Welt
Seit zwei Jahren Klimaaktivistin: den Planeten und sich selbst retten

Brennende Wohnblöcke in Estland © Britta Benno

Die Klimakatastrophe zu akzeptieren, ermöglichte es mir, ehrlich mit mir selbst zu sein – auch wenn mein Aktivismus am Ende nichts ändert, weiß ich dennoch, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe, das Leben auf der Erde für alle Lebewesen ein bisschen besser zu machen.

Kristin Siil

Kapitel eins. Aktivismus

Wenn ich rückblickend die letzten zwei Jahre meines Lebens rekapituliere, erscheint mir alles ein bisschen unglaubwürdig: Estlands erste Jugend-Klimabewegung zu starten; Demonstrationen mit Hunderten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu organisieren; den Umweltminister, den Premierminister und die Präsidentin zu treffen; Interviews im Fernsehen und Radio; die Teilnahme mit Greta Thunberg an einer Pressekonferenz in der Schweiz; ein Projekt von Estlands größtem Staatsunternehmen zu verklagen und neben all den Dingen zeitgleich das Abitur abzuschließen, wobei die Hälfte des Unterrichts selbstständig hinter dem Computer erledigt werden musste.

Dies sind nur einige der prägendsten Momente, die mir als erstes aus dieser Periode in den Sinn kommen. Es war eine Zeit, in der ich als Mensch enorm gewachsen bin und viel gelernt habe. Zum ersten Mal verstand ich die wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, deren Lösung eine Neustrukturierung aller bestehenden Systeme ist.

Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen und wieder an mich zu glauben – zu glauben, dass mein Beitrag die Welt verändern kann. Ich habe es mir zum Lebensziel gesetzt, die Klimakrise einzudämmen. Dazu habe ich ausgesprochen viele Ideen umgesetzt; Menschen kennengelernt, die Freund*innen fürs Leben bleiben; und habe schließlich gelernt, zu akzeptieren.

Die Menschheit ändert sich nicht

Klimaangst ist der Grund, warum ich Klimaaktivistin geworden bin. Als ich die unheilvollen Statistiken über das Artensterben und den Anstieg des CO2 in der Atmosphäre las, hatte ich ernsthafte Zukunftsängste und -sorgen. Ich würde nicht akzeptieren, dass die menschliche Zivilisation höchstwahrscheinlich bald enden wird und dass dies möglicherweise noch zu meinen Lebzeiten geschieht. Ich befürchtete, dass mein Tod aufgrund einer Naturkatastrophe vorzeitig eintreten würde, oder dass ich verdursten oder an Nahrungsmangel sterben würde. Die Verhinderung der Klimakrise schien eine Frage von Leben und Tod zu sein, daher habe ich mich in den ersten Monaten nach Beginn der Bewegung voll und ganz dafür eingesetzt. Jetzt, etwa zweieinhalb Jahre später, haben sich meine Ansichten ein wenig geändert. Ich bin überzeugt, dass es nicht verhindert werden kann.

Es gibt zu viele wissenschaftliche, politische, wirtschaftliche sowie soziale Gründe, warum es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Menschheit eine schnelle Kehrtwende vollzieht oder die Treibhausgasemissionen auf null oder negativ reduziert werden, um die immer schneller werdende globale Erwärmung umzukehren. Reichere Länder geben die Verantwortung so lange ab, bis es sie selbst erwischt. Die Politiker*innen machen sich nur Sorgen um ihre Macht und lassen sich durch nichts überreden. Die Menschen sorgen sich mehr um Rentenerhöhungen oder alles andere, was greifbarer erscheint.

Jede Woche sind neue Berichte darüber zu lesen, dass manche Aspekte in Klimaprognosen nicht berücksichtigt werden und tatsächlich alles viel schneller gehen könnte, nur ohne einen grundlegenden Wandel des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist eine Klimaumkehr nicht möglich. Aktivist*innen reden viel über Systemwechsel, aber im Großen und Ganzen ist es nur Gerede.

Man muss sich auch selbst retten

Das Gewinnen dieser Erkenntnis ist jedoch kein Aufruf zum Aufgeben oder mit dem Konsum und der Umweltverschmutzung genauso fortzufahren wie zuvor. Der Kollaps kann immer ein wenig abgemildert oder die Gesellschaft darauf vorbereitet werden. Das unvermeidliche Eintreten dieser Katastrophe zu akzeptieren, bedeutet für mich, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können.

Es ist nicht einfach, eine 24/7-Klimaaktivistin zu sein und noch nebenbei zur Schule zu gehen, zu arbeiten, Kontakte zu knüpfen und sich auszuruhen. Die Welt zu retten, ist wichtig, aber vorher musst du dich selbst retten. Ein*e ausgeruhte*r Klimaaktivist*in ist der*die beste Klimaaktivist*in. Das sind zwei Sätze, an die wir uns unter Klimastreikenden gegenseitig erinnern. Die Klimakatastrophe zu akzeptieren, ermöglicht es mir, ehrlich mit mir selbst zu sein – schon möglich, dass mein Beitrag vielleicht nicht viel ändern wird und die schlimmsten Vorhersagen wahrwerden, aber ich weiß dennoch, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe, das Leben auf der Erde für alle Lebewesen ein wenig besser zu machen.

Wenn das Lesen der Nachrichten über das Klima früher entweder einen Tauchgang in die Tiefen des brennenden Aktivismus oder völlige Apathie und Gleichgültigkeit bedeutete, versuche ich jetzt, die goldene Mitte zu finden – ein Gleichgewicht zwischen Weltverbesserung und dem anderen Leben. Akzeptanz bedeutet nicht, das Problem zu ignorieren, sondern bedeutet, die Realität zu akzeptieren und Entscheidungen in deinem Leben mit vollem Bewusstsein zu treffen.

Kapitel Zwei. Akzeptanz

In diesem Frühjahr habe ich beschlossen, für eine Weile eine Pause vom heimischen Klimaaktivismus einzulegen und zu versuchen, die Welt durch Freiwilligenarbeit im Ausland ein wenig besser zu machen. Also ging ich nach dem Abitur nach Griechenland, um in einem örtlichen Tierheim bei der Pflege der Tiere mitzuhelfen und auf einem Bio-Bauernhof neue praktische Fähigkeiten zu erlernen. Nach zwei Jahren Aktivismus wollte ich zur Abwechslung etwas tun, wo ich die Früchte meiner Arbeit physisch sehen kann und wo es keine Notwendigkeit gäbe, das wirtschaftliche und politische System auf der ganzen Welt umzugestalten.

Obwohl ich anfangs minimal mit der Außenwelt kommunizierte und nicht viel von dem, was in Estland passierte, mitbekam, wurde das Klima trotzdem ständig in Erinnerung gerufen und ich habe die Auswirkungen der Klimakrise genauer gesehen als in Estland. Fast jede Woche verkündete der Bauer, dass eine neue Hitzewelle bevorstehe und die Pflanzen öfter gegossen werden müssten. Aufgrund der Trockenheit war das Wasser aus dem Brunnen in diesem Sommer früher als erwartet aufgebraucht worden und ein Ersatzbrunnen musste in Betrieb genommen werden. Im Laufe eines Monats gab es insgesamt vier Hitzewellen, was laut der Hofbesitzerin mehr als in jedem Sommer zuvor gewesen sei. Das fast völlige Ausbleiben von Niederschlägen führte dazu, dass ich zwei Wochen nach meiner Ankunft den ersten großen Waldbrand meines Lebens miterlebte.

Sich an die Klimakrise gewöhnen

Der an diesem Tag geplante Ausflug in die Stadt zum Einkaufen wurde verschoben, da auch die Hauptstraße in der Brandzone lag und das Haus bewacht werden musste. Der Strom war für eine Weile weg und ich fühlte mich wieder so hilflos, wie beim ersten Lesen über die Klimakrise. Was passiert, wenn die Brände länger andauern und man mehrere Wochen nicht in die Stadt kann? Wie können wir die Pflanzen mit dringendem Wasserbedarf bewässern, wenn die elektrische Pumpe im Brunnen wegen der Stromunterbrechung nicht funktioniert?

Da die anderen Freiwilligen und ich einige Zeit auf dem Hof ​​bleiben mussten, erhielten wir auch eine gründliche Einweisung in das Verhalten im Brandfall. Wenn sich das Feuer auf das Haus zubewegt, müssen die Bäume und der Boden mit einem Schlauch bewässert werden. Wenn das Feuer jedoch schon nah ist, muss man die wichtigsten Sachen in eine Schubkarre laden, die Hunde an die Leine nehmen, die Katzen mit Futter locken (es waren 13 Hunde und 50 Katzen auf dem Hof) und mit dem Wagen an das Meer fahren, wo das Risiko geringer ist. Mir wurde klar, dass das Erlernen, mit der Klimakrise zu leben, zur Unvermeidlichkeit der nächsten Jahrzehnte gehört, zumal die Klimakrise in vielen Ländern bereits vorhanden ist. Estland ist einfach zu Unrecht bisher entkommen und die Menschen hier halten es noch nicht für wichtig.

Braucht es überhaupt Menschen, die nur zerstören?

Diesmal war das Glück auf unserer Seite – der Wind blies die Flammen in die andere Richtung hinter den Hügel und der Hof wurde nicht weiter zerstört. Ab diesem Tag sah ich jeden Morgen, wenn ich aus dem Fenster schaute, mitten in den grünen Bergen ein schwarz brennendes Stück Land. Die Hofbesitzerin sprach die warnenden Worte: „Wenn das so weitergeht, ist bald nichts mehr übrig.“

Ein paar Tage später kamen wir auf der Fahrt zum Strand an einem Wald vorbei, der 2015 gebrannt hatte und sich nach sechs Jahren noch nicht zu erholen begonnen hatte. Während ich die verkohlten Bäume und Sträucher am Hang mit meinem Handy filmte, dachte ich mit Trauer an die Zerstörung, die der Mensch auf seinem Heimatplaneten bewusst angerichtet hat. Vielleicht ist es besser, wenn wir nicht hier sind.

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