Wir
Zeitreise mit Tanz und Instrument

Eine Gruppe Jugendlicher in traditioneller Kleidung tanzt Volkstänze.  © Pamela Samel

Die Gymnasiastin Katariina Tiisler begann mit dem traditionellen Volkstanz in demselben Alter, in dem sie das Laufen lernte. 

Katariina Tiisler

Ich bin ein 16-jähriges Mädchen aus Tallinn, dessen Herz vollkommen dem Volkstanz und der Musik gehört. Dank meiner Mutter, die die künstlerische Leiterin des Volkskunstensembles Leigarid und Dozentin an der Universität Tallinn ist, begann ich, diesen Hobbys nachzugehen. Im Sommer sind Aufführungen des estnischen Ensembles Leigarid Teil der Dauerausstellung des Estnischen Freilichtmuseums. Jedes Wochenende findet auf dem Hof ​​von Sassi-Jaani ein Dorffest wie im 19. Jahrhundert statt, bei dem traditionelle Tänze getanzt und Liederspiele gespielt sowie gesungen werden. Das alles wird von Livemusik begleitet. Sobald ich den Dreh raushatte, nahm mich meine Mutter so oft wie möglich mit, um dort aufzutreten. Jahr für Jahr lernte ich immer mehr dazu.

Eine Umarmung als Dank für geflochtene Zöpfe

Seit der ersten Klasse ist meine künstlerische Heimat das Tanzensemble Leesikad des französischen Lyzeums in Tallinn. Die Leiterin des Ensembles ist interessanterweise meine ältere Schwester Kristiina Siig. Nun tanze ich seit neun Jahren beim Ensemble Leesikad, wobei ich zeitgleich auch als Musikerin und Tänzerin bei den Veranstaltungen von Leigarid mitwirke. Mit Leesikad verbinde ich vor allen Dingen den angenehmen Teamgeist, die tollen Trainingseinheiten sowie die Camps und Ausflüge. Tanzen bedeutet für mich nicht nur die Teilnahme am Training und das Erlernen neuer Tänze, sondern auch die Chance, verschiedene Stile zu entdecken und den eigenen Körper nach seinen Möglichkeiten zu testen. Gleichzeitig genieße ich es, mit Freund*innen zusammen zu sein und diese Begeisterung mit ihnen zu teilen. Viele meiner Trainingskamerad*innen haben auch während ihrer gesamten Schulzeit getanzt und gemeinsam sind wir von Kleinkindern zu tüchtigen Gymnasiast*innen herangewachsen.

Ich erinnere mich daran, wie ich als Grundschulkind Konzerten durch den Bühnenvorhang den Gymnasiast*innen heimlich zusah und von einer Zeit träumte, in der ich selbst so sein kann wie sie. Ich habe mich letzten Herbst wieder daran erinnert. Zum 15-jährigen Jubiläum von Leesikad haben wir eine große Konzertaufführung organisiert, bei der meine Gruppe ziemlich viele Tanznummern hatte und wir sowohl auf als auch hinter der Bühne selbstständig und gut sein mussten. Jetzt sind wir die großen Leerikad, die wir als Jüngere insgeheim bewundert haben. Als ein jüngeres Ensemblemitglied nach dem Konzert zu mir kam und mich umarmte, weil ich ihr vorher beim Zöpfeflechten geholfen hatte, wurde mir warm ums Herz. Für mich ist das Ensemble Leesikad tatsächlich eine zweite Familie.

Tagtägliches Musizieren

Im Alter von 13 Jahren war mir klar, dass ich sowohl Volkskultur als auch Musik mochte. So schlug meine Mutter vor, dass ich beides kombinieren und einige Volksinstrumente ausprobieren sollte. An der Musikschule habe ich zu der Zeit klassisches Klavier gelernt und war daran interessiert, Harmoschka kennenzulernen. Heute betrachte ich die Harmoschka tatsächlich als mein Hauptinstrument und spiele vor allem gerne traditionelle Musik aus Estland und den Nachbarländern. Während ich normalerweise mit anderen in einer Gruppe getanzt habe, habe ich Harmoschka von Anfang an alleine gelernt und gespielt, ganz ohne Lehrer*in. Als ich die grundlegenden Fähigkeiten des Spielens erlernt hatte, begann ich, neue Möglichkeiten dieses kleinen Instruments zu erforschen sowie zu experimentieren und war besonders stolz, wenn mir einige der schwierigeren Kniffe gelangen.

Das Erlernen der Stücke nach Gehör war anfangs eine ernsthafte Herausforderung für mich, da ich dies noch nie zuvorgetan hatte. In meinem ersten Volksmusikcamp kam ich mir zunächst mit dem Instrument verloren vor, weil ich einfach nicht verstand, wie ich den gehörten Teil einer Melodie auf meine Finger und die Harmoschka-Knöpfe übertragen konnte. Aber plötzlich machte es bei mir „Klick“ und nach und nach begann ein bisschen der Logik in meine Finger zu sickern. Wie so oft beim Erlernen eines Instruments hatte auch ich anfangs nicht viel Motivation zum Üben. Ich konnte es nicht wirklich und wie oft hat man schon Lust, ein und dasselbe Lied zu dudeln? An dieser Stelle hilft allerdings das Wissen, dass es einfacher wird. M an muss nur geduldig sein und sich gegebenenfalls auch manchmal selbst zwingen. Heute muss mich niemand mehr zwingen, denn ich habe ein Hobby gefunden, das mir gefällt und womit ich mich jeden Tag beschäftige.

Tradition staubt nicht

Eines der eindrücklichsten Erlebnisse im Zusammenhang mit der Volksmusik war das Kinder-ETNO-Camp 2020 und die anschließende Kinder-ETNO-Tour. Trotz meines anfänglichen großen Protests meldeten mich meine Eltern zum Camp an. Wie sie bereits zuvor vermutet hatten, wollte ich nach dieser wunderbaren Woche nicht mehr nach Hause. Ich habe sehr leidenschaftliche junge Musiker*innen kennengelernt, mit denen ich noch immer in Kontakt stehe; interessante Ideen bekommen, wohin ich mich mit meiner Musik bewegen könnte und sieben schöne Sommertage in netter Gesellschaft verbracht. Im Herbst gab es auch die Möglichkeit an der Kinder-ETNO-Tour teilzunehmen, bei der ich meine ersten Band- und Tour-Erfahrungen gesammelt habe. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ETNO mein Leben verändert hat: Neben coolen Freund*innen und Veranstaltungen ist auch ein neues Instrument in mein Leben getreten – das Knopfakkordeon –, welches ich dank eines Freundes im Camp zu lernen begonnen habe.

Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Tänzer*innen und Musiker*innen miteinander zu verbinden. Früher spielte der*die Musiker*in normalerweise zum Tanz und gute Tänzer*innen wurden auf jeder Feier geschätzt. Wenn ich meine Musikfreund*innen treffe, versuche ich manchmal, ihnen einen bekannten Gesellschaftstanz beizubringen, dessen Musik ihnen bereits bekannt ist und sich in ihrem Repertoire befindet. Ich hoffe, dass wenn sie den Tanz zu der passenden Melodie kennen, sie auch eine bessere Verbindung zu den Tänzern*innen aufbauen werden. Ich freue mich, dass die Kultur der Tanzvereine in Estland gut entwickelt ist – man kommt zusammen und tanzt alte gesellschaftliche und traditionelle Tänze in Begleitung von Livemusik. Das ist gelebte Folklore. Die Menschen lassen einen durch die Volkskultur bewusstwerden, dass diese Musik etwas bis heute Andauerndes ist und nicht in den Archiven verstaubt.

Ich bin stolz darauf, dass die Estinnen und Esten ihr kulturelles Erbe schätzen und es so viele junge Leute gibt, die sich dafür interessieren und die Traditionen am Leben erhalten. Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, all diesen Hobbys nachzugehen, mit denen ich sowohl durch die estnische Kulturgeschichte als auch Geschichte reisen kann.

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