein Trick, Aussagen zuerst hypothetisch zu treffen und später den Indikativ zu verwenden, bringt ihm eine Menge Bewunderung und gleichzeitig brodelnden Hass ein.

Trotz kommerziellen Erfolgs wird das Lied heftig diskutiert. So stellt beispielsweise der ehemalige AfD-Abgeordnete Frank Pasemann eine Anfrage an die Regierung und kritisiert, dass Danger Dan für seine sogenannte „Verunglimpfung von Andersdenkenden“ staatliche Kulturförderung erhält. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sorgt hingegen der Satz „Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz“ für Aufregung. Bei der ersten Live-Aufführung des Stücks in Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royal, diskutiert man heftig hinter den Kulissen, ob diese Aussage ohne detaillierte Kontextualisierung so einfach gezeigt werden dürfe.
Trotz - oder vielleicht gerade wegen - dieser Kontroversen wird das Stück zu einem sofortigen Triumph: Über 14 Millionen Klicks auf Youtube - drei Mal so viele auf Spotify. Es folgt eine Flut von Einladungen zu Interviews, Podcasts, und Fernsehauftritten. Daniel Pongratz ist der Mann der Stunde - entgegen aller Prognosen: Die Musikindustrie rechnet zunächst nicht mit einem kommerziellen Erfolg. Auch er selbst glaubte nicht an einen Durchbruch, daher lässt er zur Veröffentlichung lediglich 500 Exemplare des Albums herstellen, die innerhalb kürzester Zeit vergriffen sind.

Danger Dan ist etwas Erstaunliches gelungen: Er kleidet radikal formulierte Inhalte in ein zugängliches, populäres Gewand und schafft es damit, linke Kritik in den Mainstream und ins bildungsbürgerliche Milieu zu tragen. Sein gewiefter Kunstgriff setzt neue Maßstäbe und belebt die Debatte um Meinungsfreiheit in Deutschland aufs Neue. Mit klarer Haltung verurteilt er, was in einer demokratischen Gesellschaft verurteilt gehört, und öffnet anschließend „...einen Sekt, denn das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“.