Einweg, Mehrweg, Umweg: Das Pfandsystem  Deutschland und sein Flaschenfetisch

Ein Foto von Pfandflaschen aufgereiht in Herzform Foto © picture alliance / Global Travel Images | Jürgen Held

Leere Flasche in den Mülleimer? In Deutschland undenkbar! Das Pfandsystem gilt als Paradebeispiel für Effizienz und Nachhaltigkeit. Doch zwischen Mehrweg-Ideal, Einweg-Realität und Pfandautomat-Frust steckt mehr, als man auf den ersten Blick vermutet.

Für viele Deutschlandbesucher*innen ist es ein Schockmoment. Man wirft eine leere Plastikflasche in den nächstbesten Mülleimer oder zerquetscht gedankenlos eine ausgetrunkene Metalldose – und erntet sofort einen entsetzten Blick samt Hinweis: „Da ist doch Pfand drauf!“

Kaum ein anderes Detail des Alltags sagt so viel über deutsche Ordnungsliebe und Umweltbewusstsein aus wie dieses System. Es gilt als Paradebeispiel für Effizienz – und sorgt dennoch für Diskussionen. Doch was passiert eigentlich mit der Flasche, sobald sie in den Leergutautomaten wandert? Und ist das Pfandsystem tatsächlich der heilige Grahl der Recyclingwirtschaft?

Was ist Pfand?

Eigentlich spricht man von „Leergut“. Die Grundidee ist simpel: Ein Flüssigkeitsbehälter – sei es Glasflasche, Plastikflasche oder Aluminiumdose – soll wiederverwendet werden, um Müll zu reduzieren und die Umwelt zu schonen. Dafür braucht es ein Recycling-System, das sicherstellt, dass Flaschen und Dosen gesondert ihren Weg zurück in die Abfüllanlage oder Wiederverwertung finden. Nur so können sie gesäubert, eingeschmolzen und zu neuen Flaschen verarbeitet werden.
Eine Pfandflasche und ein Zettel mit der Aufschrift "Zu verschenken"

Hier hatte jemand die Spendierhosen an. | Foto (Detail) © picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Der wohl einfachste Weg, sicherzustellen, dass Dinge an ihren Ursprungsort zurückgebracht werden, ist Pfand darauf zu erheben. Ein Geldbetrag, den man nach der Rückgabe des Artikels zurückerhält. Das Prinzip kennt man von Garderobenmarken – und in Deutschland eben auch von Flaschen und Dosen. Doch die Idee selbst kommt gar nicht aus Deutschland: Schweden hatte ein Pfandsystem für 33-cl-Glasflaschen schon 1885 eingeführt. Somit ist das schwedische Pfandsystem vielleicht nicht das berühmteste, aber das älteste der Welt.

Effizienz in Flaschenform

Was das Pfandsystem allerdings „typisch deutsch“ macht, ist das logistische System hinter der Rückgabeidee. Das Stereotyp der deutschen Effizienz wird in der Pfandindustrie voll erfüllt: Man kann eine Flasche an einem beliebigen Ort in Deutschland kaufen und an einem Automaten in einer anderen Stadt, hunderte Kilometer entfernt, zurückgeben. Trotzdem findet die bayerische Bierflasche, die in Hamburg zurückgegeben wurde, ihren Weg zurück in die Münchner Brauerei. Dabei bekommt nicht nur der Hersteller seine Flasche zurück, sondern auch der Supermarkt, in dem die Flasche erworben wurde, und der/die Käufer*in in Hamburg bekommen beide genau so viel Geld zurück, wie sie ursprünglich ausgeliehen oder ausgegeben haben.

Einweg, Mehrweg – alles weg?

Das System gilt als nachhaltig, steht aber bei Politik, Umweltverbänden und Herstellern in der Kritik. Der wohl größte Kritikpunkt ist der Unterschied zwischen Mehrweg- und Einweg-Leergut. Mehrweg, meist Glasflaschen, können bis zu 50-mal gesäubert und neu befüllt werden, bevor es zur Rohstoff Einschmelzung für die Wiederverwertung geht. Einweg-Leergut hingegen, meist Plastikflaschen, kann nicht direkt wiederverwendet werden, sondern muss gehäckselt, eingeschmolzen, und neu produziert werden. Dies verbraucht viel Energie und Wasser und garantiert keine 100-prozentige Verwendung zu neuen Flaschen, da recyceltes Plastik beispielsweise auch zu Tüten umfunktioniert wird, die schlussendlich im Müll landen.
Leere Getränkekisten mit PET-Mehrwegflaschen für Mineralwasser

Diese Flaschen warten geduldig darauf, wieder befüllt zu werden. | Foto (Detail) © picture alliance / Ina Fassbender/dpa | Ina Fassbender

Um Verbraucher*innen zu ermutigen, sich daher für die Mehrwegflaschen zu entscheiden, führte die Politik 2003 das erhöhte Einwegpfand ein. Dies sollte Kund*innen davon abbringen, Einweg zu kaufen, das höhere Pfand (mittlerweile 25 Cent) sollte abschreckend wirken. Doch der psychologische Kniff ging nach hinten los, denn Einwegflaschen verdrängen zunehmend Mehrwegflaschen vom Markt und die Deutschen bringen ihr Leergut zurück wie die Weltmeister. Das höhere Pfand ist für viele offenbar ein Ansporn. Vielleicht auch weil der Pfandbon sich oft wie geschenktes Geld anfühlt.

So ein Saftladen

Doch nicht auf alle Flüssigkeitsbehälter erhält man Pfand. Man muss schon Pfandexpert*in sein, um zu wissen, worauf tatsächlich Pfand erhoben wird und warum. So sind beispielsweise Molkereiprodukte, diverse Fruchtsaftgetränke, Wein und Spirituosen dank der Lobby von der Pfandpflicht ausgenommen. Worauf Pfand anfällt, weiß oft niemand so genau. Deshalb verbringen die Deutschen viele Lebensstunden vor dem Leergutautomaten und rätseln, weshalb mal wieder eine Flasche vom Pfandautomat nicht akzeptiert wird.
Eine Frau steckt eine leere Plastikflasche in einen Pfandrückgabe Automat.

Ein Ort der Freude und der Wut: der Leergutautomat. | Foto (Detail) © picture alliance / Weingartner-Foto / picturedesk.com | -

Das Geld liegt auf der Straße

Ob so effizient wie ursprünglich gewünscht oder nicht: Das Pfandsystem ist Teil der deutschen Kultur geworden. Durch die vergleichsweise hohen Pfandbeträge kann es sich lohnen, Leergut zu sammeln. Bedürftige Menschen versuchen so, sich etwas Geld dazu zu verdienen. Eine körperlich harte und anstrengende Arbeit, und das für einen Tageslohn von meist unter 15€.
Pfandflaschenbehälter an einem Mülleimer

Pfandflaschenbehälter retten die Flaschen vor dem Mülleimer. | Foto (Detail) © picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com | HELMUT FOHRINGER

Um das Sammeln zu erleichtern, stellen viele ihre Pfandflaschen in der Öffentlichkeit neben die Mülleimer. Ein Bild, das Tourist:innen auf den ersten Blick überrascht. Einzelne Städte haben bereits spezielle Ring-Konstrukte an öffentlichen Mülleimern montiert, an denen Flaschen platziert werden können. Ein stilles Zeichen der Rücksichtnahme im Zeichen einer nachhaltigen und effizienten Kreislaufwirtschaft.

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