Survival-Kit Ausbildung  "Viele sehen die Arbeit als keinen richtigen Beruf, sondern als Hobby“

Das ist Niklas. Er hat eine Ausbildung zum Tanzlehrer gemacht.
Niklas hat sein Hobby zum Beruf gemacht: Tanzen Foto (Detail): © Privat

Niklas hat gerade seine Ausbildung zum Tanzlehrer abgeschlossen. In unserem Survival-Kit erzählt er uns, wie er zu Beginn seiner Ausbildung die Leidenschaft für das Tanzen verlor und wie sehr er das Menschliche an seiner Arbeit zu schätzen gelernt hat.

 

Information

Name: Niklas
Alter: 23
Ausbildung zum: Tanzlehrer
Arbeitet in: Kassel
Das größte Klischee über Deine Ausbildung – und was davon wahr ist: 

Ein Klischee lautet, dass Tanzlehrer*innen keine Freizeit haben, weil sie in den späten Nachmittagsstunden und bis in den Abend hinein arbeiten müssen und dadurch abgeschottet und sozial isoliert leben. Es stimmt, dass man sein Leben umstrukturieren muss – auch wenn es um die Kommunikation mit Freund*innen geht. Aber das kriegt man schon auf die Reihe. Leute im Schichtdienst stehen ja auch vor dieser Herausforderung und schaffen das. Ein anderes Stereotyp ist, ohne dass ich das werten möchte, dass die meisten Tanzlehrer schwul sind. Ich glaube aber überhaupt nicht, dass sich die Tanzlehrer*innen-Szene von anderen Berufen unterscheidet. Vermutlich herrscht in kreativen Berufen häufig ein offeneres Klima, doch das bezieht sich nicht nur auf die Sexualität, sondern macht sich generell in der Denkweise bemerkbar. Der Vibe ist vielleicht anders als in einem geordneten Bürojob.
 
Wie sieht Dein normaler Tagesablauf aus?

Ich hatte eine Fünftagewoche. Meistens habe ich gegen 15 Uhr angefangen, davor musste ich mich selbst dazu bringen, Alltagssachen wie den Haushalt zu erledigen – ansonsten bleibt nur wenig Zeit dafür. Um 15, 16 Uhr beginnen die ersten Kurse. Das sind häufig Paartanzkurse, in denen die klassischen Tänze unterrichtet werden. Ein Kurs dauert meistens anderthalb Stunden. Feierabend ist dann erst ab 22 oder 23 Uhr. Zusätzlich hatte ich einmal wöchentlich Berufsschule.  

Im ersten Lehrjahr bin ich hauptsächlich mitgelaufen und habe ab und zu kurze Sequenzen unterrichtet. Ich hatte noch wenig Eigenverantwortung und war klassische Kursassistenz – die Person, die mit dem*der Tanzlehrer*in vortanzt und gelegentlich etwas erklärt. Am Ende des ersten Lehrjahrs durfte ich dann meinen ersten eigenen Jugendkurs unterrichten. Jugendliche lernen einfach etwas schneller. Aber erst ab dem dritten Lehrjahr konnte ich als eigenständiger Tanzlehrer arbeiten.
 
Auf was hättest Du in Deiner Ausbildung nicht verzichten können?

Auf den Austausch mit den anderen Auszubildenden. Das hat mich oft über meinen eigenen Horizont hinausblicken lassen. Ich habe gelernt, wie es bei anderen abläuft und konnte mir so andere Perspektiven aneignen. Gerade bei den Dingen, die mich gestört haben, habe ich gesehen, dass es auch anders und besser geht – oder vielleicht auch viel schlechter. Das hat mir häufig den Sinn hinter vielen unserer Abläufe gezeigt.

Welchen Tag Deiner Ausbildung wirst Du nie vergessen?

Ein Seminar zu Unterrichtstheorie relativ früh in der Ausbildung wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Wir mussten die anderen Tanzlehrer*innen unterrichten, uns dazu eine Unterrichtsmethode aussuchen und diese präsentieren. Es ging also vor allem darum, wie du unterrichtest. Die ganze Zeit von den anderen Lehrkräften beobachtet und bewertet zu werden, die selbst eine Menge Erfahrung haben, war deutlich nervenaufreibender für mich, als Kund*innen zu unterrichten. Die denken meistens nicht so viel über unsere Methoden nach.
 
Wenn Du Deine Ausbildung noch einmal beginnen könntest: Was würdest Du anders machen?

Ich glaube nicht, dass ich viele Dinge anders machen würde. Vielleicht würde ich mir beim Lernen etwas weniger Stress machen. Es hat ja bei den Prüfungen eigentlich immer gut funktioniert.
Ähnlich glücklich war ich mit den Fortbildungen. Wir müssen im Zuge der Ausbildung gewisse Fortbildungen machen, uns in Fach- und Tanzbereichen spezialisieren und dort Prüfungen ablegen. Viele haben sich im Nachhinein über ihre Auswahl geärgert. Das war bei mir zum Glück nicht so.

Was war die größte Herausforderung?

Tatsächlich das tänzerische Level und die Selbstdisziplin, die das erfordert hat. In der Berufsschule lernst du zum Beispiel Abläufe zur Bewegungslehre, anatomisches Wissen und Tanzfiguren. Doch hinter dem Erlernen dieser Dinge steckt natürlich viel Eigenleistung, die außerhalb der sieben Stunden Berufsschule erbracht werden muss. Gerade das Tänzerische lernt man nicht im Kopf. Die Muskeln brauchen eine gewisse Zeit, um die Routinen zu lernen. Es hat mich oft viel Überwindung gekostet, mich jede Woche in den Saal zu stellen und zu trainieren. Ich war nicht wirklich die Sportsperson und bin zum Tanzen durch den normalen Gesellschaftstanz gekommen. Leute mit Turniertanzerfahrung, die Tanzen als Leistungssport betrieben haben, hatten einfach andere Voraussetzungen. Wenn man genügend Fleiß aufbringt, kann man es aber natürlich auch auf dem Weg schaffen, den ich gegangen bin.

Was war oft Deine Rettung?

Mit Freund*innen oder anderen Auszubildenden über Probleme zu sprechen, aber auch zu lernen, sich selbst Feedback zu geben. Häufig hat es mir geholfen, mich zu fragen, wo ich mal angefangen habe und wo ich jetzt bin. Das habe ich sowohl auf das Unterrichten bezogen – es ist richtig aufbauend, zu realisieren, dass man schon eine Stunde im Saal steht und den Leuten etwas beibringt, dass der Unterricht Struktur hat im Unterschied zum Vorjahr, wo man noch zitternd versucht hat, den Schüler*innen ihre Schritte zu erklären – als auch was das Tänzerische angeht. Ich habe mich zum Beispiel hin und wieder selber gefilmt und mir dann später alte Videos angeschaut, um zu sehen, welche Fortschritte ich gemacht habe. So sieht man nicht nur das, was man noch verbessern kann, sondern auch, was inzwischen besser läuft.

Das ist ein bisschen so, als würde ich den ganzen Tag in einer Disco stehen.

Was machst Du, um abzuschalten und Dir etwas zu gönnen?

Mittlerweise praktiziere ich andere Sportarten. Ich habe Yoga als Art der Entspannung für mich entdeckt, aber manchmal setzte ich mich einfach nur irgendwo hin und genieße die Stille. Ich gehe häufiger in die Stadt oder setze mich mit einem Buch nach draußen, um Abstand von der ständigen Beschallung zu bekommen. Auch mein Urlaub sieht mittlerweile ganz anders aus. Ich brauche keinen Partyurlaub mit viel Action. Bei der Arbeit habe ich acht Stunden Musik, die aus den Boxen dröhnt, plus das LED Licht. Das ist ein bisschen so, als würde ich den ganzen Tag in einer Disco stehen. In meiner Freizeit brauche ich zum Ausgleich dann Ruhe und Zeit für mich.

Anfangs war es schwierig, dass das Tanzen als Hobby wegfällt. Klar ist es schön, sein Hobby zum Beruf zu machen, aber du verlierst es ein Stück weit auch. Die Bewegung löst nicht mehr primär Glücksgefühle aus. Es wird ständig bewertet, wie du dich bewegst, in welchem Winkel du eine Bewegung ausübst, ob dein Fuß in einer gewissen Position steht. Das hat dazu geführt, dass ich häufig gar keine Lust mehr hatte, zu tanzen. Ich habe die Leidenschaft daran verloren, während andere in der Ausbildung sich gefreut haben, wenn sie auf Tanzpartys gegangen sind. Das kam aber wieder zurück, als ich ein Verständnis für die Bewegungen und die Tänze entwickelt habe.

Was hast du am letzten Tag des Monats gegessen, wann war Sparen angesagt?

Ich habe während der Ausbildung ganz gut gelebt, weil ich noch zuhause wohnen konnte. Klar musste ich dort auch etwas abgeben, aber es ging mir immer gut. Es wäre mir aber auch nur über Umwege möglich gewesen, auszuziehen. Meine Ausbildung war nicht staatlich, sondern privat. Zwar wurde die Schulgelder größtenteils getragen, doch wäre es mit meiner Ausbildungsvergütung schwer gewesen, ohne familiäre Unterstützung über die Runden zu kommen. Freund*innen von mir haben zum Beispiel Wohngeld beantragt.

Ich habe mir die Ausbildung selbst manchmal schlecht geredet und gedacht, dass ich mit einem guten Abi doch lieber studieren sollte.

Welche Frage hörst Du auf Familienfeiern jedes Mal?

Ob ich denn schon fertig wäre, wann ich bei Let’s Dance mitmache, und die Frage, ob ich weiß, was ich danach machen möchte. Die Arbeit als Tanzlehrer*in wird von vielen nicht als richtiger Beruf angesehen, sondern mehr als eine Art Hobby. Kaum jemand hat im Blick, wie viel qualifiziertes Wissen dahintersteckt oder dass ich 40 Stunden arbeite, Sozialabgaben zahle etc. Außerdem wurde ich oft gefragt, ob es nicht Zeit für etwas Richtiges wäre. Ich habe mir die Ausbildung selbst manchmal schlecht geredet und gedacht, dass ich mit einem guten Abi doch lieber studieren sollte. Erst als ich jetzt die Ausbildung abgeschlossen habe, konnte ich wirklich realisieren, dass ich einen Beruf habe, der mir Spaß macht, der mit einer Leidenschaft verbunden ist und dass das für mich am wichtigsten ist. Ich bin von zuhause ausgezogen, kann mir finanziell alles ermöglichen, was für mich wichtig ist und freue mich, zur Arbeit zu gehen. Ich lebe ein erfülltes Leben und bin trotzdem „nur“ Tanzlehrer – wie es von vielen betitelt wird.

Auf was bist du stolz?

Ich bin stolz darauf, wie ich mich bei uns in der Tanzschule selbst gefunden habe und was für eine Rolle ich dort einnehme. Ich finde es toll, was für eine Dynamik sich auch zwischenmenschlich mit den Leuten aufgebaut hat, mit denen ich zusammenarbeite. Für mich sind sie mehr als nur Tanzschüler*innen. Außerdem bin ich stolz darauf, was ich tänzerisch erreicht habe.

Was hat Dir Deine Ausbildung für Deinen weiteren Weg mitgegeben?

Klar eignet man sich Wissen an und lernt die Arbeitswelt kennen, doch viel wichtiger finde ich die Sozialkompetenz, die mir mitgegeben wurde. Ich habe viel darüber gelernt, welch großen Wert Geselligkeit und Miteinander haben. Wenn ich unterrichte, geht es zwar hauptsächlich darum, etwas zu vermitteln, doch der Spaß am Tanzen und an der Musik rückt meistens schnell in den Vordergrund. Ich finde es toll, dass ich die Freizeit von anderen positiv gestalten kann. Manche kommen mit einem grummeligen Gesichtsausdruck in die Tanzschule und gehen mit einem Lächeln. Auch wenn ich das vorher nicht gedacht hätte, ist das im Nachhinein genau der Grund, warum ich gerne Tanzlehrer bin: Mir gefällt die Arbeit mit den Menschen.
 

"Survival-Kit-Ausbildung"

In welchen Berufen kann man in Deutschland eine Ausbildung absolvieren? Wie lässt es sich als Auszubildende oder Auszubildender gut leben? Und wo findet man einen Ausgleich zur Arbeit?

Auszubildende unterschiedlicher Berufsfelder erzählen von ihren Erlebnissen in Betrieben und Einrichtungen in Deutschland, ihrem Alltag – und was sie manchmal zur Verzweiflung bringt.