Durch den deutschen Alltag: Sport-Edition  Die deutsche Sportkultur: Wer rastet, der rostet!

Eine Collage mit Bildern von Sportarten. Eine Person mit SUB-Board am See, eine Kletterhallenwand und eine Gruppe Fahrradfahrer*innen. Grafik: Lena Maurer| Illustrationen: sketchify via Canva.com | Fotos: Links: picture alliance / NurPhoto | Michael Nguyen; Mitte: Pexels; Rechts: picture alliance / xim.gs | xim.gs / Philipp Szyza

Die Deutschen lieben es, neue Sportarten auszuprobieren. Dabei entwickeln sie sich schnell zu Nerds – oder „lassen es schleifen“. Einige persönliche Beobachtungen unserer Autorin Lena Maurer.

In meiner Kindheit war es für mich als Südtirolerin eine Selbstverständlichkeit, dass wir am Wochenende mit der Familie wandern gingen. Schon sehr bald war ich geübt darin, mir die Herkunft anderer Wanderer*innen – und damit die Sprache, in der ich grüßen sollte – durch ihr Outfit zu erschließen. Während Südtiroler*innen oft mit einfachen Turnschuhen und einer Bauchtasche den Berg bestiegen, hatten deutsche Wanderer*innen sehr oft riesige Rucksäcke, Trinkblasen und faltbare Wanderstöcke dabei. Italiener*innen (die nicht aus Südtirol stammten) erkannte ich an ihren karierten Hemden, hohen Socken und braunen ledernen Bergschuhen.

Ich hatte also schon als Kind einen Sinn für diese kulturellen Unterschiede. Deshalb wunderte ich mich später auch nicht über die Neigung der Deutschen, sich immer mit dem teuersten Outdoor-Schnickschnack auszustatten. Erst in Deutschland lernte ich allerdings, wie der teure Schnickschnack gerechtfertigt wird, wie locker das Geld in Punkto Sport generell zu sitzen scheint und wie der Leistungsgedanke die Sportkultur der Deutschen prägt. Ein paar meiner amüsantesten Beobachtungen will ich euch daher nicht vorenthalten.

„Ich fange jetzt mit – setze eine beliebige Sportart ein – an.“

Die Deutschen lassen sich schnell von allen möglichen Sportarten begeistern. Ein TikTok-Video übers Klettern, eine neue Bekanntschaft mit einem Rennradfahrer oder das bloße Sehen von SUP-Boards am Baggersee („Stand Up Paddle“ = Surfbrettähnliche Gummiteile auf denen man sich stehend mit einem Paddel in der Hand fortbewegt) reichen aus, um eine neue Sportart anfangen zu wollen. So weit, vielleicht, so nachvollziehbar.

Im Anschluss wird der Sport jedoch nur ein einziges Mal ausprobiert, bevor ALLES gekauft wird, was damit zusammenhängt: Kletterschuhe in viel zu kleiner Größe (weil der Verkäufer meint, dass das eine gute Idee sei), Chalk für den besseren Grip an der Wand, einen sogenannten Chalk Bag und natürlich ein Monatsabo für die nächstgelegene Kletterhalle. Als Rechtfertigung folgt dann meist der Satz:

„Wenn ich etwas kaufe, dann sollte es schon etwas Ordentliches sein.“

Ich kann nicht zählen, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Die Deutschen kaufen sich immer „etwas Ordentliches“. Was das bedeutet? Sie informieren sich zunächst online über den Sport, den sie gerade für sich entdeckt haben, schauen sich YouTube-Videos an, lesen sich ein und stellen fest: Nur die richtig teuren Marken verkaufen das, was ihren Ansprüchen genügt. Schließlich meinen sie es ernst mit dem Sport, den sie beginnen wollen.

„Ich habe es in letzter Zeit schleifen lassen.“

Nach dem anfänglichen Höhenflug folgt oft Ernüchterung. Irgendwie schaffe man es doch nicht so oft in die Kletterhalle wie anfangs geplant, irgendwie habe man es in letzter Zeit schleifen lassen. Die rosarote Sportbrille wird abgelegt und die Kletterschuhe verstauben neben dem SUP-Board und dem Rennrad langsam im Keller. Das Abo wird aber fürs Erste behalten – schließlich wolle man bald wieder anfangen mit dem Sport.  

Nerds unter sich

Selbstverständlich endet nicht jedes Ausprobieren einer Sportart als Reinfall. Manchmal entpuppt sich der neue Sport auch als wahre Liebe – und die muss nach außen gezeigt werden!

Deutsche, die einen für sie neuen Sport betreiben, mutieren schnell und oft zu den größten Nerds. Der Sport wird so sehr gehyped, dass der ganze Lifestyle dem angepasst wird. Beim Rennradfahren sieht das dann beispielsweise so aus, dass man sich mit Gleichgesinnten zum Austausch über das Radfahren trifft. Am Wochenende läuft die „Tour de France“ im Fernsehen und auf Google Maps wird nach Fahrradcafés Ausschau gehalten. Und nicht zuletzt müssen natürlich weitere Einkäufe getätigt werden.

Ein einfaches T-Shirt reicht nicht mehr aus, wenn man mit seinen neuen Freund*innen Radausflüge plant, genauso wenig wie die Sonnenbrille. Es braucht eine spezielle Fahrradbrille, und im Winter wird ein Rollentrainer ins Wohnzimmer gestellt – damit die erarbeitete Form nicht verloren geht. Sehr schnell zieht der Hype nämlich den Leistungsgedanken nach sich.

Der Leistungsgedanke: Schneller, höher, weiter

In Deutschland reicht es nicht aus, einen Sport „aus Spaß“ auszuüben. Man muss sich stetig verbessern – egal ob man vorhat, einen Wettkampf in der Sportart zu bestreiten oder nicht. Dieser Gedanke wird von Gleichgesinnten oft zusätzlich befeuert. Mit der Frage „Wie schnell bist du denn?“ wird aus dem Nerdtalk im Fahrradcafé plötzlich Ernst. Wenn man die Zeit des Gegenübers überbieten kann, wird man gelobt, wenn die fragende Person besser ist, wird „bescheiden“ damit angegeben. Meist folgt darauf auch die Frage: „Wie lange machst du den Sport schon?“ – schließlich will man den Kontext wissen, um die Leistung des anderen einordnen zu können.

Das Beste, was man in so einer Situation machen kann: Sich und alle anderen nicht zu ernst zu nehmen. Schließlich steht man mit enganliegender Profihose in einem hippen Fahrradcafé und schlürft mit Gleichgesinnten einen Espresso aus der Siebträgermaschine. Irgendwie witzig, irgendwie seltsam, irgendwie aber auch schön, plötzlich so viele Nerds zu kennen, die sich über die genau gleichen Sachen austauschen wollen wie man selbst.

Ich kann für mich zumindest behaupten, dass ich nicht genug davon kriegen kann, meine neu entdeckte Liebe zum Klettern zu teilen und nach dem Bouldern ein Kaltgetränk im Bouldercafé zu bestellen. Wahrscheinlich bin ich doch viel deutscher, als ich bisher immer dachte.

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