Interview mit der Aktivistin Athambile Masola
„Aus der Geschichte gestrichen"

Zusammen mit dem Asinakuthula Collective erzählt Athambile Masola die Geschichten schwarzer, afrikanischer Frauen, die bislang nicht in Geschichtsbüchern und auf Wikipedia stehen. Nach einem Edit-A-Thon im Rahmen des Projekts „Wessen Wissen?“ sprach sie mit „Goethe aktuell“ über ihre Arbeit.

​Was macht das Asinakuthula Collective und welche Rolle haben Sie innerhalb der Organisation?
 

Ich bin die Gründerin des Asinakuthula Collective, welches als gemeinnützige Gesellschaft organisiert ist. Wir sind eine Gruppe von Lehrer*innen und Forscher*innen, die insbesondere an den Geschichten schwarzer Frauen interessiert ist, die mehr oder weniger von der Geschichte ignoriert werden. Wenn Sie unser Logo betrachten, sehen Sie im Vordergrund die Gesichter von Nontsizi Mgqwetho und Charlotte Maxeke und dahinter Zeitungsartikel. Diese Zeitungsartikel sind echte Texte aus den 1920ern, die aber nur wenigen bekannt sind.
 
Der Name Asinakuthula Collective ist angelehnt an eine Zeile aus den Gedichten von Nontsizi Mgqwetho: „Asinakuthula umhlaba ubolile.“ (deutsch: „Wir können nicht schweigen, während die Welt in Trümmern liegt.“) Nontsizi Mgqwetho war in den 1920er Jahren eine Schriftstellerin aus dem Volk der Xhosa. Sie war auch eine Performance-Künstlerin, die bei öffentlichen Veranstaltungen auftrat. Diese Frauen sind symbolisch für unsere Vision, da sie kaum bekannt sind, obwohl ihre Werke einen großen Eindruck auf ihre Zeitgenoss*innen gemacht haben. Wir wollen diese Frauen als Ausgangspunkt nehmen und eine Institution rund um deren Namen und Leben erschaffen, um zu erörtern: Wie bekommen wir diese Frauen in die Geschichtsbücher? Wie bekommen wir diese Frauen ins Internet? Wie bekommen wir diese Frauen ins allgemeine Bewusstsein?
 
Wann haben Sie angefangen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?
 

Es kommt mir fast so vor, als ob ich unabsichtlich über die Geschichten dieser Frauen stolpere, falls dies möglich ist. Die erste Frau, deren Geschichte mich in den Bann zog, war Noni Jabavu. Sie war eine südafrikanische Schriftstellerin in den 1960er Jahren und lebte an vielen verschiedenen Orten rund um den Globus. Sie war eine regelrechte Pionierin. Ihre Memoiren wurden erstmals in den 1960er Jahren veröffentlicht und es gab eine weitere kleine Auflage in den 1980er Jahren, aber seitdem sind sie vergriffen. Es ist beinahe unmöglich, eine Ausgabe davon aufzutreiben. Per Zufall entdeckte ich ein Exemplar in einem Buchantiquariat und die Memoiren machten einen so großen Eindruck auf mich, dass ich beschloss, meine Doktorarbeit darüber zu schreiben. Ich wollte Noni Jabavus Werk aus einer literarischen Perspektive betrachten.
 
Je intensiver ich mich mit ihrem Werk beschäftigte, desto öfter stöberte ich auch durch alte Zeitungen wie zum Beispiel The Bantu World aus den 1930er Jahren. The Bantu World war eine der bekanntesten Zeitungen der 1930er, die nicht nur über das Leben der schwarzen Bevölkerung im Allgemeinen berichtete, sondern auch eine Frauenseite anbot, was zu der Zeit außergewöhnlich war. Allein beim Lesen der Ausgaben aus dem Jahr 1935 fand ich so viele Artikel über und von schwarzen Frauen, die zu der Zeit unglaubliche Taten vollbrachten. Beispielsweise entdeckte ich einen Text von Frieda Matthews, die nach London gereist war und einen Brief an ihre Leser*innen über ihre Erfahrungen schrieb. Oder ich stieß auf einen Artikel von einer Frau namens Rilda Marta, die in die USA ausgewandert war, um Kosmetikerin zu werden und einen dreiteiligen Brief an ihre Leser*innen über ihre Erfahrungen im Ausland verfasste, der in The Bantu World gedruckt wurde. Außerdem fand ich einen Vortrag mit dem Titel „Die Emanzipation der Frauen“, der von einer Frau namens Ellen Pumla Ngozwana in 1935 an der Inanda, einer weiterführenden Schule für Mädchen, gehalten wurde. Allein dieser eine Jahrgang bot eine so große Zahl an historischen Belegen.
 
Die für mich entscheidende Frage war: Wenn wir heute diese Archive durchgehen, welche Entscheidungen treffen wir dabei? Was sehen wir, was sehen wir nicht? Denn die Belege der Taten dieser Frauen existieren. Hat die Forschung, die wir auf diesem Gebiet betreiben, diese Tatsachen bewusst ignoriert, oder geschah es, weil es nicht zu dem Bild der schwarzen Frau in dieser Zeit passt?
 
Mir wurde klar: Wenn Leute wie ich die Geschichte nicht mitgestalten, werden Leute wie ich aus der Geschichte gestrichen. Das geschah mit diesen Frauen: Sie vollbrachten historisch bedeutsame Taten, aber sie waren an der Mitgestaltung der Erzählung, die in den Geschichtsbüchern wiedergeben wird, nicht beteiligt. Es ist jetzt die Aufgabe von Forscher*innen wie mir und dem Asinakuthula Collective, eben dies zu tun. Die Hälfte der Arbeit ist sogar recht einfach, da die historischen Belege greifbar sind. Die andere Hälfte besteht darin, eine Änderung zu bewirken hinsichtlich der Überlegungen, wer in die Geschichtsbücher aufgenommen wird, und somit das Konstrukt der Geschichte an sich zu verändern.
 
In welchem Zusammenhang stehen diese beiden Aufgaben und welche Herausforderungen sehen Sie in diesen beiden Phasen Ihrer Arbeit?
 

Ich sehe die Phasen als durchaus zusammenhängend. Einerseits deckt man die Information auf, aber was macht man dann damit? Einfach digitalisieren, online stellen und hoffen, dass sie entdeckt wird? Das habe ich zum Teil im Rahmen meiner Doktorarbeit und der damit verbundenen Forschungsarbeit gemacht.
 
Eigentlich müssen wir sogar dreigliedrig vorgehen: Zunächst kommt die Archivarbeit, dann die Vermittlung des gewonnenen Wissens an die Öffentlichkeit, entweder schriftlich oder über andere Medien. Den zweiten Schritt kann man auch als Lobbyarbeit für die Anerkennung des Wissens sehen. Im letzten Schritt sollten dann andere in den Prozess miteinsteigen und eigene Forschung betreiben.
 
Die Herausforderungen sind vielfältig, aber alle hängen auf der einen oder anderen Weise von Kapazitäten ab. Den Möglichkeiten der Forscher*innen nach ihrem Abschluss, den Möglichkeiten für die Übersetzung von Quellen, die nicht auf Englisch vorhanden sind, und natürlich dem Zugang zu Ressourcen.
 
Zudem müssen wir auch die Frage der Alphabetisierung berücksichtigen. All diese Aspekte überschneiden sich. Das ist der Grund, weshalb wir das Projekt des Goethe-Instituts und die Vorgehensweise beim Edit-A-Thon so großartig finden. Obwohl es allgegenwärtig ist, habe ich Wikipedia nie als etwas betrachtet, das man einfach selber anpassen oder ergänzen kann.
 
An welchen Wikipedia-Artikeln haben Sie während des Edit-A-Thons gearbeitet?
 

Einer der Artikel handelte von Nomhlangano Beauty Mkhize, die auf Wikipedia – und mit Ausnahme von ein oder zwei Artikeln sogar im gesamten Internet – vorher nicht existiert hat. Es ist für uns immer wieder faszinierend zu sehen, dass nach dem Sammeln der Information und dem Schreiben eines Artikels, eine vormals unsichtbare Persönlichkeit auf einmal problemlos im Internet gefunden werden kann. All dies innerhalb von nur drei Stunden.
 
Es ist ermutigend, dass man Wissen so leicht etablieren kann. Das Wichtigste für eine grundlegende Präsenz im Internet ist nämlich, dass man ein Suchergebnis erhält, wenn man einen Namen in die Suchmaschine tippt.

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