Filmreihe

Comes the Revolution: The Berlinale Forum at 50

Filmszene aus Rosa von Praunheims "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt": eine Gruppe von nackten Männern sitzt auf einer Matratze
© Bavaria Media

14.-20.12.20

Online



Details

Sprache: In verschiedenen Sprachen mit englischen Untertiteln
Preis: Kostenlos
gfo-newyork@goethe.de Anmeldung erforderlich

Bitte beachten Sie, dass Sie sich für die Filmreihe und die Podiumsdiskussion nur einmal anmelden müssen.

Links zum Thema

Anmeldung
Das German Film Office und das Arsenal – Institut für Film und Videokunst präsentieren eine vom Museum of Modern Art kuratierte Filmauswahl aus dem 50. Jubiläumsprogramm des Berlinale Forums. Die Filme stehen Zuschauer*innen in den USA vom 14.-20. Dezember digital zur Verfügung. Am 18. Dezember um 14.00 Uhr EST findet eine weltweit zugängliche Podiumsdiskussion zum Thema Radical Cinema, Then and Now statt.

2020 feiert das Internationale Forum des Jungen Films (später: Berlinale Forum), eines der weltweit prominentesten Schauplätze von radikalem Filmemachen sowohl in Form als auch Inhalt, sein 50. Jubiläum. Aus einer breiter angelegten Reihe, die bereits Anfang des Jahres beim Arsenal – Institut für Film und Videokunst in Berlin zu sehen war, stellte das Museum of Modern Art sechs Programme mit Arbeiten aus den Jahren 1969 bis 1971, die während der ersten Ausgabe des Forums Premiere hatten, zusammen. Subversive Filmemacher wir Chris Marker, Sarah Maldoror, Rosa von Praunheim und Helke Sander scheuten nicht davon zurück, die sozialen, politischen und ökonomischen Umbrüche zu thematisieren, die damals den Weg für revolutionäre Bewegungen in der ganzen Welt ebneten – sei es Black Power oder die afrikanische Freiheitsbewegung, die zweite Welle des Feminismus, die Schwulenbewegung oder der Kampf um Arbeiterrechte. Heute, ein halbes Jahrhundert später, können wir über die Erfolge und Misserfolge bei der Suche nach einer Filmsprache, die die tektonischen Verschiebungen jener Zeit – in den Straßen, Fabriken, Universitäten und Schlafzimmern – abbildet, nachsinnen. Und vielleicht finden wir erneuerte Dringlichkeit und Inspiration in ihrem kollektiven, weiterhin andauernden Kampf.

Kurator: Josh Siegel, Museum of Modern Art

Programm 1 und 2: Black Liberation
Yolande du Luart, Angela: Portrait of a Revolutionary (1971, USA/Frankreich, 1971, 60 Min.)
William Klein, Eldridge Cleaver, Black Panther (1970, Algerien/Frankreich, 75 Min.)

Programm 3: African Independence
Med Hondo, Mes voisins (1971, Frankreich, 35 Min.)
Sarah Maldoror, Monangambee (1969, Algerien, 16 Min.)
Mitglieder des Pan Africanist Congress, Phela-ndaba (1970, Südafrika, 45 Min.)

Programm 4: Women’s Liberation
Helke Sander, Eine Prämie für Irene (1971, BRD, 50 Min.)

Programm 5: Gay Liberation
Rosa von Praunheim, Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971, BRD, 67 Min.)

Programm 6: Workers’ Rights
Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Eine Sache, die sich versteht (15x)  (1971, BRD, 64 Min.)
Chris Marker, On vous parle de Paris: Maspero, les mots ont un sens (1970, Frankreich, 20 Min.)
Groupe Medvedkine Sochaux, Les trois-quarts de la vie (1971, Frankreich, 18 Min.)

MEHR ÜBER DIE FILME:

Yolande du Luart, Angela – Portrait of A Revolutionary
Am 18. August 1970 fügte das FBI Angela Davis Namen zu ihrer Liste der Top 10 meistgesuchten Flüchtigen hinzu für ihre mutmaßliche Beteiligung an einer gewaltsamen Besetzung eines staatlichen Gerichtsgebäudes, bei der vier Menschen getötet wurden. Gefilmt von Davis Philosophie-Studenten an der UCLA während einer Zeit großer Spannungen, zeigt dieser Dokumentarfilm die radikale Denkerin und Aktivistin zu ihrer „gefährlichsten subversivsten“ Zeit. Eine Frau, die durch ihre Worte und Taten tiefgreifende Feindlichkeit gegen amerikanische Imperialisten mit Interesse an Vietnam, Afrika und Lateinamerika streute und die sich gegen den wild um sich greifenden Sexismus in der Black Power Bewegung auflehnte, während sie gleichzeitig gegen den systemischen Rassismus, Sexismus und die Klassenausbeutung im eigenen Heim wie außerhalb kämpfte – und immer noch kämpft. 

William Klein, Eldridge Cleaver, Black Panther
Als Amerikaner in Paris arbeitete William Klein zusammen mit dem Journalisten Robert Scheer an diesem gemäßigten Profil von Eldridge Cleaver, dem Black Panther Anführer, der 1968 vor einer Anklage wegen Mordes in den US floh und Asyl suchte in Ländern, die ihn freudig willkommen hießen, wie Kuba, Mexiko, Frankreich und Algerien. Während Cleaver sich mit panafrikanischen Nationalisten und vietnamesischen Freiheitskämpfern trifft und die Zukunft der Black Liberation-Bewegung sowie seine eigene Rolle im Exil reflektiert, entwickelt er sich mehr und mehr in ein Beispiel für Komplexität und Widersprüchlichkeit.

Med Hondo, Mes voisins
Der überzeugt unabhängige mauretanische Filmemacher Med Hondo, der letztes Jahr verstarb, hat für diesen Kurzfilm, den er 1971 als Einführung für sein revolutionäres Erstlingswerk Soleil Ô zeigte, afrikanische Einwanderer in Paris zur Rassendiskriminierung interviewt, mit der sie konfrontiert werden bei der Suche nach Jobs, Wohnungen und Akzeptanz.    

Sarah Maldoror, Monangambee
Sarah Maldoror, eine französische Filmemacherin mit westindischen Wurzeln, hat sich einer radikalen Methode des antikolonialen Kinos verschrieben – nicht unähnlich zu Med Hondo – bevor sie Anfang diesen Jahres an COVID-19 verstarb. Maldoror engagierte Laienschauspieler in Algerien für diese Adaption einer Novelle des querdenkenden, angolanischen Schriftstellers José Luandino Vieira, in der sie die feministische Perspektive einer schwarzen, verarmten Frau einnimmt, die versucht ihren Mann, einen politischen Gefangenen, in einem heruntergekommenen Gefängnis an den Rändern der Hauptstadt Luanda zu besuchen.

Mitglieder des Pan-Africanist Congress, Phela-ndaba
Um die Verbrechen der Apartheit von einem stark persönlich geprägten Standpunkt aus zu dokumentieren, filmten ausgewanderte, schwarze südafrikanische Mitglieder des Pan-Africanist Congress (Antonia Caccia, Chris Curling, Simon Louvish, Nelson ‚Nana‘ Mahomo, Vus Make und Rakhetla Tsehlana) diesen Film heimlich in Südafrika und schmuggelten ihn schließlich nach Großbritannien, um ihn einer internationalen Öffentlichkeit zu zeigen. Für eine geschockte weltweite Zuschauerschaft machten sie das brutale und totalitäre System von Rassenunterdrückung und Verfolgung sichtbar. Der Film erreicht seinen Höhepunkt in einem qualvollen Appell der Opfer von staatlich angeordneter Inhaftierung, Folter und Ermordung.

Helke Sander, Eine Prämie für Irene
Helke Sander forderte einen Platz im Neuen Deutschen Film und der zweiten Welle des Feminismus mit dieser teuflisch genialen Satire auf den Zügel- und reuelosen Sexismus zu Hause wie auf der Arbeit. Nicht nur hat sie den Film geschrieben und Regie geführt, sie spielt auch Irene, die aufrührerische, alleinerziehende Mutter, die ihre weiblichen Fließband-Kolleginnen einer Waschmaschinenfabrik dazu animiert, sich gegen jegliche Form von Schikane und Überwachung aufzulehnen.   

Rosa von Praunheim, Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt
„Zwei Jahre nach den Stonewall Ausschreitungen entfachte Rosa von Praunheim fast eine weitere queere Intifada mit seinem ersten Langspielfilm Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt (1971). Der Film, eine Brecht’sche Seifenoper mit unendlich vielen Zitat-würdigen Stellen, setzt sich mit der schwul-männlichen Selbstzerstörung und dem pathologischen Bedürfnis, sich in die bürgerliche Kultur zu integrieren, auseinander: ‚Schwule wollen nicht schwul sein. Sie wollen nicht anders sein. Sie leben in einer Wunschwelt aus Hochglanzmagazinen und Hollywood Filmen‘, kommentiert eine von vielen, mehr und mehr ins Hysterische abdriftende, teutonisch triefende Stimme, bevor dieser utopische Griff zu den Waffen erklingt: ‚Lasst uns mit den Bürgerrechtsbewegungen und der Frauenbefreiung zusammenarbeiten. Engagiert euch politisch. Schwul sein ist keine Karriere.‘“ (Melissa Anderson, The Village Voice).

Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Eine Sache, die sich versteht (15x)
Während Filmemacher wie Godard und Gorin in Frankreich und Bertolucci und Pasolini in Italien in ihren eigenen Versionen des marxistischen Kinos schwelgten, machten sich Bitomsky und Farocki in Westdeutschland daran, ihre Idee von Format und Bedeutung des marxistischen Kinos zu definieren mit diesem Schnellkurs von 15 klugen und vermeintlich einfachen Lehren, die Ideen wie Rohstoffe, Arbeit und Handel durchspielten, und nutzen dabei Wert in humorvoll inszenierten Vignetten.

Chris Marker, On vous parle de Paris: Maspero, les mots ont un sens Die Rolle des Intellektuellen in der Gesellschaft, der freien Presse und der revolutionären Politik hat lange schon die großen Dichter und Denker Frankreichs – von Voltaire über Rousseau und Camus zu de Beauvoir – verärgert. In dieser Episode seiner Serie On vous parle de Paris zieht Chris Marker eine fragile Linie zwischen linken Journalisten und radikalem Aktivismus und kreiert damit ein fesselndes Portrait von François Maspero, dem kontroversen Reporter und Herausgeber von Fritz Fanons zensiertem Die Verdammten dieser Erde, den Schriften von Che Guevara und anderen Anklageschriften gegen den Kolonialismus und die westliche Demokratie.

Groupe Medvedkine Sochaux, Les trois-quarts de la vie
Die Fantasie eines echten Arbeiterkinos, die Realisierung des sowjetischen Ideals die Kameras direkt in die Hände von ehrlichen, ungeschulten und uneingeschränkten Proletariern zu geben, bekam während der gewaltsamen ökonomischen, politischen und sozialen Ausschreitungen der späten 1960er Jahre in Frankreich eine ganz neue Bedeutung. Benannt nach einem von Chris Markers liebsten sowjetischen Filmemachern, Aleksandr Medvedkin, der mit seinem Filmzug Kino Pravda zu den Massen brachte, vereinte die Groupe Medvedkine Sochaux Dokumentaristen und militante Gewerkschaftler einer lokalen Peugeot Fabrik in einem kollektiven Aufschrei gegen die kapitalistische Ausbeutung.