Weihnachten aus Sicht eines Weihnachtsbaums  Das Leben eines deutschen Weihnachtsbaums

In der Mitte ist eine Illustration eines Weihnachtsbaums. Rund um den Baum sind Zweige, Sterne, Zuckerstangen und Christbaumkugeln abgebildet.
Illustration eines Weihnachtsbaums Illustration: Tobias Schrank © Goethe-Institut e. V.

Eine Nordmanntanne lebt mehr als zehn Jahre, bevor sie an Weihnachten ins deutsche Wohnzimmer einzieht. Zehn Jahre, in der sie Wind und Wetter trotzen muss und dabei vor allem eines soll: schön wachsen. Die Geschichte eines Weihnachtsbaums.

Es riecht nach Moos und feuchter Erde. Auf dem weichen Waldboden sprießen Pilze, überall liegt Herbstlaub. Thomas Emslander geht zielstrebig auf einen seiner Nadelbäume zu. „Dieser hier hat sehr viel Potenzial, nächstes Jahr eine klare Eins zu werden“, sagt er stolz und zeigt auf den Baum – eine Nordmanntanne, circa 1,50 Meter groß und für dieses Jahr wohl noch „ein bisschen zu breit“, um als Weihnachtsbaum erster Wahl durchzugehen.
 
Der Christbaumproduzent steht zwischen Tannenbäumen auf einem Hang. Er hat graue Haare, trägt eine Brille und ist in seinen Arbeitsklamotten unterwegs

Emslander und die Christbäume, die dieses Jahr verkauft werden sollen | Bild © Lena Maurer

Thomas Emslander ist einer von mehr als tausend Christbaumproduzent*innen in Deutschland. Seit den 1980er-Jahren pflanzt er auf seinen Feldern in der Nähe von Landshut Weihnachtsbäume an. Deutschlands beliebteste Christbaumsorte, die Nordmanntanne, steht in unterschiedlichsten Größen und Formen auf seinen Feldern. Sein „Potenzialbaum“, die 1,50 Meter große Tanne, ist circa zehn Jahre alt. Eingepflanzt hat Emslander den Baum vor etwa acht Jahren. Eine lange Zeit, in der ein Weihnachtsbaum einiges erlebt.

Die Tannenbaumsaat: Von Georgien nach Deutschland

Typischerweise ist die erste Station eines deutschen Weihnachtsbaumes in Georgien – hier hat die Nordmanntanne ihren Ursprung. Im Herbst werden dort Tannenzapfen aus 20 Meter Höhe geerntet. Aus einem einzigen Zapfen lassen sich mehr als 100 Nordmanntannen ziehen. Die Samen werden über den Winter getrocknet und im Frühjahr in deutschen Baumschulen ausgesät. Dort wachsen die Pflanzen zwei bis drei Jahre lang auf circa 20 Zentimeter heran. Dann befreit man sie von der Erde, sortiert sie vor und liefert sie am besten noch am selben Tag an die Produzent*innen, damit die Wurzeln nicht antrocknen.
Gewächshaus mit ganz vielen kleinen Nordmanntannen in drei Reihen. Das Gewächshaus ist aufgrund feuchter Luft angelaufen.

Emslander zieht in einem kleinen Gewächshaus selbst Tannenbäume groß. Seine Saat kommt aus Dänemark. | Bild © Lena Maurer

Eingepflanzt werden die Bäumchen an Standorten, an denen sie zu einer „Eins“ heranwachsen sollen – so wie die Nordmanntanne von Thomas Emslander. Sie steht auf einem nach Norden geneigten Hang, der an drei Seiten von Wald umschlossen ist. Im Frühjahr bekämen Bäume in der Lage kaum Sonnenstunden. Das verhindere, dass die Bäumchen zu früh austreiben und Frost die Triebe zerstöre. Die Hanglage schütze die Bäume zusätzlich. Weil die Frostgefährdung von höheren nach tieferen Lagen zunimmt, seien Hänge für die Aufzucht von Weihnachtsbäumen besser geeignet als Tallagen.

Es ist aber nicht nur Frost – auch Trockenheit, Hagel und Schädlinge können ganze Christbaumfelder zerstören. Eberhard Hennecke, ein Christbaumproduzent aus dem Sauerland, hat bereits erlebt, wie innerhalb weniger Sekunden eine Kultur durch Hagel ruiniert wurde. Junge Zweige sterben ab, „der Baum wird unansehnlich“, erzählt Hennecke. Das passiere zum Glück nicht häufig. Aufgrund seiner hügeligen Lage und Wassermengen zur richtigen Zeit sei das Sauerland ein sehr guter Ort für den Weihnachtsbaumanbau.

Das Sauerland: Deutschlands Weihnachtsbaum-Hochburg

Das Sauerland ist Deutschlands größtes zusammenhängendes Christbaum-Anbaugebiet. Laut Hennecke ist dort der Weihnachtsbaumanbau nach der Milchviehhaltung der wichtigste Wirtschaftszweig. Er selbst pflanzt auf 350 Hektar jeweils bis zu 7.000 Weihnachtsbäume an.

Die Saison beginnt für Eberhard Hennecke schon Ende Oktober. In der Erntezeit beschäftigt er 35 Arbeitskräfte. Unterm Jahr seien es deutlich weniger. Dass er je nach Jahreszeit unterschiedlich viele Mitarbeiter*innen hat, ist für seine Branche ganz normal.

Weihnachtsbaum-Anbau ist Saisonarbeit

Im Februar müssen beispielsweise die Zäune repariert werden, damit die Bäume vor Wildverbiss geschützt sind, meint Hennecke. Im Frühling setzen Mitarbeitende Bäumchen, düngen die Felder und befreien die Erde rings um bereits gepflanzte Bäume mit Maschinen und Pflanzenschutzmitteln von Unkraut. Zudem würden immer wieder Arbeiter*innen die einzelnen Bäumchen christbaumtauglich machen: Tannenbaumspitzen gerade richten, Äste stutzen oder schädlingsbefallene Bäume mit Insektiziden besprühen. Vieles davon sei Handarbeit. Anfang Herbst werden die Bäume, die in dem Jahr gefällt werden sollen, je nach Farbe, Form und Größe mit unterschiedlichen Marken versehen. Ende Oktober beginnt die Erntezeit - die wichtigste Saison, da der Umsatz eines ganzen Jahres eingefahren wird.
Der Christbaumproduzent Hennecke geht mit einer Kettensäge durch seine Christbaumkultur.

Die Hauptsaison von Christbaumproduzenten Eberhard Hennecke beginnt schon Mitte Oktober | Bild, 2014 (Detail) © picture alliance / dpa | Marius Becker

Die Arbeit ist schwer, betont Hennecke. Vor allem bei Schnee wird das Ernten auf den Hängen zur Rutschpartie. Wenn es durch Witterungen langsamer vorangeht, dauert ein Arbeitstag schon mal 24 Stunden.

Verantwortungsvolle Christbaumlagerung

Nach der Ernte beginnt die Reise der Weihnachtsbäume. Sie landen meistens in Baumärkten, Gartencentern oder bei Discountern wie Aldi oder Lidl. Sowohl Hennecke als auch Emslander weisen darauf hin, wie wichtig es sei, die Bäume richtig zu lagern, damit sie bis Weihnachten durchhalten. Bestenfalls würden die Händler*innen die Bäume im Freien ohne direkte Sonneneinstrahlung aufstellen. Am schlimmsten wäre es, wenn die Bäume bis zum Verkauf im Hochregallager auf Paletten geschnallt bleiben müssten.

Weihnachtszeit = Umsatzzeit

„Kundenabwehr“, nennt Emslander das. Er selbst weiß es am besten, schließlich hat er auf seinem Hof eine riesiges „Christbaumland“ eingerichtet, wo er an Privatpersonen verkauft. Vor allem Familien mit Kindern seien seine Kundschaft, meint er. Manchmal würden diese sogar mehrere Weihnachtsbäume kaufen, einer stünde dann im Wohnzimmer und einer im Kinderzimmer.

Emslander muss immer wieder lachen, wenn er Geschichten über seine Kund*innen erzählt. Die meisten wüssten genau, was sie suchen, sagt er. Schließlich stehe der Baum meistens jedes Jahr am selben Platz. Manchmal, weiß er, sei ein längerer Ast wichtig, ein andermal sind es lichtere Zweige an der einen bestimmten Stelle, damit die Uhr an der Wand nicht verdeckt wird.
 
Verschiedene Christbäume auf einem Hang, die mit bunten Etiketten markiert sind. Hinter den Weihnachtsbäumen beginnt ein Waldabschnitt.

Ein „Paradebeispiel“ an einem guten Hang, so Emslander | Bild © Lena Maurer

Das alles berührt unseren Potenzialbaum erst im kommenden Jahr. Der Hang, auf dem er steht, wird sich zwar lichten, dennoch wird er gemeinsam mit anderen Bäumen bis zur nächsten Saison stehen bleiben und noch etwas wachsen. Vielleicht wird er bis dahin 1,75 m groß – die aktuell beliebteste Tannenbaumgröße der Deutschen. Mit den vier Etagen an Ästen wäre unsere Nordmanntanne dann für die Großkund*innen der perfekte Christbaum. Vielleicht bleibt unser Potenzialbaum aber auch so breit wie gerade. Oder ein Sturm bricht einen der Äste ab. Es kann so viel passieren in einem Jahr.

So schlimm wäre das vielleicht auch gar nicht. Es seien ohnehin nicht die perfekten Bäume, an die man sich noch Jahre später zurückerinnert, meint Emslander, sondern die mit Loch oder zweiter Spitze. Bäume mit Charakter eben.

Mehr Beiträge | Weihnachten aus der Sicht von ...