Leben

Wohnheim-Wahlkampf für den Fürsten

Foto: © Jana PecikiewiczFoto: © Jana Pecikiewicz
Neben der Herdplatte stapeln sich Buttons und Sticker. Foto: © Jana Pecikiewicz

Der kleine Zettel geht im Wirrwarr des Schwarzen Brettes im Studentenwohnheim in Plzeň fast unter. Dennoch haben insgesamt 32 Leute den Weg zu Jan Mudra gefunden, um sich Werbematerial für Karel Schwarzenbergs Präsidentschaftswahlkampfkampagne zu holen. Als auch ich sein Zimmer betrete, muss ich erst einmal schmunzeln: Auf dem Kühlschrank im schmalen Flur liegt alles Material aus, fein säuberlich angerichtet als wäre das hier keine Wohnheim-Küche, sondern eine große Messehalle. Neben der Herdplatte stapeln sich Buttons und Sticker, der Platz zwischen Wasserkocher und Olivenöl ist knapp bemessen.

Jans Zimmer ist ein gutes Beispiel für die Spontanität und Improvisationskunst der Unterstützer des Präsidentschaftskandidaten Karel Schwarzenberg. „Dass Schwarzenberg in die zweite Wahlrunde kommt, war eine echte Überraschung“, erzählt er. „Als ich erfahren habe, dass auch Zeman in der Stichwahl ist, war mir sofort klar, dass ich etwas tun muss. Ich wollte absolut nicht, dass Zeman Präsident wird.“

Jan Mudra, Foto: © Jana PecikiewiczEs sind vor allem Jans Kommilitonen aus der Politikwissenschaft – einige von ihnen aktive Mitglieder in Schwarzenbergs Partei, der konservativen TOP09 –, die sich am Wahlkampf beteiligen. Obwohl Prüfungszeit ist, lässt der 21-Jährige in seinem Zimmer ständig Leute ein- und ausgehen und verteilt geduldig Buttons, Flyer und Plakate. Genervt seien seine Mitbewohner nicht, sie haben sich selbst bei Jan mit Buttons eingedeckt. „Eigentlich waren die Reaktionen der Studenten im Wohnheim durchweg positiv“, berichtet Jan. „Manchmal wurde ich aber in der Stadt von Leuten schief angeschaut, die meinen „Volím Karla“ (auf Deutsch: „Ich wähle Karel“)- Button gesehen haben.“ Andererseits sei er aber oft auf den Button angesprochen und gefragt worden, ob er nicht noch einen hätte. „ Ich hatte deshalb immer eine Jackentasche voller Buttons dabei“, erzählt er lachend.

Es gab aber noch eine weitere Situation, die Jan immer noch schmunzeln lässt: „Die Leute haben die Aufkleber überall im Wohnheim verteilt, zum Beispiel auf den Fluren und in den Aufzügen. Eines Tages kamen die Putzfrauen zu mir und meinten, ich müsse die Aufkleber ab jetzt selbst wegmachen, da sie keine Geduld haben, sie dauernd von den Wänden zu pulen. Am nächsten Tag kamen die Putzfrauen dann nochmal, um sich selbst Buttons und Sticker zu holen.“

Wenn der Politikstudent so erzählt, merkt man ihm fast nicht an, wie enttäuscht er vom Wahlergebnis ist. „Ich habe Schwarzenberg gewählt und unterstützt, da er ein guter Repräsentant wäre und uns keine Schande machen würde. Er ist auch im Ausland eine bekannte Persönlichkeit“, sagt Jan und gibt nicht ohne Bedauern zu, dass es wohl für Schwarzenberg kein zweites Mal geben wird. „Er ist ja schon recht alt.“ In der Tat war der ob seiner adeligen Herkunft von Gegnern wie Anhängern „Fürst“ genannte Politiker bei seiner Kandidatur bereits 75 Jahre alt. Sollte Karel Schwarzenberg dennoch in fünf Jahren einen neuen Anlauf auf das höchste politische Amt in Tschechien wagen, würde Jan wieder im Wahlkampf helfen. „Ich habe das Ganze als sehr postiv empfunden und dabei eine Menge neuer Leute kennengelernt.“

Und auch wenn der kleine weiße Zettel auf dem Schwarzen Brett des Studentenwohnheims nach der Wahl wieder verschwunden ist – eine Schublade voller Buttons hat Jan noch.

Jana Pecikiewicz

Copyright: Goethe-Institut Prag
Februar 2013

    Karl Schwarzenberg

    (tschechisch Karel Schwarzenberg) (* 10. Dezember 1937 in Prag) ist ein tschechischer Politiker und Vorsitzender der konservativen Partei TOP09.

    Schwarzenberg entstammt dem deutschsprachigen Hochadel. Sein vollständiger Name lautet Karl Johannes Nepomuk Josef Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena Fürst zu Schwarzenberg. In Tschechien wird Schwarzenberg in einer Mischung aus Anerkennung und Distanz „Fürst“ genannt. Offiziell darf er sich nicht so nennen. Das Tragen von Adelstiteln ist in Tschechien seit 1918 verboten.

    Nach der Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei emigrierte Die Familie Schwarzenberg nach Österreich. Dort war Karel Schwarzenberg bereits in den 1960er Jahren politisch aktiv. Auf internationaler Ebene engagierte er sich für Menschenrechte. Seit der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 unterstützte Schwarzenberg aus dem Ausland den Widerstand gegen das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei. Nach der Samtenen Revolution 1989 kehrte er in sein Geburtsland zurück und wurde Büroleiter des tschechoslowakischen (später tschechischen) Präsidenten Václav Havel.

    Seit Juli 2010 ist Schwarzenberg Außenminister der Tschechischen Republik. Dieses Amt bekleidete er bereits von 2007 bis 2009 – damals noch als parteiloser von der Grünen nominierter Minister. Bei der ersten direkten Präsidentschaftswahl in Tschechien 2013 kandidierte Schwarzenberg. Er zog in die Stichwahl ein, verlor aber gegen den ehemaligen Premierminister Miloš Zeman.

    Trotz seiner Mitgliedschaft in der konservativen TOP09 lässt sich Schwarzenbergs politische Einstellung eher als liberal bezeichnen. Er erfreut sich einer großen Beliebtheit vor allem unter der jungen und gebildeten Bevölkerung.

    Stand Februar 2013

    Themen auf jádu

    Gemischtes Doppel | V4

    Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

    Heute ist Morgen
    Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

    Im Auge des Betrachters
    … liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

    Dazugehören
    Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

    Themenarchiv
    Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...