Eine Nordmanntanne lebt mehr als zehn Jahre, bevor sie an Weihnachten ins deutsche Wohnzimmer einzieht. Zehn Jahre, in der sie Wind und Wetter trotzen muss und dabei vor allem eines soll: schön wachsen. Die Geschichte eines Weihnachtsbaums.
Es riecht nach Moos und feuchter Erde. Auf dem weichen Waldboden sprießen Pilze, überall liegt Herbstlaub. Thomas Emslander geht zielstrebig auf einen seiner Nadelbäume zu. „Dieser hier hat sehr viel Potenzial, nächstes Jahr eine klare Eins zu werden“, sagt er stolz und zeigt auf den Baum – eine Nordmanntanne, circa 1,50 Meter groß und für dieses Jahr wohl noch „ein bisschen zu breit“, um als Weihnachtsbaum erster Wahl durchzugehen.
Emslander und die Christbäume, die dieses Jahr verkauft werden sollen | Bild © Lena Maurer
Die Tannenbaumsaat: Von Georgien nach Deutschland
Typischerweise ist die erste Station eines deutschen Weihnachtsbaumes in Georgien – hier hat die Nordmanntanne ihren Ursprung. Im Herbst werden dort Tannenzapfen aus 20 Meter Höhe geerntet. Aus einem einzigen Zapfen lassen sich mehr als 100 Nordmanntannen ziehen. Die Samen werden über den Winter getrocknet und im Frühjahr in deutschen Baumschulen ausgesät. Dort wachsen die Pflanzen zwei bis drei Jahre lang auf circa 20 Zentimeter heran. Dann befreit man sie von der Erde, sortiert sie vor und liefert sie am besten noch am selben Tag an die Produzent*innen, damit die Wurzeln nicht antrocknen.
Emslander zieht in einem kleinen Gewächshaus selbst Tannenbäume groß. Seine Saat kommt aus Dänemark. | Bild © Lena Maurer
Es ist aber nicht nur Frost – auch Trockenheit, Hagel und Schädlinge können ganze Christbaumfelder zerstören. Eberhard Hennecke, ein Christbaumproduzent aus dem Sauerland, hat bereits erlebt, wie innerhalb weniger Sekunden eine Kultur durch Hagel ruiniert wurde. Junge Zweige sterben ab, „der Baum wird unansehnlich“, erzählt Hennecke. Das passiere zum Glück nicht häufig. Aufgrund seiner hügeligen Lage und Wassermengen zur richtigen Zeit sei das Sauerland ein sehr guter Ort für den Weihnachtsbaumanbau.
Das Sauerland: Deutschlands Weihnachtsbaum-Hochburg
Das Sauerland ist Deutschlands größtes zusammenhängendes Christbaum-Anbaugebiet. Laut Hennecke ist dort der Weihnachtsbaumanbau nach der Milchviehhaltung der wichtigste Wirtschaftszweig. Er selbst pflanzt auf 350 Hektar jeweils bis zu 7.000 Weihnachtsbäume an.Die Saison beginnt für Eberhard Hennecke schon Ende Oktober. In der Erntezeit beschäftigt er 35 Arbeitskräfte. Unterm Jahr seien es deutlich weniger. Dass er je nach Jahreszeit unterschiedlich viele Mitarbeiter*innen hat, ist für seine Branche ganz normal.
Weihnachtsbaum-Anbau ist Saisonarbeit
Im Februar müssen beispielsweise die Zäune repariert werden, damit die Bäume vor Wildverbiss geschützt sind, meint Hennecke. Im Frühling setzen Mitarbeitende Bäumchen, düngen die Felder und befreien die Erde rings um bereits gepflanzte Bäume mit Maschinen und Pflanzenschutzmitteln von Unkraut. Zudem würden immer wieder Arbeiter*innen die einzelnen Bäumchen christbaumtauglich machen: Tannenbaumspitzen gerade richten, Äste stutzen oder schädlingsbefallene Bäume mit Insektiziden besprühen. Vieles davon sei Handarbeit. Anfang Herbst werden die Bäume, die in dem Jahr gefällt werden sollen, je nach Farbe, Form und Größe mit unterschiedlichen Marken versehen. Ende Oktober beginnt die Erntezeit - die wichtigste Saison, da der Umsatz eines ganzen Jahres eingefahren wird.
Die Hauptsaison von Christbaumproduzenten Eberhard Hennecke beginnt schon Mitte Oktober | Bild, 2014 (Detail) © picture alliance / dpa | Marius Becker
Verantwortungsvolle Christbaumlagerung
Nach der Ernte beginnt die Reise der Weihnachtsbäume. Sie landen meistens in Baumärkten, Gartencentern oder bei Discountern wie Aldi oder Lidl. Sowohl Hennecke als auch Emslander weisen darauf hin, wie wichtig es sei, die Bäume richtig zu lagern, damit sie bis Weihnachten durchhalten. Bestenfalls würden die Händler*innen die Bäume im Freien ohne direkte Sonneneinstrahlung aufstellen. Am schlimmsten wäre es, wenn die Bäume bis zum Verkauf im Hochregallager auf Paletten geschnallt bleiben müssten.Weihnachtszeit = Umsatzzeit
„Kundenabwehr“, nennt Emslander das. Er selbst weiß es am besten, schließlich hat er auf seinem Hof eine riesiges „Christbaumland“ eingerichtet, wo er an Privatpersonen verkauft. Vor allem Familien mit Kindern seien seine Kundschaft, meint er. Manchmal würden diese sogar mehrere Weihnachtsbäume kaufen, einer stünde dann im Wohnzimmer und einer im Kinderzimmer.Emslander muss immer wieder lachen, wenn er Geschichten über seine Kund*innen erzählt. Die meisten wüssten genau, was sie suchen, sagt er. Schließlich stehe der Baum meistens jedes Jahr am selben Platz. Manchmal, weiß er, sei ein längerer Ast wichtig, ein andermal sind es lichtere Zweige an der einen bestimmten Stelle, damit die Uhr an der Wand nicht verdeckt wird.

Ein „Paradebeispiel“ an einem guten Hang, so Emslander | Bild © Lena Maurer
So schlimm wäre das vielleicht auch gar nicht. Es seien ohnehin nicht die perfekten Bäume, an die man sich noch Jahre später zurückerinnert, meint Emslander, sondern die mit Loch oder zweiter Spitze. Bäume mit Charakter eben.
Dezember 2024