Starke Gefühle - Teaserbild © Collage: kocmoc

Starke Gefühle

Unter Emotionen verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. 

Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Angst, Ekel, aber auch Freude oder Trauer lassen sich nur schwer unterdrücken. Und weil sie so stark sind, können Gefühle das Leben auch sehr belasten – etwa bei Depressionen oder Angsterkrankungen.
Für die Wissenschaft sind Emotionen ein schwieriges Forschungsgebiet. Denn sie sind sehr individuell und oft schwer zu beschreiben. Das am besten erforschte Gefühl ist die Angst. Die individuelle Emotionalität ist ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit. Erfahrungen in unserem Leben und Ereignisse, die mit starken Gefühlen verbunden sind, bleiben besonders tief im Gedächtnis: An die erste Liebe erinnern wir uns ein ganzes Leben lang.

Die große Liebe – alles nur Chemie?
In der aufregenden Zeit des Verliebtseins überschwemmt der Botenstoff Dopamin das Gehirn. Er wird vom Hypothalamus ausgeschüttet, der wichtigsten Hormonquelle des Gehirns. Dopamin wirkt vor allem im limbischen System und spielt auch bei Belohnung und Euphorie eine große Rolle. Sind wir verliebt, produziert der Körper weniger Stresshormone, Wunden heilen schneller und Schmerzen werden nicht so intensiv wahrgenommen. Doch irgendwann sinkt der Dopaminspiegel wieder und aus dem Verliebtsein kann Liebe werden. Jetzt spielt Oxytocin eine größere Rolle. Es wird im Hypothalamus produziert und in der Hirnanhangsdrüse gespeichert. Das Hormon beruhigt, reduziert Ängste und Aggressionen und fördert das Gefühl von Nähe und Vertrauen. Berührungen sind Reize, die für eine Produktion von Oxytocin und Dopamin sorgen können – auch wenn die erste Zeit des Verliebtseins schon lange vorbei ist.

Wegrennen oder nicht?
Emotionen bewirken bestimmte Verhaltensmuster. Angst zum Beispiel bereitet den Körper darauf vor, zu fliehen oder zu kämpfen: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskeln werden mit Energie versorgt, die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Bedrohung. Das kann sehr sinnvoll sein oder auch völlig nutzlos – je nach Situation. Die eigenen Gefühle, Erfahrungen und das Verhalten der anderen müssen miteinander verrechnet werden, um angemessen reagieren zu können. Dabei spielt die Inselrinde, ein Teil der Großhirnrinde, eine bedeutende Rolle. Was genau dort passiert, untersuchen Nadine Gogolla und ihre Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Wie oft in der Hirnforschung arbeiten die Wissenschaftler*innen auch hier mit Mäusen als Modell. Dabei entdecken sie, dass Mäuse genauso wie Menschen Gesichtsausdrücke haben, aus denen Emotionen wie Freude, Ekel und Angst zuverlässig herausgelesen werden können. Mithilfe einer neu entwickelten computergestützten Gesichtsausdrucksanalyse können die Forscher*innen nun die Intensität und Art einer Emotion messen und mit der Aktivität der Nervenzellen in einer bestimmten Gehirnregion vergleichen.

Gefühle in Gesellschaft
Was ein Mensch fühlt – und wie er oder sie das einer anderen Person gegenüber zeigt bzw. zeigen darf – ist nicht nur Ausdruck eines inneren Zustands, sondern wird auch erlernt und durch die Gesellschaft mitbestimmt. Haben also Gefühle eine Geschichte? Schreiben Gefühle gar Geschichte? Diesen Fragen gehen Ute Frevert und ihr Team am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung nach. Denn auch politisch und gesellschaftlich haben Gefühle wie Angst, Wut oder Hoffnung einen großen Einfluss. So untersuchen die Forscher*innen zum Beispiel die Bedeutung von Scham, Schande und öffentlicher Demütigung in verschiedenen Kulturen und Zeiten. Diese Gefühle spielen auch heute noch eine große Rolle: Im Internet entstehen fast jeden Tag neue Shaming-Plattformen. Cyber-Mobbing betrifft besonders Kinder und Jugendliche. Und für das Zusammenleben in multikulturellen Gesellschaften sind Erkenntnisse über die unterschiedlichen Auswirkungen von Emotionen von großer Bedeutung.

Soundcheck – Musik oder Krach?
Wenn es um Musik geht, sind die Geschmäcker bekanntlich verschieden. Aber jeder Mensch kann sofort sagen, ob er oder sie ein Musikstück mag oder nicht. Die Forscher*innen am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt wollen herausfinden, wovon es abhängt, ob jemand Musik als schön oder schrecklich empfindet. Dazu nutzen sie das ArtLab, einen multifunktionalen Veranstaltungsraum, der Konzertsaal und Labor in einem ist. Klänge, Mimik, Gestik sowie verschiedene physiologische Daten der Künstler*innen und der bis zu 46 Zuhörer*innen können dort erfasst und ausgewertet werden.
Die Sänger*innen eines Vokalensembles proben im Frankfurter ArtLab. Dabei werden unter anderem EEG, EKG und Atemfrequenz der Künstler*innen erfasst: Die Sänger*innen eines Vokalensembles proben im Frankfurter ArtLab. Dabei werden unter anderem EEG, EKG und Atemfrequenz der Künstler*innen erfasst. © Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt / Jörg Baumann


Leipziger Max-Planck-Wissenschaftler*innen wollen dagegen wissen, was einen erfolgreichen Popsong ausmacht. Ob ein Musikstück ein Hit wird, hängt nicht so sehr von Text oder Melodie ab, sondern von den Akkordfolgen. Besonders beliebte Songs zeichnen sich durch eine Mischung von vorhersehbaren und überraschenden Akkordfolgen aus. Denn nur dann wird das Genusssystem im Gehirn aktiviert. Das erklärt auch, warum wir uns durch das Hören der "richtigen" Musik oft gleich besser fühlen.

Liebe, Angst, Wut, Traurigkeit und Freude - was passiert im Kopf?

Liebe
Ist man verliebt, wird im Gehirn das Belohnungssystem aktiviert. Es werden zahlreiche Hormone wie Dopamin, Vasopressin und Oxytocin produziert. Entscheidend für die Entstehung dieser positiven Gefühle ist das limbische System. Es besteht aus Neuronen, die den Botenstoff Dopamin verwenden. Die Zellkörper dieser Neuronen liegen im Hirnstamm, ziehen in die Amygdala und den Hippocampus und enden im unteren Vorderhirn im Nucleus accumbens – dem Belohnungssystem.

Angst
Die Amygdala (Mandelkern) entscheidet in wenigen Millisekunden, ob wir Angst haben. Das Herz schlägt schneller, die Muskeln bekommen mehr Energie – wir sind bereit für Kampf oder Flucht. Die Amygdala liegt im Temporallappen und ist mit dem Hirnstamm verbunden. Sie beeinflusst so die autonomen Funktionen des Körpers wie Atmung und Kreislauf. Ein besonders dickes Nervenbündel führt zum Hypothalamus, der die Adrenalinproduktion auslöst. Die Amygdala erhält Informationen aus allen sensorischen Regionen der Großhirnrinde. Der Frontallappen vergleicht die sensorischen Signale mit bereits gemachten Erfahrungen und kann die Aktivität der Amygdala hemmen.

Wut
Werden wir beleidigt, wird die Information über Augen und Ohren zunächst an das Zwischenhirn geschickt, das sie an die Amygdala und an den Frontallappen der Großhirnrinde weitergibt. Doch entscheidet die „emotionale“ Amygdala, dass es sich um eine Kränkung handelt, dann hat die „rationale“ Großhirnrinde keine Chance: Die Amygdala ist schneller. Sie aktiviert den Hypothalamus, Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet, der Puls steigt rasant an. Das limbische System sorgt dafür, dass die Wut auch sichtbar wird: Stimme, Mimik und Gestik drücken das aus.

Traurigkeit
Wenn wir verlassen werden oder ein geliebter Mensch stirbt, empfinden wir große Traurigkeit. Im Gehirn kommt es zu einer Stressreaktion. Das Alarmsystem Amygdala wird aktiviert und das Stresshormon Cortisol freigesetzt. Die Trauer jedoch ist ein bewusstes Gefühl. Sie hilft uns den Stress zu verarbeiten und mit den Erfahrungen des Verlustes zu leben. In der Trauer werden Bereiche im Gehirn aktiviert, die im Frontallappen liegen. Sie wirken auf die Amygdala ein, so dass es wieder zur Entspannung kommen kann.

Freude
Zufriedenheit, Freude und Glück hängen eng zusammen. Zufriedenheit ist ein Zustand innerer Ausgeglichenheit, der teils genetisch und teils durch die Umwelt beeinflusst wird. Er entsteht zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr und bleibt zeitlebens weitgehend gleich. Biochemisch sind insbesondere drei Hirnbotenstoffe beteiligt: Serotonin, Dopamin und Oxytocin. Das kurze Hochgefühl des Glücks entsteht durch einen „Cocktail“ aus gehirneigenen Opioiden, wie zum Beispiel Endorphine. Entscheidend für die Qualität des Glücks ist der Ursprung der Freude. Materielle Dinge wie ein neues Kleidungsstück aktivieren vor allem das Belohnungssystem. Dieses Glücksgefühl ist nur von kurzer Dauer. Soziale Belohnungen, etwa Anerkennung und Freundschaft wirken dagegen länger.

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