Florian absolviert gerade seinen Master in Biochemie und spricht darüber, wie wichtig für ihn Kommunikation in der Wissenschaft ist und warum bei den meisten Experimenten erst mal gar nichts passiert.
Informationen
Name: Florian
Alter: 25
Studiengang: Master in Biochemie und Erasmus Mundus Master Leading International Vaccinology Education
Universität: Technische Universität München und momentan im Rahmen des Erasmus Mundus Programm Universität Barcelona und der Autonomen Universität Barcelona
Ich glaube, ein großes Klischee ist, dass Naturwissenschaftler*innen den ganzen Tag lang im Labor stehen, etwas zusammenmischen und dann alleine darüber grübeln, was sie da zusammengemischt haben. Wir arbeiten sehr viel im Labor, aber heutzutage machen gute Wissenschaftler*innen auch ihre Social Skills aus. Kooperation ist in der Wissenschaft alles.
Viele haben auch ein ganz falsches Bild von Naturwissenschaftler*innen. Die Vorstellung, dass man zwei Experimente macht und dann etwas Tolles herausfindet, stimmt nicht. Die Frustrationstoleranz, die man im Studium lernt, ist enorm. Man erfindet nicht einfach so ein Mittel gegen Krebs. Es gibt Leute, die arbeiten 30 Jahre lang an einem einzigen Protein, mit dem man nichts anzufangen weiß und dann im 31. Jahr findet jemand heraus, dass dieses Protein gegen verschiedene Krebsarten hilft und auf einmal ist das der absolute Renner.
Wie sieht Dein Alltag aus?
Der Masterstudiengang in München ist sehr fachorientiert. Wir können frei aussuchen, welche Laborpraktika uns interessieren und selbst unseren Fokus setzen. In meinem Master zu Immunologie und Impfstoffentwicklung habe ich bisher vor allem viele Vorlesungen und Blockseminare gehabt. Viele auch am Nachmittag und Abend mit abschließender Klausur. Außerdem hatte ich dieses Semester noch einen Spanisch-Sprachkurs.
Auf was hättest Du nicht verzichten können?
Das Wichtigste sind die Leute, mit denen ich studiere. Die Stimmung war immer super. Wir haben uns viel gegenseitig unterstützt, haben Vorlesungsnotizen ausgetauscht und uns Dinge erklärt, wenn man mal etwas nicht verstanden hat. Auch bei der Suche nach Praktika konnte man sich aufeinander verlassen und einfach fragen: Hey, du hast doch an diesem Lehrstuhl ein Praktikum gemacht, hat dir das Spaß gemacht? Mir tun diejenigen leid, die momentan keine Möglichkeiten haben, sich so intensiv auszutauschen und diese Erfahrung zu machen.
Welchen Tag an der Uni wirst Du nie vergessen?
Einer der witzigsten Tage war der Tag, an dem ich eine relativ schwierige Klausur geschrieben habe. Wir waren alle total panisch und ich katte kaum Zeit zu lernen, weshalb ich auch ziemlich neben der Spur war, als ich zur Klausur erschienen bin. Das war die letzte Klausur, die wir als Studiengang alle gemeinsam schreiben mussten. Danach sind wir zusammen Abendessen gegangen und waren im Anschluss noch feiern. Ich bin direkt am nächsten Tag zu meiner Familie gefahren und war am Ende bestimmt 40 Stunden lang wach. Ich war zwar total durch, aber die Klausur war geschafft und es war cool, dass wir das als Gruppe so gefeiert haben.
Wenn Du Dein Studium noch einmal anfangen könntest: Was würdest Du anders machen?
Ich würde auf jeden Fall wieder Biochemie studieren. Auch der Fokus meines jetzigen Studiengangs ist ein absolutes Traumthema für mich. Ich würde aber früher versuchen, Praxiserfahrung zu sammeln und mehr mit den Altklausuren lernen. Am Anfang habe ich mich mit dem Lernen für die Klausuren etwas schwergetan, da es doch anders als in der Schule ist. Mit den Altklausuren zu lernen, ist aber sehr einfach und funktioniert meistens sehr gut.
Was hat Dich am meisten geärgert?
Mich hat gestört, dass Kommunikation so gut wie kein Thema war. Ich musste erst nach ein paar Semestern meine erste Präsentation halten. Zu dem Zeitpunkt war ich komplett aus der Übung. Das fand ich sehr schade, weil Kommunikation in der Wissenschaft alles ist. Außerdem hätte ich mir von meinen Professor*innen manchmal gewünscht, dass sie etwas mehr Wert darauf legen, das Wissen klar und verständlich an die Studierenden zu vermitteln.
Kommunikation ist in der Wissenschaft alles.
Mit meinen Kommiliton*innen zu reden. Das hat wirklich geholfen. Wenn jemand eine Fraga hatte, haben wir das in der Gruppe diskutiert und versucht, eine Lösung zu finden. Im Nachhinein denke ich mir, dass es hilfreich gewesen wäre, schon zu Beginn mehr mit meinen Professor*innen zu reden. Inzwischen ist das ganz normal für mich. Früher hatte ich da mehr Hemmungen.
Was hast Du am letzten Tag des Monats gegessen, wann war Sparen angesagt?
Ich habe zwar versucht, sparsam zu leben, war aber zum Glück nie in der Situation, dass ich am Ende des Monats überlegen musste, was ich essen kann. Das war eher ein Problem, wenn ich mich in einer stressigen Phase befand. Wenn ich viel für Klausuren lernen musste, hatte ich keine Zeit und auch keine Lust, zu kochen. Obwohl mir das eigentlich viel Spaß macht. Dann habe ich meistens Pizza, Nudeln mit Pesto oder auch einfach ein Käsebrot gegessen. Wenn ich mittags in der Mensa gegessen hatte, reichte mir das auch.
Welche Frage hörst Du auf Familienfeiern jedes Mal?
„Du studierst Biochemie? Dann bist du derjenige, der jetzt das neue Mittel gegen Krebs entwickelt!” Einerseits ist das natürlich ein Thema, das mich interessiert. Andererseits versuche ich dann immer zu erklären, was ich wirklich mache. Die Leute haben ein ganz anderes Bild davon. Aber das Leben eines Biochemikers, sage ich dann, besteht zu 90 Prozent daraus, Durchsichtiges mit Durchsichtigem zu mischen – ohne dass etwas passiert.
Auf was bist du stolz?
Ich bin stolz darauf, dass ich neben dem Studium viel Zeit dafür gefunden habe, andere Sachen zu machen. Mein Engagement in anderen Gruppen hat mir auch dabei geholfen, mal den Kopf vom Studium wegzubringen.
Außerdem ist es toll, wenn Dinge innerhalb meines Studiums wirklich funktioniert haben. Meine Masterarbeit, die mir ein halbes Jahr richtig viel Stress beschert hat, wird wahrscheinlich in einem Paper publiziert. Das heißt, sie landet nicht in einer Schublade, sondern wird auch von anderen Leuten gesehen. Das ist ziemlich cool.
Was war der teuerste Preis für eine gute Note?
Übermüdung und wenig Zeit für Anderes. Bei einigen Arbeiten hat es sich gelohnt, dass ich sehr viel Zeit investiert habe. Bei anderen frage ich mich im Nachhinein, warum ich mich für das Ergebnis noch einmal mehrere Tage dafür hingesetzt habe. Die Zeit hätte ich auch besser nutzen können.
Uni heißt auch: Lernen fürs Leben. Was hat dir dein Studienfach für deinen weiteren Weg mitgegeben?
Ich weiß jetzt, wie wichtig die Zusammenarbeit mit anderen ist. Kooperation und Kommunikation ist für mich aktuell wichtiger als vieles Fachliche. Außerdem habe ich gelernt, mir Zeit für andere Dinge zu nehmen und zu schauen, was mich neben dem Studium noch interessiert und wo ich einen Ausgleich finde. Sei es Sport oder mein Engagement bei der Bildungsinitiative Studieren ohne Grenzen – ich möchte meinen Horizont dauerhaft erweitern und mich über Themen informieren, die über mein Studium hinausgehen. Ich habe mit einer Organisation, mit der ich vor dem Studium im Ausland war, viele Seminare begleitet und so Einiges über Kolonialismus, Rassismus und weitere sozialwissenschaftliche Themen gelernt. Das ist extrem bereichernd, weil so etwas leider überhaupt nicht in meinem Studium stattfindet.
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Wo in Deutschland kann man gut studieren? Wie lässt es sich als Student*in gut leben? Und wie übersteht man die erste Fachschaftsparty und die Fragen auf Familienfeiern?
Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen erzählen von ihren Erlebnissen an den Unis in Deutschland, ihrem Alltag – und was sie manchmal zur Verzweiflung bringt.
Januar 2022