Kultur

Wirbelndes Wasser im Kultur(aqu)árium

Verein Kulturárium (Foto: David Konečný)

Die größte mährische Stadt Brno musste sich nie über ein armes Kulturleben beklagen. Es gibt seit Jahren Dutzende Theaterensembles, Film-, Musik-Clubs und Kaffeehäuser. In letzter Zeit macht sich aber eine neue Welle kleinerer und größerer Kulturaktionen bemerkbar, die die Bürger in den öffentlichen Raum lockt. Einer der Motoren dieses neuen Trends ist der Verein „Kulturárium“. Er wurde von drei jungen Studentinnen gegründet.

Durch die offene Tür des Cafés Rotor strömt heiße Sommerluft. In einer Ecke sitzen zwei blonde junge Frauen. Kaum jemand der anderen cocktailschlürfenden Gäste ahnt, dass es sich dabei um zwei Drittel des Vereins Kulturárium handelt. Es ist zwar noch nicht einmal ein Jahr seit der Gründung der Initiative vergangen, doch für den Herbst dieses Jahres hat sie geradezu eine Invasion an kulturellen Ereignissen für die Bewohner von Brno vorbereitet.

Am Anfang war die Uni

Alles begann im Wintersemester 2009, als Žaneta Skálová und Kateřina Eichlerová sich für ein freiwilliges Wahlseminar innerhalb des Kulturmanagements entschieden. Kateřina studierte damals Theorie interaktiver Medien und Žaneta Theaterwissenschaft. Beide wollten einen Schritt in Richtung mehr Praxis machen. Das Ziel des gewählten Faches Kulturbetriebsorganisation war es, Teams zusammenzustellen, die im Verlauf des Semesters theoretische Grundlagen für ein ausgewähltes Projekt erarbeiten.

(Foto: David Konečný)

„Die Idee, kleine Brünner Theaterensembles in Kaffeehäusern auftreten zu lassen, lag schon lange in der Luft“, sagt Kateřina und verrät, dass die Anfangsidee von Viktor Pantůček vom Musikwissenschaftlichen Institut der Masaryk-Universität Brno und Theaterregisseur Pavel Baďura stammt, der gleichzeitig für das Kulturprogramm des Brünner Cafés Trojka zuständig ist. Pantůček präsentierte dann diese – noch nicht weiter ausgearbeitete – Idee innerhalb des erwähnten Seminars. Im Verlauf der Semesterarbeit des rund zwanzigköpfigen studentischen Teams enstand das Konzept eines Festivals unabhängiger Theater, das auch kurze, kostenlose Premieren vorsah, die zwischen Kaffeehaustischen stattfinden sollten. Obwohl es für einen Seminarschein reichte, dieses Konzept auf dem Papier abzugeben, wollten die jungen Frauen es nicht bei bloßer Theorie belassen. Gemeinsam mit den engagiertesten Team-Mitgliedern fingen sie an, Cafés und Theaterensembles anzusprechen. Ein paar Wochen darauf fiel tatsächlich der Startschuss für den ersten Jahrgang des Festivals Lunapark Brno oder Theater zum Kaffee.

Die Leitung einer gemeinnützigen Organisation – eine Schule fürs Leben

Im ersten Jahr wurde das Festival finanziell vom Musikwissenschaftlichen Institut, privaten Sponsoren und den vielen teilnehmenden Cafés unterstützt. Den Studentinnen wurde aber klar: eine mögliche Fortsetzung des Festivals erfordert eine andere Herangehensweise. „Wir stießen an das Hindernis, dass wir als natürliche Personen an keine öffentlichen Gelder gelangen konnten. Darüber hinaus meldeten sich nach dem Erfolg des Lunaparks immer mehr Kulturveranstalter bei uns mit der Bitte um Beratung und Unterstützung. So wurden wir uns der Notwendigkeit bewusst, einen gemeinnützigen Verein zu gründen, um die Produktion ähnlicher Projekte abzusichern“, sagt Žaneta.

Keine der jungen Frauen hatte allerdings Erfahrungen mit der Leitung und Organisation einer gemeinnützigen Vereinigung. Alle hatten zwar in der Vergangenheit verschiedenen Bälle und Tanzveranstaltungen organisiert, aber von rechtlichen und buchhalterischen Fragen hatten sie keinen Schimmer. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung wie ein Schenkungsvertrag aussieht oder wie man möglichst effektiv Subventionen beantragt“, räumt Žaneta ein. Es gibt eben Dinge, die man im Uni-Seminar nicht lernt, sagt sie. Heute kann sie eine Steuererklärung für juristische Personen nicht mehr schocken. Aber ohne die Beratung durch eine Buchhalterin oder einen Rechtsanwalt kommt sie trotzdem nicht aus.

Aufstrebende „Kulturkinder“

(Foto: David Konečný)

Die aktuelle Saison startet für das Kulturárium am 28. September, dann beginnt der erste Jahrgang des Musikfestivals Degeneration Next. Gleichzeitig beginnt ein dreitägiges Projekt mit dem Titel Auch Kühe haben ihre Bücher, bei dem in ganz Brno kleine Bücherstände mit Auszügen aus Büchern installiert werden, die mit den betreffenden Orten in Beziehung stehen. Darauf folgt die Kaffee- und Debattenwoche im Rahmen des Kabinetts des unabhängigen Films. Zu Beginn des nächsten Jahres kommt das Festival Tanz und Behinderung hinzu, im März beginnt dann wieder der Lunapark. „Wir sind davon überzeugt, dass wir es schaffen mit den Aktionen des Kulturáriums das ganze Kalenderjahr zu bedienen“, sagt Kateřina. Gleichzeitig betont sie, alles sei nur deshalb möglich, weil jedes Projekt sein eigenes Produktionsteam hat, mit dem die drei Studentinnen kommunizieren und sich beratschlagen: „Wir drei können nicht alles stemmen, es geht vor allem um Zusammenarbeit, Kommnikation und die Lust, gemeinsam etwas zu schaffen und Praxiserfahrung zu sammeln.“ Und bereits jetzt, noch nicht einmal zwölf Monate nach Gründung ihres Vereins, haben sie es geschafft, das Kulturprogramm der mährischen Metropole maßgeblich mitzubestimmen.

Nicht nur aus Spaß an der Freude

Mit der Organisation von kulturellen Veranstaltungen verdienen die drei Studentinnen nichts. Hinzu kommt, dass sie alle einem Vollzeitstudium nachgehen. Kateřina beginnt jetzt mit ihrem Kulturmanagement-Studium, Žaneta beginnt im selben Fach das zweite Studienjahr. Die dritte im Bunde, Lucie Karafiátová, fängt ein Studium in Musik-Management an. Alle drei verdienen sich darüber hinaus mit verschiedenen Jobs Geld hinzu.

Vojta, der dreadlockige Kellner, kommt an den Tisch und erinnert Kateřina, dass es fünf Uhr ist und jetzt ihre Tresen-Schicht beginnt. Žaneta eilt hingegen nach Prag, wo sie ein Beratungsgespräch für einen Subventionsantrag bei der Vodafone-Stiftung wahrnimmt, während Lucie in einem anderen Brünner Café die Details einer dort geplanten Aktion bespricht. Warum stürzen sie sich in diese Arbeit, die ihnen das Leben so erschwert? „Es macht und Spaß, und wir sind überzeugt, dass das unser Weg ist – die kulturellen Gewässer im Aquarium unserer Stadt aufzuwirbeln“, verweist Kateřina auf den Namen ihres Vereins, einer Kombination der Worte Kultur und Aquarium. Žaneta betont, dass diese Erfahrungen für ihr Studienfach von unschätzbarem Wert sind. Beide würden gern mit der Organisation von Kulturveranstaltungen auch in Zukunft weitermachen. Sie bemühen sich deshalb, einen Weg zu finden, wie sie von dieser Arbeit auch leben können. Kateřina ist optimistisch: „Nicht nur bei uns existieren gemeinnützige Vereine, die in der Lage sind, mit ihrer Tätigkeit und ihren Ergebnissen ein paar Leute zu ernähren. Warum sollte das also nicht auch uns gelingen?“

Martina Pelcová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
September 2011
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