Sprechstunde – die Sprachkolumne  Rabenväter und Familienmütter

Zwei Raben am linken Bildrand, die Schnäbel ineinander gesteckt. Rechts das Autorinnenenporträt der Kolumnistin Bettina Wilpert.
Besser als ihr Ruf: Raben sind alles andere als nachlässige Eltern, sondern kümmern sich gleichberechtigt und fürsorglich um die Aufzucht ihrer Jungen. © mauritius images / William Mullins / Alamy / Alamy Stock Photos

Auf Müttern lasten unendlich viele gesellschaftlicher Erwartungen. So war das früher, so ist es oft heute noch. Unsere neue Kolumnistin Bettina Wilpert wirft einen kritischen Blick auf Denkmuster und Sprachbilder rund ums Mutter-Sein. Und sie fragt: Warum gibt es keine Rabenväter?

Ich schob meine kleine Tochter im Buggy durch die Straße, gleichzeitig zückte ich mein Handy. Ein älterer Mann ging an mir vorbei und zeigte mir den Vogel. Ich blieb stehen und rief ihm hinterher, was denn sein Problem sei. Seine Antwort: Er wischte er mit der Hand vor seinem Gesicht hin und her, als wäre sie ein Scheibenwischer. Ich war wohl eine Rabenmutter für ihn, weil ich in Anwesenheit meines Kindes meine E-Mails gecheckt hatte.

Fettnäpfchen überall

Als Mutter in Deutschland kann man es nur falsch machen: Man stillt zu lange oder zu kurz, geht zu früh wieder arbeiten oder betreut das Kind zu lange zu Hause. Diese gesellschaftlichen Erwartungen, wie eine „gute“ Mutter zu sein habe, betrifft vor allem Frauen – hier kommen eindeutig sexistische und patriarchale Denkmuster zum Tragen. Oder haben Sie schon einmal von einem Rabenvater gehört?

Wann fing alles an?

Der spezifisch deutsche Muttermythos ist historisch gewachsen: Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau legte mit Emile oder über die Erziehung den Grundstein. War es im bürgerlichen Milieu lange Zeit üblich, dass Kinder von Ammen gestillt wurden, sollte nun die Mutter selbst stillen und sich um das Kind kümmern – das Rollenbild der Hausfrau und Mutter entstand.

Jahrhunderte später, während der NS-Dikatur, wurden Mütter ideologisch überhöht. Die überzeugte Nationalsozialistin Johanna Harrer lieferte mit ihrem Erziehungsratgeber Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind die passende Lektüre: Die Rolle der Frau bestand darin, Gebärerin und Erzieherin zu sein. Die Erziehungziele entsprachen der NS-Ideologie. 

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich In Westdeutschland das Einernährerfamilienmodell durch: Die Mutter blieb zuhause und kümmerte sich um Haushalt und Kinder. Der Vater sorgte durch aushäusige Arbeit für das finanzielle Auskommen der Familie. Bis heute wird vor allem Müttern die Verantwortung zugeschrieben, sich um die Kinder zu kümmern.

In Ostdeutschland sah die Situation anders aus, dort gab es zahlreiche berufstätigen Frauen und flächendeckende Kitabetreuung. Doch auch hier mussten Frauen den Hauptteil der Care-Arbeit stemmen – Vereinbarkeit nennen wir das heute.

Der lange Weg zur Gleichberechtigung

Gegenbegriff zur Rabenmutter ist der Familienvater. Beim Wort Familienvater schwingt der Patriarch mit, der über die Familie herrscht. Auch wenn in Deutschland kein klassisches Patriarchat mehr besteht, sind wir in der Kleinfamilie von Gleichberechtigung noch weit entfernt: Mütter nehmen länger Elternzeit als Väter, und 2024 ging laut des Statistischen Bundesamtes der Väteranteil an den Elterngeldbeziehenden sogar erstmals auf 25,8 Prozent zurück. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit und sind daher häufiger von Altersarmut betroffen. Nach wie vor sind viele Frauen nicht finanziell unabhängig. Sie können sich deshalb beispielsweise von einem gewalttätigen Partner nicht ohne finanzielle Einbußen trennen. Ein Teufelskreis, der oft mit dem ersten Kind beginnt.

Verräterische Sprachbilder

Die Frau in einer passiven, abhängigen Rolle, der Mann aktiv – wenn Beziehungen so gesehen werden oder so strukturiert sind, dann bildet das auch die Sprache ab mit Sätzen wie: „Sie hat einen Braten in der Röhre“, „Sie ist von seinem Kind schwanger“ oder „Er hat das Kind gezeugt“. Oft hört man auch passive Formulierungen wie „das Kind wurde geboren“. Lange Zeit hieß es sogar, dass der männliche Samen den Großteil der Arbeit verrichte. Doch wer hat das Kind geboren, es zehn Monate ausgetragen und damit die ganze Arbeit geleistet? Solche passiv konstruierten Sätze machen die körperliche Leistung einer Schwangerschaft und Geburt unsichtbar.

Damit nicht genug – die deutsche Sprache kommt in Bezug auf Geburt eher angsteinflößend daher: Man hört von Dammriss und Wochenfluss, und auch die Wehen tragen sprachlich die Schmerzen bereits in sich. Deshalb sprechen viele Geburtshelfer*innen auch lieber von Wellen.

Und dann gibt es noch die Wörter, bei denen sich eine Mutter-Besessenheit abzuzeichnen scheint: Muttermilch, Mutterkuchen, Mutterinstinkt (gibt es übrigens nicht). Hier scheint einerseits eine Ideologie durch, die der Mutter die ganze Verantwortung rund um das Kind zuweist. Andererseits spiegelt sich etwa in der „Muttermilch" ein binäres Geschlechterdenken, denn auch trans Väter können stillen. Wieviel schöner wäre es doch, wie im Englischen einfach von Brustmilch zu sprechen.
 
Sprechstunde – die Sprachkolumne
In unserer Kolumne „Sprechstunde“ widmen wir uns alle zwei Wochen der Sprache – als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen. Wie entwickelt sich Sprache, welche Haltung haben Autor*innen zu „ihrer“ Sprache, wie prägt Sprache eine Gesellschaft? – Wechselnde Kolumnist*innen, Menschen mit beruflichem oder anderweitigem Bezug zur Sprache, verfolgen jeweils für sechs aufeinanderfolgende Ausgaben ihr persönliches Thema.

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